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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

8. 12. 2014 - 12:49

Für die Chance, Fehler zu machen

Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen oder mit Lernschwierigkeiten bekommen oft SachwalterInnen vorgesetzt. Damit geht ein großer Teil ihrer Selbstbestimmung verloren.

Licht ins Dunkel

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"Sachwalter behindern Menschen in ihrer Selbstständigkeit. Ich habe auch 25 Jahre lang einen gehabt", sagt Lucia Vock. Sie arbeitet bei Jugend am Werk und wurde 25 Jahre lang besachwaltet – wie das so schön im Beamtendeutsch heißt. Zuerst war eine Rechtsanwältin für sie verantwortlich, dann ein Vereinssachwalterin vom Vertretungsnetz, das ist einer der vier staatlich beauftragten Sachwaltervereine.

Für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung oder psychischer Krankheit, die volljährig sind, wird oft eine Sachwalterin oder ein Sachwalter eingesetzt. Das sind Menschen, die für sie bestimmte Angelegenheiten regeln. Wie Verträge unterschreiben oder Anträge stellen. Aber auch in medizinische Behandlungen einwilligen oder das Konto verwalten fällt in den Aufgabenbereich eines/r SachwalterIn. Ob und in welchem Ausmaß jemand eineN SachwalterIn bekommt wird immer von einem Gericht bestimmt. Rund 60.000 Menschen in Österreich haben derzeit einen Sachwalter oder eine Sachwalterin.

Bis vor 30 Jahren wurden Menschen wegen wie kognitiver Beeinträchtigung oder psychischer Krankheit nicht mehr selbst entscheiden konnten, „entmündigt“. Das gibt es seit 1984 nicht mehr. Mittlerweile werden aber SachwalterInnen für sie eingesetzt. SachwalterInnen können Anwältinnen oder SozialarbeiterInnen sein –aber auch so genannte AngehörigenvertreterInnen, das sind die eigenen Eltern oder Kinder oder sogar FreundInnen.

Lucia Vock regelt seit Mai ihren Alltag endlich wieder selbst: „Ich kann meine Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen, wie die Miete auf der Bank einzahlen. Das ist ein großer Unterschied.“ Kleinere Wünsche außerhalb des täglichen Bedarfs, erfüllt sich Lucia Vock jetzt einfach. Das war früher nicht so, da musste sie die Sachwalterin fragen. Bei größeren Käufen - angenommen, sie würde ein Auto haben wollen - bespricht sie das mit ihren BetreuerInnen bei Jugend am Werk. Die Entscheidung trifft sie dann letztendlich selbst. „Ich werde unterstützt, wenn ich das brauche oder will. Das hängt ganz von mir ab“, sagt Frau Vock. Das Modell nennt sich „unterstützte Entscheidungsfindung“ und gilt unter SelbstvertreterInnen von Menschen mit Behinderung als Idealsituation.

Überweisung ausfüllen

APA/HELMUT FOHRINGER

Selber die Finanzen verwalten, anstatt immer die SachwalterIn fragen...

Selber Fehler machen

"Dass Menschen mit Behinderung, sobald sie die Möglichkeit haben, alles selbst zu entscheiden, die wahnsinnigsten Investitionen und die unnötigsten Ausgaben tätigen würden, ist einfach ein völliger Blödsinn!", sagt Marianne Schulze. Sie ist Menschenrechtsexpertin und Mitglied des Monitoringausschusses, der überwacht, dass die UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich umgesetzt wird. "Was passiert, ist, dass Menschen sagen: Bis dorthin möchte ich selbst entscheiden, den Teil kann ich nicht, da möchte ich Unterstützung."

Sicher gebe es auch mal Menschen, die sich unbedingt den Ferrari kaufen wollten, ohne dass das Geld dafür da sei - aber der Prozentsatz sei auch nicht höher als in der Gesamtbevölkerung. Nur würde der Rest der Bevölkerung, im Gegensatz zu Menschen mit Beeinträchtigung, nicht bevormundet und vorsorglich von jedem Risiko ferngehalten. "Menschen mit Behinderungen dürfen überhaupt keine Fehler machen und werden vor allen vermeintlichen Widrigkeiten des Lebens geschützt", sagt Schulze. "Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass Menschen mit Behinderungen vor lauter Gut-Meinen die Erfahrung von Fehlern nicht machen können. Zum Menschsein gehört es aber dazu, Fehler zu machen."

Eingriff in höchstprivate Bereiche

Mehr dazu im Infoblatt Sachwalterschaft vom Vertretungsnetz (auch in leichter Sprache vorhanden).

Sachwalterrecht im Bürgerservice des Justizministeriums.

Der Monitoring-Ausschuss kritisiert, dass Sachwalterschaft in Österreich viel zu oft und viel zu umfassend vergeben wird. Der Grund dafür ist, dass das Einsetzen eines/r SachwalterIn oft als bequemer und schneller empfunden wird, sagt Marianne Schulze. "Da wird dann die Frage, wo jemand wohnt, die Einwilligung in medizinische Behandlungen oder die Frage der Heirat, also sehr persönliche Dinge in sehr unfassendem Maße von SachwalterInnen bestimmt."

Zahnarztbesuch

dpa/Rolf Vennenbernd

Einwilligen in medizinische Behandlungen, ohne SachwalterIn wäre ein Ziel.

Bei einer öffentlichen Sitzung des Monitoringausschusses zum Thema „Unterstützte Entscheidungsfindung“ berichteten Betroffene zum Beispiel davon, dass SachwalterInnen sie gegen ihren Willen zu Sportkursen anmeldeten oder dass sie ihnen nicht erlauben wollten zu heiraten, sondern stattdessen eine Segnung vorschlugen.

Die Sache mit dem Geld

Auch die Frage von Vermögen spielt eine große Rolle: Sachwalterinnen können aus dem Vermögen ihrer KlientInnen bezahlt werden. Wie hoch das ist, ist in Prozent festgeschrieben: Fünf Prozent des Netto-Einkommens der Betreuten können SachwalterInnen als Entschädigung für ihren Aufwand verdienen (ausgenommen sind zweckgebundene Einkünfte wie Pflegegeld, Familien- oder Wohnbeihilfe). Und zusätzlich zwei Prozent ihres Vermögens, wenn das Barvermögen mehr als 10.000 Euro ausmacht. Über die Höhe der Entschädigung entscheidet immer ein Gericht.

Deswegen ist es oft eher im Sinn der SachwalterInnen, Vermögen zu halten, als es nach dem Wunsch ihrer KlientInnen auszugeben. Immer wieder kommt es vor, dass SachwalterInnen sagen, es sei kein Geld für bestimmte Anschaffungen da, obwohl es das sehr wohl wäre. Daher ist auch eine Forderung der SelbstvertreterInnen, die SachwalterInnen anders zu bezahlen als über Vermögensprozentsätze. "Da gibt es leider einige Extremfälle zu viel", sagt Marianne Schulze. "Die Art und Weise wie Sachwalterschaft ausgesprochen wird, das begünstigt so Machtspielchen, die sich ums Geld drehen."

Wobei es natürlich umgekehrt viele besachwaltete Menschen gibt, die wenig bis nichts haben und deren SachwalterInnen so gut wie nichts verdienen.

Neue Wege

SelbstvertreterInnen von Menschen mit Behinderungen fordern, dass RichterInnen die umfassende Sachwalterschaft nicht mehr so oft vergeben und stattdessen mehr an Alternativen denken: Man könnte eineN SachwalterIn nur für Teilbereiche, wie zum Beispiel Behördengänge, festlegen. Anstatt den Menschen die Kontrolle über ihr Geld komplett zu entziehen, könnte man ihnen ein betreutes Konto einrichten, wie es das zum Beispiel bereits für SchuldnerInnen gibt. Und für private Entscheidungen könnte man das Modell der unterstützten Entscheidungsfindung benutzen, wie das bei Frau Vock der Fall ist.

Die so genannte unterstützte Entscheidungsfindung ist kein fixes Modell. Bis vergangenen März gab es ein Pilotprojekt. Jetzt gerade tagt eine Arbeitsgruppe im Justizministerium, die gemeinsam mit SelbstvertreterInnen von Menschen mit Behinderung daran arbeitet, das Sachwaltergesetz zu reformieren. Einen ersten Entwurf soll es Ende 2015 oder Anfang 2016 geben.