Erstellt am: 6. 12. 2014 - 06:00 Uhr
Willkommen in Dryland
Wir sind hoch über Innsbruck, im Höttinger Graben, doch immer noch mitten drin in der Nebelsuppe, die das Panorama verbirgt. Hier finden sich steile Felsen und Höhlen, die das Herz jedes Kletterers höher schlagen ließen, wären sie nicht feucht und aus Brekzie, einem brüchigen Gestein, das durch Muren entstanden ist. Doch wir sind nicht zum Klettern hier, sondern zum Dry-Toolen, dem Trockentraining für Eiskletterer. Statt mit Kletterpatschen und Magnesia sollen die Höhlen hier mit Eisgeräten und Steigeisen durchstiegen werden.
Simon Welebil
Für Eiskletterer sind die Bedingungen im Höttinger Graben nahezu ideal, erzählt Benni Purner, Bergführer und einer der besten österreichischen Eiskletterer. Hier müssen sie sich keine Vorwürfe anhören, sie würden mit ihren Geräten den Fels kaputt machen, und an den feuchten Stellen wachsen im Winter Eiszapfen. Albert Leichtfried, Bennis Seilpartner, hat dieses Gebiet vor über zehn Jahren erschlossen und es gemäß seinem Verwendungszweck "Dryland" getauft. Seither trifft sich hier die Eiskletter-Elite im Herbst zur Saisonvorbereitung. Im Hochwinter wechseln sie in andere Gebiete, denn dann wird der Zustieg zu "Dryland" zu gefährlich. Das Gebiet liegt mitten im Lawinenstrich der Innsbrucker Nordkette.
Der klassische Weg eines Alpinisten
Benni Purner hat auf fast klassische Weise zum Eisklettern gefunden. Beim Hochtourengehen musste er sich zum ersten Mal mit der Materie auseinandersetzen und Eispassagen klettern. Um sich darauf besser vorzubereiten, hat er begonnen, an gefrorenen Wasserfällen zu trainieren. Wenn man die Schwierigkeiten von einem Wasserfall noch steigern will, landet man irgendwann im Fels-Eis-Mixed-Gelände, und dafür trainiert man dann im Trockenen, wie eben hier.
Simon Welebil
Bevor Benni in die erste vorgebohrte Route einsteigt, schleift und feilt er die Haue an seinem Eisgerät. Die Haue muss auch auf einer wenige Millimeter kurzen Leiste sitzen und dafür muss sie möglichst scharf sein. Dann setzte er den Pickel auf einen kleinen Felsvorsprung und klettert los zum ersten Sicherungshaken im fast waagrechten Höhlendach. Auf die Eisgeräte muss er sich total verlassen können. "Schwierig ist, über etwas zu fühlen, das überhaupt nicht fühlt, ob ein Griff hält, weil man ihn oft ja nicht sieht", erklärt er das Problem mit seinen verlängerten Armen.
Simon Welebil
In diesem Fall hält alles. Benni turnt im Dach der Höhle, verklemmt die Hauen seiner Eisgeräte in kleinste Risse, legt den Fuß über den Arm, um sich auszurasten oder die Position zu verändern. Er keucht vor Anstrengung, aber die lohnt sich. In nicht einmal zehn Minuten ist er am Top der Route, die mit der Schwierigkeit M13 zu den schwersten weltweit zählt. Sie ist nur überhängend, bietet kaum Rastpunkte und erstreckt sich fast über das gesamte Höhlendach. Ein paar Stellen sind noch dazu so unsicher, dass die Chance, dass man sich daran halten kann oder sich im Seil wiederfindet, 50:50 steht. Besonders entspannt kann man in solchen Situationen die Griffe nicht mehr halten, die Unterarme werden schnell hart.
Simon Welebil
Kraftausdauer und Maximalkraft sind zwei der Eigenschaften, auf die es beim Klettern mit Eisgeräten und Steigeisen ankommt, dazu Schnellkraft für dynamische Züge, Beweglichkeit und gute Koordination. "Es gibt durchaus Beispiele in der Klettergeschichte, die beweisen, dass intensives Klimmzugtraining und die totale körperliche Zerstörung durchaus einen positiven Trainingseffekt haben", sagt Benni in Anspielung auf Markus Bendler, den ehemaligen Eiskletterweltmeister, der in einem Video Einblicke in seinen Trainingsalltag gibt. Benni Purner hingegen würde keinen Klimmzugwettkampf gewinnen, er muss viel über Ausdauer und Fußtechnik lösen, um nicht zu schnell blau zu sein.
Simon Welebil
Vier Routen schafft Benni an diesem Tag. Dann ist er mit seiner Kraft am Ende. Schön langsam könnte der Winter kommen, denn obwohl das Dry-Toolen und das Mixed-Klettern in der Höhle eine große Herausforderung sind, ist die Leidenschaft für das Eis noch mal größer. "Es ist einfach die veränderliche Materie beim Eisklettern. Das geht vielleicht einen Tag und sonst nie. Man klettert also auf zeitlich begrenzten Strukturen und das fasziniert mich."
Sicher unterwegs in der gefährlichen Materie
Die Einschätzung der Eisstrukturen vor dem Eisklettern erfolgt ähnlich wie die Einschätzung des Lawinenrisikos beim Tourengehen oder Freeriden. Das Aussehen und die Stabilität des Eises wird bewertet, die Steilheit und seine Verbindung mit dem Fels abgeschätzt. "Das Tolle ist für mich, dass ich eine an und für sich gefährliche Materie möglichst sicher begehen kann."
Elias Holzknecht www.woodslave.com
Dass Eisklettern ein gefährlicher Ruf anhaftet, macht Benni an den Ereignissen in den Neunziger Jahren fest. Damals hätten einige wilde Typen Aktionen geliefert, die mit dem damaligen Material fast unverantwortlich waren. Heutzutage sei Eisklettern durch die Entwicklung auf dem Materialsektor und der Trainingsmöglichkeiten auf dem Weg zum Breitensport. Über Eisklettergärten, die auch mit Bohrhaken ausgestattet sind, ist heute der Einstieg ins Eisklettern fast gefahrlos möglich.
Elias Holzknecht www.woodslave.com
In solchen Eisklettergärten wird man Benni Purner allerdings womöglich nie antreffen. Er träumt von großen Projekten und Neuerschließungen. "Das Schönste ist, wenn man ins Unbekannte startet und quasi Neuland betritt." In den letzten sechs Jahren ist er mit Albert Leichtfried in Norwegen gewesen, wo sie einige sehr lange, neue Eislinien begehen konnten. Beim Abstieg nach Innsbruck erzählt mir Benni von seinen neuen Projekten. Im Februar wollen sie erstmals nach China. Dort gibt es noch viel Neuland abzustecken.