Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Wer hat Angst vorm Pick-Up-Artist?"

Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

5. 12. 2014 - 13:09

Wer hat Angst vorm Pick-Up-Artist?

Sicher nicht Kommunikationstrainer Guido Meyn. Er analysiert die Strategien dieser selbsternannten "Anmach-Künstler".

Aufregung auf Twitter und in Foren um die sogenannten "Pick-Up-Artists". Das sind Männer wie die Figur Barney Stinson aus der Serie "How I met your Mother", die sich Strategien zurechtlegen, mit denen sie Frauen möglichst schnell und einfach ins Bett bekommen. Hat das Phänomen überhaupt bis nach Österreich gefunden? Das sagen die Leute auf der Straße in Wien:

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Pick-Up-Artists gibt's in verschiedenen Formen und Ausführungen. Es gibt mehr oder weniger neue Flirtstrategien und Selbstbewusstseins-Seminare, für Männer wie für Frauen. Es gibt aber auch Männer wie Julien Blanc, die ein menschenverachtendes Frauenbild propagieren und deren Tipps die Grenzen zur sexuellen Gewalt überschreiten (siehe auch letzte Interview-Frage). Außerdem ist das ganze ein gutes Geschäft: Mittlerweile propagieren angebliche Experten ihre "Aufreißrezepte" mit Büchern, Seminaren und in Talkshows. Funktioniert das alles wirklich "nach Schema F" und kann ich als Be-PickupteR die Strategie meines Gegenübers aushebeln?

Kommunikationstrainer Guido Meyn hat sich für FM4 ein paar solcher Strategien angesehen und analysiert.

Wenn man den einschlägigen Foren glaubt, gibt es "One size fits all"-Tricks, die man anwenden kann, um an Telefonnummern zu kommen, eine Frau ins Bett zu kriegen etc. Ist das wirklich so einfach?

Guido Meyn: Ganz sicher nicht. Das würde bedeuten, dass alle Menschen völlig gleich ticken und das tun sie glücklicherweise nicht.

Eine solche Strategie wäre das "Negging", dass man also dem gegenüber ein Kompliment macht, das gleichzeitig eine Beleidigung darstellt - um sein/ihr Selbstbewusstsein zu unterminieren. Funktioniert das?

Da arbeitet man mit Doppelbotschaften - die haben immer das Ziel, Irritation zu schaffen. Das funktioniert aber nur, wenn das Gegenüber ein Grundinteresse an mir hat. Wenn ich dem Gegenüber völlig wurscht bin, und ich sag was Nettes gekoppelt mit Beleidigung, dann wird der sich umdrehen und gehen, wenn er ein halbwegs kluger Mensch ist.

In eine ähnliche Richtung geht die Push-Pull-Strategie: Zuerst Interesse, dann Rückzug. Eigentlich die urälteste Strategie im Flirt-Fach.

Auch hier gilt: ich brauche Kooperationsbereitschaft, ohne Kooperation keine Chance. Mit Kooperation geht's aber auch anders! Da könnte man jemanden einfach auf einen Kaffee einladen. Die Chancen, dass es funktioniert, sind gleich hoch oder niedrig. Was diese Männer da tun, halte ich für Glücksspiel. Man probiert es ein bisschen statistisch: Bei 100 Mal wird schon eine Telefonnummer dabei sein.

Eier

https://www.flickr.com/photos/sexyeggs/

Es gibt auch Tricks, um künstlich Nähe zu schaffen: Dass man jemanden am Arm berührt oder die Hand nimmt und mit dem Finger Dinge auf die Handfläche zeichnet. Das funktioniert auch nicht?

Wenn der andere das als Nähe wahrnimmt und das nicht will, wird er sich wehren. Es gibt sonst noch die von Mentalisten verwendete Ankermethode: da wird bei bestimmten Worten oder Buchstaben eine Berührung an derselben Stelle abgegeben, wodurch Information "implantiert" wird. Das macht man für Tricks mit Gedankenlesen. Solche Sachen funktionieren, damit schaffe ich aber noch keine Beziehungsnähe. Das ist etwas ganz anderes.

Oder die 3-Sekunden-Regel: eine Frau muss man innerhalb von 3 Sekunden ansprechen - eine Art "Überraschungsangriff"...

Keine Ahnung, ob das funktioniert. Ich nehme an, das sind alles Infos aus irgendwelchen Seminaren - die gibt's ja auch in anderen Bereichen, z.b. Präsentations- oder Verkaufsseminare. Da werden Rezepte abgegeben, jeder macht dasselbe Rezept. Aber es funktioniert nur bei dem, der auch authentisch ist.

Kann ich die Tricks aushebeln? Angenommen ich sitze in einem Lokal, einer oder eine kommt daher, beginnt mich zu beleidigen und meinen Arm zu streifen. Wenn ich das anspreche und sage: Aha, du machst also Negging und stellst Nähe her. Hab ich dann die Strategie ausgehebelt?

Ab dem Moment, wo ich sie aus einer Metaebene betrachte und kommentiere, wird es nicht mehr funktionieren, ja.

Warum glauben Sie gibt es überhaupt dieses Bedürfnis danach, "ich mach jetzt diesen Trick und dann schaffe ich alles?"

Ich hab mich etwas anderes gefragt, als ich das angeschaut habe: Was ist denn mit den Männern los, dass sie das brauchen? Dass sie solche Wettbewerbe aufbauen? Da muss irgendein Misstrauen in die eigene Persönlichkeit da sein, um mit solchen Mittel arbeiten zu müssen, die im Endeffekt ja nicht funktionieren. Wenn ich nämlich nicht in irgendeiner Form für mein Gegenüber interessant bin, kann ich zwar versuchen mich interessant zu machen. Wenn das nicht authentisch ist, wird's nicht funktionieren.

Irgendein Einstieg in die Kommunikation muss also da sein - weil die Idee der Pick-Up-Artists ja außer Acht lässt, dass da ja noch ein Gegenüber ist, mit Gefühlen oder Wünschen.

Was mich verwundert: Dass die glauben, dass ich mit den Frauen ein willenloses und lebloses Gegenüber vor mir habe - was ja eine völlig bescheuerte Annahme ist! Prozesse, wo Menschen sich kennenlernen, klar, das sind kommunikative Prozesse, aber nicht nur! Das hat auch etwas zu tun mit der Geschichte, die ich hinter mir habe: Was interessiert mich, worauf fahre ich ab, Geruch spielt eine Rolle, da laufen Dinge auf der Ebene der Spiegelneuronen ab. Ich halte es nicht für möglich, das rein kommunikativ zu übertünchen.

Sie haben sich als Vorbereitung auf unser Gespräch. Videos angesehen Was ist Ihnen dabei noch aufgefallen?

Der Großteil war ein bissl peinlich: da ist jemand in Fußgängerzonen herumgegangen und hat gepost. Spannend war, dass die Männer meiner Meinung nach einer Fehleinschätzung unterliegen: Die bewegen sich da alle wie auf dem Laufsteg. Ich glaube aber, dass die Frauen die Situation kontrollieren, nicht die Männer. Wenn die gerade das Bedürfnis haben, sie hätten gerne einen sexuellen Kontakt, dann suchen die das aus und lassen sich ansprechen. Die haben dadurch natürlich eine viel höhere Trefferquote, sind aber so clever, dass sie das nicht permanent veröffentlichen.

Besonders kritisiert wird ein Pick-Up-Artist namens Julien Blanc. Der sagt, "ein Nein heißt nicht Nein" und ein Verweigern der Kommunikation sei noch lange kein Grund, aufzuhören. Da ist die Grenze zum Übergriff dann fließend...

Ein Nein ist eine klare Repräsentation einer Haltung nach Außen. Ob sie so gemeint ist oder nicht spielt überhaupt keine Rolle, ein Nein ist zu akzeptieren. Grundsätzlich und immer. Alles andere ist eine unglaublich Anmaßung, macht das Gegenüber klein, nimmt es nicht ernst, macht es zu einer unselbstständigen Person. Das ist für mich ein massiver Übergriff. Das ist verbale Gewalt, das ist kommunikative Gewalt und ist das Letzte.