Erstellt am: 11. 12. 2014 - 16:32 Uhr
F*cking Utopia
Every Time We Fuck We Win!, das ist vielleicht der schönste Titel, der je ein Menschenrechts-Filmfestival gekrönt hat. Ganz ehrlich: Wie gerne gehen Menschen wirklich zu einem Menschenrechts-Filmfestival? Kann überhaupt ein “politischer Film” wirklich “politisch” sein (sofern man davon absieht, dass sowieso alles politisch ist) - oder ist so ein Festival nicht auch einfach eine Möglichkeit, vor sich selbst zu rechtfertigen, dass man nichts tut, weil ja sowieso alles hoffnungslos ist. Also lieber eine Doku anschauen und danach den Kopf hängen lassen, anstatt auf die Straße zu gehen und zu brüllen: "ich bin verdammt wütend und ich lass mir das nicht länger gefallen!"
Wer meint, die Fiktion sei wirksamer als die Dokumentation, fühlt sich heuer von Menschenrechts-Filmfestival This Human World belohnt: eine Reihe mit dem Schwerpunkt "Queer Porn" zeigt tatsächlich Pornofilmchen (sowie eh auch ein paar Dokus).
Virginie Despentes/This Human World
Queer Porn, und das wird auch während des Festivals klar, ist eine sehr heterogene Bewegung und Sub-Kultur, die verschiedene Ziele zu haben scheint. Im Grunde versteht sie sich als Gegenbewegung sowohl zum Porno-Mainstream als auch zur "Sex-Negative Culture" des älteren U.S.-amerikanischen Feminismus (von der Gesellschaft ganz zu schweigen).
Dabei geht es bei Queer Porn offensichtlich nicht (nur) darum, eine weitere Fetischkategorie zu befriedigen - im Internet gibt es ja sowieso alles, was man sehen oder nicht sehen möchte - sondern um einen dezidiert anderen Ansatz, ein Statement, das Sichtbarmachen. Es geht mehr um die Darstellung von Geilheit als die Erschaffung von Geilheit. Eines der Hauptmerkmale des Queer Porns ist dann auch die Lust seiner Darsteller, deren Extase sonst so selten sichtbar wird - gemeinsam mit dem Versuch, Pornos für queere Menschen herzustellen.
So, so much Pussy.
Virginie Despentes' Dokumentarfilmdebut Mutantes - Féminisme porno punk (2009) liefert bei seiner Österreichpremiere einen Überblick über die uneinheitliche Geschichte des Queer Porns, seinen verschiedenen Gattungen, Schattierungen, und Gedankenansätzen.
Despentes, berühmt für ihre Romane und Filme wie Baise-moi (2000) und Bye-Bye Blondie (2012) ist eine Meisterin eines punkigen, radikalen, vielleicht freiwillig miesen Stils. Es ist nie ganz klar, warum und wie Despentes Dinge in ihren Filmen umsetzt; Information bekommt man bei Mutantes jedoch in großen Portionen, auch wenn diese manchmal zersplittert ist.
Émilie Jouvet/This Human World
Das Gegenstück dazu bildet Much More Pussy! (2012) von Émilie Jouvet - hier reisen verschiedene queere PerformancekünstlerInnen in einem kleinen Bus durch Europa. Alle haben sie unterschiedliche sexuelle Identitäten, Praktiken, Präferenzen. Zwischen den typischen dokumentarischen Aufnahmen von Auftritten und privaten Gesprächen entstehen kleine pornographische Intermezzi, die vom Rest der Doku autonom sind. Umgeben von glitzernder Schminke, bunten Tattoos und Netzstrümpfen wird gefistet und ge-deep-throated, geleckt, gespielt, gekommen und ejakuliert.
Es tut mir immer ein wenig Leid, wenn ich gegen Dokumentarfilme grantel. Das ist fast so, als würde man ein kleines Tier treten: Wer würde so etwas tun wollen? Es ist doch gut, dass es diese Filme gibt, und dass sie überhaupt versuchen, Menschen zu informieren - oder was auch immer Dokumentarfilme tun wollen. Aber gerade dann finde ich ihren Ansatz so schwierig und unreflektiert (besonders bei Despentes) und liebe es um so mehr, wenn in Much More Pussy! der dokumentarische Aspekt zurückweicht und der pornografische Film, das rein Geile also, in den Vordergrund rückt. Hier passiert das nicht ausschließlich in den kleinen Intermezzi, sondern auch in den dokumentarischen Aufnahmen, bei Auftritten oder wenn die DarstellerInnen sich plötzlich das Gewand vom Leib reißen um nackt durch die Nacht zu rennen. Dann ist der Film selbst einfach verdammt geil.
Softpornophotographie
Ähnlich wie mit den Dokus geht es mir mit gewissen Pornos, die im Festivalprogramm stehen. Goodyn Greens Photographie, deren Filme Shutter (2014) und Want Some Oranges (2013) gezeigt werden, kennt man bereits von z.B. Tumblr. Ihre Photos zeigen spärlich bekleidete queere Körper, die photographische (und filmische) Arbeit ist wirklich hübsch und sexy. Ihre Models tragen diese bunten American Apparel Unterhosen, von denen kann man eh nicht genug sehen, und auf manchen Photos ist ganz leicht “IKEA” am Boden von Gläsern zu erkennen. Das ist auch irgendwie unvermeidlich und könnte als antikapitalistisches Statement durchgehen, oder so.
Goodyn Green/This Human World
Greens Filme sind zwar vielleicht Queer Porn, aber sind sie wirklich Pornografie? Sie sind so ästhetisch, dass der Boner nicht ganz hochkommt. Die Filme werden zu Erotika oder zum Kunstfilm, aber ich frage mich wirklich, ob jemand davon geil wird (meine queeren Freunde murmeln: "Naja"), oder ob man sich solche Filme zum masturbieren anschauen würde. Natürlich sind die Filme schön, keine Frage. Solche Aufnahmen sollte es ständig geben, sie sollten überall gezeigt werden, auch wenn sie einen Urban Outfitters Katalog evozieren. Aber wenn Queer Porn sich gegen die Sex-Negative Kultur behaupten will, sollte man dann nicht ein bisschen dreister sein, als solch softe Filme über Sex zu machen? Bei Green wirkt sogar BDSM irgendwie, ich weiß nicht, nett.
Und Pornographie sollte doch auch etwas derbes, grausliches haben.
Best Slumber Party Evar!
Am allerspannendsten finde ich Samuel Shanahoy, seine Webpräsenz und skurrilen Filme. Darin werden 90er Jahre Codes der North American Girlhood witzig aufgegriffen: Süßigkeiten werden zu Dildos und anderem Spielzeug, Slumberparties zu witzigen Orgien. Ein kleiner Blick auf Shanahoys Tumblr genügt.
Samuel Shanahoy/This Human World
“When I’m bored, I get horny. And when I’m horny, I get mean,” raunt entweder Lacy, Tracy oder Stacy, bevor der weirde Nachbarsbub Randy zu einer besonders verspielten Pyjamaparty eingeladen wird in Best Slumber Party Ever (2012). Shanahoys Filme sind Kunstwerke, hübsche und verrückte Spiele, die Porno mit so etwas wie Rookie Magazine verbinden – das allein ist schon auf eine sehr gute Art “dirty” und absolut nicht zu versäumen.
Zu den eigentlich apokalyptischen BBFC guidelines:
Gut, dass sich diese alternative Pornowelt laut macht. Immerhin ist es dann doch ein wenig Lust in einer so lustfeindlichen Welt. Wie bereits hier berichtet, ist vorige Woche in Großbritannien eine lange Liste an anscheinend unzumutbaren Praktiken veröffentlicht worden, darunter, ich zitiere:
“the detailed portrayal of violent or dangerous acts [...] which may cause harm to public health or morals. This may include portrayals of sadistic or sexual violence which make this violence look appealing; reinforce the suggestion that victims enjoy sexual violence; or which invite viewer complicity in sexual violence”.
Unter anderem sind da auch Facesitting und weibliche Ejakulation verboten - da kann ich gar nicht ... was überhaupt ... ich weiß gar nicht ... da verschlägt es einem einfach die Sprache.
Every Time We Fuck We Win! läuft noch bis 13.12. im Rahmen von This Human World.
Es lässt sich nur mehr sagen: Mut nicht verlieren, weitermachen.
Wie heißt es noch so schön in Dušan Makavejevs Mysterien des Organismus (1971) - "Fuck Freely, Comrades!"