Erstellt am: 5. 12. 2014 - 17:33 Uhr
The daily Blumenau. Friday Edition, 05-12-14.
The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.
Etwa ein Monat nach diesem Eintrag kam CitizenFour dann schließlich doch in die österreichischen Kinos; und erhielt beachtliche Coverage. Dass ein Film, auch ein tagespolitisch bedeutender, nur und erst dannn existiert, wenn er einen Verleih hat, bleibt eines der grundlegenden Probleme des österreichischen (Film-)Journalismus.
#netzpolitik #machtpolitik #bewegtbild
1: der Naturwissenschaftler auf dem Philosophie-Parkett
Wenn ein Naturwissenschaftler, im speziellen ein Mathematiker wie Rudolf Taschner, dessen Expertise sich auch in den Bereich der Kryptologie erstreckt, an der komplexen Geschichte des Edward Snowden interessiert ist, hat das eine gewissen Logik.
Wenn der Naturwissenschaftler in einer an sich populärwissenschaftlichen Kolumne dann - vielleicht versehentlich - den eigenen Bereich verlässt und sich im komplexen Gestrüpp (höchst bereichsfremder) geisteswissenschaftlicher, vor allem philosophischer Fragen verliert, wie in seiner aktuellen Veröffentlichung, dann kann das schon einmal katastrophal in die Hose gehen. Was vor allem dann, wenn man seine Opposition zur dieswöchigen Verleihung des alternativen Nobelpreises mit Beleidigungen untermauern muss - ja fast schon mitleiderregend ist.
Weil Taschner seine Kernthese (dass jeder aufgeklärte Weltbürger sich im Klaren sein muss, dass jegliche elektronisch abgesetzte Information von jedem bemühten Geheimdienst des Planeten aufgefangen werden kann) nicht gebührend unters aufzuklärende Volk streuen kann, übersieht er nicht nur seine Kinderstube sondern auch den zentralen politischen Aspekt von Snowdens Whistleblowing. Etwa, dass die Vermutung eines Mathematik-Professors (selbst wenn er es theoretisch oder per Versuch prüfen könnte) deutlich weniger Beweiskraft hat, als das Vorlegen von Dokumenten. Und ja, so etwas nagt an der Psyche eines großen Egos.
Dabei ginge es um die Bewertung der Bedeutung, die Snowdens Enthüllung für die Psychohygiene der westlichen Welt hat/te, um das Zurechtrücken von Gut/Böse-Schemata (da ist der Professor, seit seinem Stanford-Aufenthalt ein strammer Amerikaner, auch co-beleidigt) und finally auch um ein Einsickern genau des Bewusstseins,.. dass der Kryptologe in Taschner ja eh auch selber will: dass man nicht so fucking naiv bleiben darf.
Das sind übrigens allesamt keine naturwissenschaftlichen Fragen.
2: die Agentur-Posting-Kampagnen-Aufdeckung reloaded
Letzten Monat hatte das Magazin Datum eine Cover-Geschichte, die den zynischen Graubereich zwischen PR, Meinungsmache und Manipulation im Web-Posting-Bereich ausleuchtete und Beweise schürfte, die große Firmen und Parteien, bzw. die von ihnen beauftragten Agenturen beim üblen Stimmungmachen ertappte. So schwer das juristisch zu verfolgen ist: wer bewusst lügenstreuende Fake-Charaktere in Sucht-Foren schickt, ist nicht besser als der Dealer vom Straßeneck.
Dieses Monat geht's weiter: man hat Belege für eine Kampagne des im internationalen Kleptograten-Milieu stattfindenden und in Wien angesiedelten Fall Aliyev. Die fand im Rahmen einer auf die Beeinflussung von laufenden Prozessen spezialistierten Agentur eines Ex-News-Verlags-Chefredakteurs und Meinl-Bank-Sprechers statt.
Nimmt man des Mathematikers Kommentar zum Maßstab, ist auch diese Enthüllung keine; wahrscheinlich könnte er auch hier volks- oder sonstigen wirtschaftlichen oder gar politischen Schaden herausarbeiten, der ihn dazu veranlassen würde, das Bejubeln der Veröffentlichung als Schwachsinn abzutun.
Immerhin muss Datum-Enthüller Stefan Apfl nicht in Moskau Exil nehmen, weil er sonst nach Guantanamo kommen würde - er wird nur auf dem Zebrastreifen vor seiner Redaktion angefahren; aber das war wohl ein echter Unfall.
3: die Schnittmenge von Daten-Spionage und Beeinflussung
Die durch die Aliyev-Enthüllung jetzt auch in internationale Dimensionen (auch echte Lebensgefahr inkludierende) vorstoßende Fake-Posting-Affäre zeigt auch etwas anderes: wie vielschichtig mittlerweile Machtsysteme und die sie schützenden interessenswahrenden Nachrichtendienste arbeiten.
Früher mochte es genügen, dass sich etwa die CIA in beispielsweise Österreich der Mitarbeit von einigen Journalisten, öffentlichen Personen und Meinungsträgern, vielleicht sogar Professoren versichert und über diese Kontakte die Balance des öffentlichen Diskurses beeinflusst.
Mittlerweile geht ohne direktes Einsickern in die Tiefen des Web 2.0 gar nichts. Trotzdem sind offensichtliche Galionsfiguren wichtig - das zeigt das aktuelle Propaganda-Match der Giganten (USA vs. Putin) ja gerade formschön vor; auch wenn das Duell in Deutschland schärfer abgeht als in der hiesigen Debatte.
Die Hoheit über den Ausschlag des Meinungs-Pendels gilt zwar als aktuell minder bedeutend, ist aber letztlich immer noch das zweite (wenn man so will philosophische - Standbein der erfolgreichen nachrichtendienstlichen Tätigkeit jenseits des - naturwissenschaftlich basierten - klassischen Datensammel-Geschäfts.
4: warum Snowden nicht nach Österreich ausstrahlen darf
Ende Oktober hatte CitizenFour eine Dokuder US-Filmerin Laura Poitras Premiere. "Bürger Nr. 4" ist Ed Snowden. Das ist der Trailer dazu.
Die Vermutung, dass die Verbreitung dieser für die US-Regierung höchst unangenehmen Film-Doku ordentlich behindert wird, ist angebracht. Auf dem Flüstermarkt war diesbezüglich von vielen Schikanen die Rede.
Ein Blick auf die Veröffentlichungs-Liste aller movie theatres in den USA und Umgebung beruhigt dann einigermaßen.
In England, wo der Guardian als großer Unterstützer der Aufklärung platzhirscht, sprechen gegen die übliche hündische 51st State of America-Routine der Briten.
Im November kam Citizen Four dann in den deutschen Kinos (hier die Kino-Liste des Verleihs) - und auch ins deutsche Feuilleton (wenn auch z.B. hier mit absurd kleinlichen Einschränkungen). Gut, die Beginn-Zeiten (vor allem die in den Großstädten) beschränken sich auf den Nachmittag, was schon eigenartig ist, aber sei's drum.
In Österreich ist alles anders.
Auch hier tat der heimische Filmjournalismus das, was er kann: rezensieren. Hier oder hier.
Der in beiden Besprechungen kurz aufgeworfene Anmerkung, dass der Film in Österreich keinen Vertrieb gefunden hatte, wurde nicht weiter nachgegangen. Was auch damit zu tun hat, dass ganz ganz viele gute, wichtige und tolle Filme, nicht nur Dokus sondern auch Spielfilme, keinen heimischen Verleih finden. Und sich die Fachredaktionen, die ja mit den Verleihern zusammenarbeiten müssen, nicht den ganzen Tag mit Wehgeklage über ein strukturelles ökonomisches Problem aufhalten können. Diese - ebenso strukturelle - Betriebsblindheit verhindert dann aber auch das Verfolgen einer eminent politischen Frage. Nämlich der, wie leicht es fällt, Snowden für ganz Österreich uner/gehört zu machen, wenn man sich nicht kümmert.
Genausowenig wie diese politische Frage von Filmfachjournalisten gestellt werden kann (zumindest jenen in Österreich, denen entweder die Fähigkeit abgeht gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge herzustellen oder die daran durch ökonomische/machtpolitische Gründe gehindert werden), genauso schwer fällt es hiesigen Naturwissenschaftlern, globale komplexe Fragen in einen entsprechenden Zusammenhang zu stellen.
Abseits aller - auch in diesem Text konstruktionstechnisch angelegten - absurden Verschwörungstheorien reicht nämlich der ganz gewöhnliche allgegenwärtige austriakische Ignoranz-Modus, um ein gesamtes nationales Territorium schön snowdenfrei zu halten bzw. eine Debatte ohne entsprechende Bewegtbilder-Aussagekraft führen zu müssen.