Erstellt am: 11. 12. 2014 - 11:57 Uhr
Anis sieben Sprachen
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Jeden Mittwoch in FM4 Connected (15-19h) und als Podcast.
"Die Leiden des jungen Todor"
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Ani spricht sieben Sprachen, jeden Tag. In ihrer Muttersprache Bulgarisch spricht sie nur mit ihrer Mutter und ihrer Oma über Skype.
Ihre Mitbewohnerinnen sind eine Brasilianerin und eine Französin. Ani hat mal Portugiesisch studiert und versteht sich perfekt mit der Brasilianerin. Die Französin ist erst seit kurzem in Österreich und spricht kein Deutsch. Ani mit ihrem perfekten Französisch ist ihre einzige Verbindung mit der Gesellschaft. Vor einigen Tagen hat sie mir erzählt, wie sie der Französin in irgendeinem Amt geholfen hatte. Die Französin beklagt sich ständig, dass in den österreichischen Behörden alles nur auf Deutsch ist. Ich erzählte ihr, dass in meinem Heimatland Bulgarien auf Bahnhöfen seit 130 Jahren alles auf Bulgarisch und auf Französisch steht. Ich glaube, dass Bulgarien bei ihr seitdem ein bisschen an Ansehen gewonnen hat.
Ani arbeitet als Rezeptionistin in einem Hotel. Dort spricht sie jeden Tag Deutsch und Englisch. Außerdem spricht sie mit den Zimmermädchen Serbisch. Viele von ihnen sind seit Jahrzehnten in Wien, aber sprechen ganz schlecht Deutsch. Ich glaube ja, dass Serbisch als zweite offizielle Amtssprache in Wien anerkannt werden sollte.
CC-BY-SA-2.0 / LEAF Project
Wie kannst du jemanden aufhalten, in seiner Muttersprache zu sprechen, wenn er seine Seele vor dir öffnen will? Tante Dragana erzählt jedes Mal die gleiche Geschichte: Wie sie ihre große Liebe in Novi Sad verlassen sollte, um nach Wien zu kommen. Jetzt sei er verheiratet und habe Kinder. Tante Dragana hat auch Kinder, kann aber nicht aufhören, an die große Liebe zu denken.
Neulich wurde im Wohnhaus von Ani eingebrochen. Die Einbrecher kamen, als alle bei der Arbeit waren und räumten ein paar Wohnungen leer. Als Ani ahnungslos nach Hause kam, sah sie auf den Treppen ihren Nachbarn, einen Russen. Er stand dort mit einer Axt in der Hand und wartete darauf, dass die Einbrecher an den Tatort zurückkehren würden. Er war so aufgeregt, dass er nur auf Russisch reden konnte. Ani holte ihre Russisch-Kenntnisse aus ihren Erinnerungen - eine Sprache, die sie in der Volksschule in Bulgarien gelernt hatte - und versuchte ihn zu beruhigen. Sie erklärte ihm, dass, wenn er mit einer Axt im Stiegenhaus stehe, sicher bald jemand die Polizei holen würde. Und dass die Geschichte, dass Verbrecher immer an den Tatort zurückkehren würden, aus Detektivromanen stamme. Er hat ihre Argumente verstanden. Später klingelte er an ihrer Tür, weil die Einbrecher alle seine Töpfe geklaut hatten und er sich nirgendswo einen Tee kochen konnte. Das kam der Französin sehr lustig vor und sie lud ihn ein, statt Tee Wein mit ihr zu trinken. Ani hat mir nicht erzählt, in welcher Sprache sich die beiden verständigt haben.
Ich habe diese Geschichte von Ani erzählt, weil ich von einer neuen Integrationsidee der CSU in Deutschland gelesen habe: Alle Migranten, die sich entschieden haben, sich dauerhaft in Deutschland niederzulassen, sollen nicht nur auf öffentlichen Plätzen, sondern auch zu Hause nur Deutsch sprechen. Wie diese Partei wohl kontrollieren will, welche Sprache die Menschen in ihren eigenen vier Wänden sprechen?
"Wir sollen unsere kulturelle Identität verteidigen!", schreien allerlei Demagogen in verschiedenen europäischen Sprachen. Der CSU-Vorschlag mag von der deutschen Presse mit Spott und Häme aufgenommen werden, aber er ist dazu da, eine gewisse Wählergruppe anzuziehen. Diese Gruppe kennt weder den Russen Dima, noch die Brasilianerin Tora, noch die Französin Elaine. Und die verlorene Liebe von Tante Dragana ist ihr völlig egal.
Deshalb Ani, sprich weiter deine sieben Sprachen!