Erstellt am: 9. 12. 2014 - 10:36 Uhr
Ralph H. Baer, 1922 - 2014
Es war 1985 im sogenannten Spieledachboden unseres Hauses. Die Dachschräge hat mich als 6-Jährigen nicht weiter gestört, die bunt tapezierten und beklebten Wandschrankelemente haben ein unterhaltsames und gemütliches Ambiente geschaffen. Dort war sie prominent platziert, direkt unter einem schon damals alten Fernseher: die Philips Videopac-Spielkonsole. Sie war sowohl Rückzugsort zum Spielen alleine, als auch geselliges Unterhaltungsobjekt, wenn ich mit Familie und Freunden mal wieder "Affenjagd", "Burgenschlacht" oder "Supermampfer" gespielt habe. Das war rückblickend meine erste Begegnung mit der inhaltlichen, kulturellen und sozialen Vielfalt von Videospielkultur.
Public Domain
Knapp zwei Jahrzehnte sollten vergehen, bis mir bewusst wurde, dass das Gerät der europäische Ableger der Odyssey² von der US-amerikanischen Fernsehgeräteherstellerfirma Magnavox war. Es war der Nachfolger der allerersten Spielkonsole überhaupt, der Odyssey, erschienen 1972.
1972 ist für digitale Spielkultur ein magisches Jahr, denn da gründete sich Atari und ihr erstes Spiel "Pong" wurde veröffentlicht - jenes Spiel, mit dem die Games-Industrie quasi begonnen hat. Nur hatte ein gewisser Ralph H. Baer, ein aus Deutschland stammender Fernsehingenieur, die Idee eines elektronischen Ping-Pong-Spieles bereits Mitte der Fünfziger Jahre. Weil die Idee damals so fortschrittlich und Baer ein Erfinder und kein Geschäftsmann war, dauerte es eine Weile, bis seine bahnbrechende Idee auf den Markt kam. Der Rest ist Geschichte - die jedoch zunächst etwas falsch geschrieben wurde.
Vater des Heimvideospiels
Nadja Igler, ORF.at
Anfang der Nuller Jahre war Baers Pionierarbeit noch verschüttet und sein Name der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Mittlerweile besteht aber kein Zweifel mehr daran, dass Ralph Baer der Erfinder des Heimvideospiels ist. Die anderen beiden Stränge der Games-Kultur, das Computerspiel und der Videospielautomat haben sich zunächst parallel dazu entwickelt, erst später sind alle drei Herkunftsformen zusammengewachsen. Baers Erfindung war dabei ohne Zweifel die zugänglichste, die bereits vorhandene Technik und Geräte neu gedacht hat. Warum, so der Gedanke, sollte man mit den ganzen Fernsehern, die überall herumstehen, nicht mal etwas anderes machen als nur zuzusehen? Dieser Zugang unterscheidet den Techniker und technischen Administrator vom Ingenieur und Erfinder: Man belässt es nicht beim Warten und Optimieren. Stattdessen gibt es den Drang, die Sache aus anderen Blickwinkeln zu betrachten und neue Möglichkeiten zu entdecken und umzusetzen.
Ralph Baer auf fm4.ORF.at:
Über Baers Buch, wo er seine Erfindung des Heimvideospiels detailliert nachzeichnet (2005)
Ralph Baer zu Gast in Deutschland (2009)
Ralph Baer war nicht nur unbändigbarer Erfinder und Bastler bis zu seinem Tod, sondern auch akribischer Dokumentierer. Er hat nicht nur seine Arbeiten schriftlich festgehalten, sondern auch Begebenheiten, Zusammentreffen, Gespräche, Meinungen und Ergebnisse. Typisch Techniker - er wusste nicht nur von den Mängeln und Problemen der Geräte, sondern auch von jenen des Menschen. Er traute seinen eigenen Erinnerungen nicht - die seien schon okay, meinte er sinngemäß, aber präzise sei eben etwas anderes. Dieses Bonmot ist beispielhaft für Ralph Baers Wesensart: Er war ein pragmatischer, sehr praxisbezogener Gestalter, meinungsbildend und humorvoll. Ein charmanter Fatalist, der nichts schön geredet hat, sich aber von der kindlichen Freude am Entdecken bis zuletzt verführen hat lassen.
Nadja Igler, ORF.at
Bis kurz vor seinem 90. Geburtstag ist der im deutschen Pirmasens geborene und 1938 in die USA emigrierte Ralph H. Baer mehrfach durch sein Heimatland sowie durch ganz Europa getourt. Er hat dabei die (nachgebaute) Urkonsole "Brown Box" aus dem Jahr 1968 vorgeführt, sich mit technik- und kulturhistorischen Institutionen vernetzt und vor allem seine reichhaltige Lebensgeschichte erzählt. Die beginnt bei den frühen Jahren in Deutschland und der Flucht vor dem Naziregime, reicht über eine turbulente Karriere in der US-Army während des Zweiten Weltkriegs, bis zur Ausbildung als einer der ersten Fernsehingenieure der Welt und endet in einer bewunderswerten Karriere als Erfinder technisch-verspielter Geräte und Produkte - neben dem Heimvideospiel übrigens unter anderem auch das berühmte Farbenmerkspiel "Simon".
2009 hat Ralph Baer (begleitet von seinem Sohn Mark) einen guten Teil dieser Geschichte Nadja Igler (ORF.at) und mir in Leipzig erzählt. Was als Interview von circa einer halben Stunde angedacht war, ist zu einem mehr als einstündigen Gespräch geworden. Anlässlich des Todes von Ralph Baer habe ich das Interview komplett neu geschnitten, und es in fünf Kapitel aufgeteilt:
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Nadja Igler, ORF.at
Digitale Spielkultur hätte sich keinen liebenswürdigeren Gründervater wünschen können. Danke, Ralph Baer, für den Tatendrang, die Leidenschaft, die Beharrlichkeit und die Begründung einer neuen, einzigarten Kulturform.