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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

4. 12. 2014 - 19:30

Hitzige Debatte über Netzneutralität in den USA

Wie in Europa ist die geringere Profitabilität von Internet-Zugangsanbietern gegenüber Services wie Google der Hauptgrund für die derzeit laufende Debatte.

Seit sich Präsident Barack Obama klar für Netzneutralität ausgesprochen und die Regulationsbehörde FCC zum Handeln aufgefordert hatte, ist in den USA eine hitzige Debatte entbrannt. Obamas Aufforderung an die FCC, die Breitbandangebote wieder unter Regulation zu stellen, wurde von den Republikanern als "Sozialismus" und "Obamacare fürs Internet" denunziert. Kabelnetzbetreiber wie Telekoms, die zusammen den US-Markt für Internetzugänge beherrschen, laufen ebenfalls Sturm gegen eine Regulation.

Die seit 2010 bestehenden Regelungen zur Netzneutralität waren im Frühjahr von der Telekom Verizon erfolgreich angefochten und in Folge ausgesetzt worden. Seitdem werden die Verteilungskämpfe zwischen Zugangsanbietern und Serviceprovidern in den USA ganz offen ausgetragen. Wie in Europa ist die deutlich höhere Profitabilität von Serviceanbietern wie etwa Google gegenüber Netzbetreibern wie Verizon der wahre Grund, warum die seit Jahrzehnten bewährte Praxis der Gleichbehandlung aller Daten beim Transport jetzt überhaupt in Frage steht.

Schloss

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Die jüngsten Beispiele

Das jüngste Beispiel dafür ist ein offensichtliches akkordiertes Vorgehen der Telekoms bei den Gebühren für kommerzielle SMS-Services. Da SMS nicht unter die seit 1934 bestehende Regulation der Telefonienetze fallen, hatte Verizon ohne Vorankündigung neue Preismodelle für den Massenversand über sogenannte SMS-Gateways eingeführt. Das brachte eine Reihe von kleineren Firmen, die solche Services für andere Unternehmen betreiben, arg in die Bredouille, denn ihre SMS-Services waren tagelang vom Netz.

Wie das Match um die Netzneutralität in Europa ausgeht, ist in der Schwebe. Im Ministerrat bestimmen die großen Staaten, allen voran Deutschland, den Kurs gegen Netzneutralität gegen den Widerstand kleinerer EU-Mitglieder. Auch die Kommission ist in dieser Frage offenbar gespalten

Erst am Dienstag hatte der US-Rechnungshof (Government Accounting Office, GAO) davor gewarnt, dass die geplanten neuen Preismodelle der Breitbandanbieter gerade in Regionen, wo es wenig bis gar keinen Wettbewerb gibt, zu höheren Preisen für die Endverbraucher führen würden. Vom Regulator FCC wurden diese Empfehlungen prompt als nicht notwendig bezeichnet. Derzeit gebe es kaum Beschwerden über die neuen Preismodelle, sodass ein Eingriff in das freie Spiel der Kräfte auf diesem Markt nicht gerechtfertigt sei.

Märchen vom "freien Wettbewerb"

Ein freier Markt aber setzt freien Wettbewerb voraus und davon kann weder in Europa noch in den USA die Rede sein. Die Märkte für Internetzugänge sind seit jeher beiderseits des Atlantiks nicht von Wettbewerb, sondern von Quasi-Monopolen dominiert. Während in Europa die jeweiligen "Incumbents", also die (teil)privatisierten nationalen Telekoms die regionalen Zugangsmärkte beherrschen, teilen sich in den USA Verizon und AT&T die Dominanz am Markt mit den großen Kabelnetzbetreibern, die vor allem in den urbanen Bereichen ohne direkte Konkurrenz agieren.

Wireline Broadband Choice

Public Domain

(Foto: Wyn.junior)

Die Videobotschaft mit den klaren Ansagen Obamas zum Thema Netzneutralität

So hat ein US-Kunde bei Zugängen von vier bis zu zehn Mbit/sec im Schnitt gerade einmal zwei Provider zur Auswahl, für schnellere Verbindungen - wenn die überhaupt vor Ort angeboten werden - steht in der Regel nur noch ein einziger Anbieter zur Verfügung. Dennoch hat der FCC-Vorsitzende Thomas Wheeler, von dem diese Zahlen stammen, nichts dagegen unternommen. Vielmehr wurde diese jedem Wettbewerb abträgliche Entwicklung von der FCC auch noch angeschoben.

Säuberlich aufgeteilte Märkte

Erst im Frühjahr war Marktführer Comcast die Übernahme von Time Warner Cable unter sehr geringen Auflagen von der FCC gestattet worden. Sobald der Deal wie geplant zu Jahresende abgeschlossen ist, wird Comcast mit rund 30 Millionen Kunden den Zugangsmarkt weit vor AT&T (17 Mio) und Verizon (10 Mio) anführen.

Dazu kommt, dass es bei den Kabel-TV-Netzen von Time Warner und Comcast kaum Überschneidungen gibt, denn diese beiden führenden Anbieter hatten sich den Markt für Kabel-TV-Netze quer durch die USA immer schon säuberlich aufgeteilt. Städte, in denen Comcast ausbaute, wurden von TimeWarner gemieden und umgekehrt, auch dabei hatte die FCC tatenlos zugesehen.

Tom Wheeler

US Federal Government/Public Domain

FCC-Vorsitzender Thomas Wheeler

"Netzneutralität bedroht Innovation"

Die Debatte selbst wird alles andere als zimperlich geführt. So hatten die Republikaner Präsident Obamas Aufforderung an die FCC postwendend als typisch "sozialistischen" Eingriff in den freien Markt denunziert. Seit der vergangenen Woche kursiert zudem eine Marktstudie, die vor neuen Steuern und einer generellen Verteuerung von Internetzugängen bei einer neuen Regulation zur Netzneutralität gewarnt.

Im April hatte sich das EU-Parlament mit 534 Pro- und gerade einmal zwei Dutzend Gegenstimmen für eine Verankerung der Netzneutralität im EU-Rechtsrahmen ausgesprochen. Seitdem ist der Ministerrat am Zug.

Davor schon hatte AT&T gedroht, neue Investitionen in Glasfaserleitungen auf Eis zu legen. Eine Verpflichtung, allen Datenverkehr auf der Transportebene wie bisher nach dem "Best Effort"-Prinzip abzuwickeln, bedrohe die Innovationskraft der gesamten Branche, hieß es. Die geplante Einbeziehung auch der bisher völlig unregulierten, mobilen Internetzugänge ist gerade den Telekoms, die den mobilen Markt beherrschen, ein besonderer Dorn im Auge.

"Spezielle Services"

Aus dem Mobilbereich stammen nämlich alle diese neuen Abrechnungsmodelle, die samt und sonders nur darauf hinauslaufen, die Gewinnspannen der Zugangsanbieter zu erhöhen. In Europa wie in den USA versuchen die Telekoms durch kostenpflichtige Priorisierung des Datenverkehrs einzelner Dienste für dieselben Angebote nicht nur vom Endkunden, sondern auch vom Serviceanbieter zu kassieren.

Die "Argumente" sind hie wie dort dieselben. "Fast Lanes", also die einseitige Bevorzugung der Daten einzelner Anbieter seien deshalb notwendig, um nicht näher definierte, aber jedenfalls lebenswichtige Gesundheits- oder Telemetriedaten ohne Zeitverzögerung zu übertragen, heißt es da unisono von den Telekoms - und nur von denen. Weder die Anbieter solcher "E-Health"-Services, die Daten von den neuen "Smartwatches" verarbeiten, noch die Autoindustrie haben bis jetzt solche "Fast Lanes" für ihre Services öffentlich gefordert. Dieselben "speziellen Services" geistern mit schnöder Regelmäßigkeit auch durch die europäische Debatte, auch hier hört man dieselben, windigen Argumente immer nur aus den Dunstkreisen der Telekoms.

Netflix, Cogent, Lügen und Videos ==

Netflix hatte sich im Februar überraschend schnell mit Comcast geeinigt und seitdem Videoserver direkt im Comcast-Netz aufgestellt, doch die Beschwerden des Streaming-Dienstes bei der FCC gingen bis in den November weiter.

Zur weiteren Verwirrung in dieser ideologisch geführten Debatte trägt aber auch das Verhalten einzelner Serviceanbieter bei. Als die Netflix-Videostreams bei Comcast-Kunden nur noch ruckelnd ausgeliefert wurden, waren Netflix und sein betroffener "Datenspediteur", der Carrier Cogent, schnell mit dem Vorwurf eines Verstoßes gegen die Netzneutralität durch Comcast zur Hand. "Innovativer neuer Anbieter wird von eingesessenem Kabel-TV-Treiber aus Konkurrenzgründen gedrosselt" - dieses Narrativ kursierte danach wochenlang.

Weltkarte und Datenströme

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Nach und nach stellte sich allerdings heraus, dass vor allem Cogent falsch gespielt hatte, auch Netflix war der tatsächliche Sachverhalt bekannt. Der Carrier Cogent war zu den Stoßzeiten am Abend schlichtweg überlastet, denn zur "Prime Time" macht der Verkehr von Netflix etwa ein Drittel des gesamten US-Datenvolumens aus. Auf die massiven Beschwerden vieler Unternehmen, die ihre Filialen über Cogent quer durch die USA vernetzt hatten, reagierte Cogent mit einer Priorisierung dieses Datenverkehrs gegenüber Großkunden wie Netflix. Die Folge waren ruckelnde Videos bei den Netflix-Kunden, die über Comcast angebunden waren.

"Notwendiges Netzwerkmanagement"

Der eigentliche Grund für diese Auseinandersetzung war wieder nur ein- und dieselbe Frage der Profitabilität. Die Anbindung an Zugangsprovider ist für Carrier wie Cogent weitaus billiger als für Serviceprovider wie Netflix, da die Carrier - anders als Netflix - im Gegenzug ja auch Daten aus den Zugangsnetzen abtransportieren.

Comcast hatte Cogent letzlich ein Upgrade seiner Anbindung verweigert, weil durch das enorme Datenvolumen des Streaming-Dienstes dieses "Peering"-Verhältnis zwischen Comcast und Cogent aus dem Gleichgewicht geraten war. Cogent wiederum rechtfertigte seinen Eingriff in die Netzneutralität durch einseitige Priorisierung nachträglich als notwendige Maßnahme für sein Netzwerk-Management.

Wäre Comcast so vorgegangen wie Cogent hätte es einen Aufschrei gegeben, schreibt der Branchenexperte Dan Rayburn, der diese Machenschaften aufgedeckt hatte

"Traffic Management"

Diese Entwicklung hätte in Europa eigentlich Alarm auslösen müssen, denn alle diesbezüglichen Probleme in den USA resultieren aus ebensolchen Eingriffen in die Netzneutralität. Doch die vom EU-Ministerrat aktuell vorgelegten Änderungswünsche zum Richtlinienbeschluss des EU-Parlaments sehen großzügige Ausnahmen bei der Gleichbehandlung des Datenverkehrs vor, wenn sich der Anbieter dabei auf "Traffic Management" beruft.

Falls sich der hinter dieser absichtlich unklaren und zweideutigen Formulierungen versteckte, protektionistische Kurs des Ministerrats zugunsten europäischer Telekoms gegen die Mehrheitsposition des EU-Parlaments durchsetzt, wird das auch in Europa zu denselben Tricksereien führen, wie sie aktuell in den USA schon zu beobachten sind.

Warum die FCC bis jetzt untätig gewesen ist, erklärt allein schon die Person des seit November 2013 amtierenden FCC-Vorsitzenden Thomas Wheeler bis zu einem gewissen Grad. Bevor er von Präsident Obama dazu berufen wurde, war Wheeler Präsident der Telekom-Lobby NCTA und Geschäftsführer der Mobilfunklobby CTIA.