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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

4. 12. 2014 - 13:40

The daily Blumenau. Thursday Edition, 04-12-14.

Gefangen in der selbstgewählten Algorithmus-Spirale der Eurozentrie.

The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.

#medienpolitik #machtpolitik

1

Es war nicht Google oder eine andere böse Datenkrake, die damit begonnen hat, die Informations- und Denk-Welten in denen wir leben zu konstruieren; mittels Algorithmen immer nur mehr von dem anzubieten, was wir ohnehin sehen oder wollen (oder das, was die Konsumindustrie gern hätte). Das waren wir schon selber, mit der Redundanz unseres ego-, bzw bestenfalls eurozentrischen Blickes. Facebook schafft es nun, diese Sichtweise auch in unserem Privatleben zu implementieren. Amazon stopft uns so mit more of the same voll. Und, Hand aufs Herz, wir stehen drauf.

Denn unser verengter und verengende Blick auf die Welt braucht vor allem eines: Bestätigung, immer und immer wieder. Überzeugte Anwaltschaft der Richtigkeit.

Etwa der Ansicht, dass das Boot voll ist in Europa.

2

Der International Migration Outlook der OECD erscheint jährlich, listet Zahlen und Fakten auf, ordnet sie ein, verweist auf Schwachstellen - zb in der Integration.

Heuer schaffte er es auf Seite 1 der FAZ- Grund: Deutschland, so liest es die Redaktion aus dem Bericht, ist des Migranten zweitliebste Destination (hinter dem ewig währenden Träume-Konstrukt der USA). Das konterkariert die von Kritikern gern gepflogene Image eines abweisenden, kalten Deutschlands, dem man die Willkommenskultur (die so wie hier, ab 12:30 aussieht) quasi aufdrängen muss.

Zudem setzt dieses Resultat einen Trend fort, den die FAZ schon im Frühjahr erkannt/ausgerufen hatte.

Würden wir nicht in einer Schnellschusspost/Schlagzeilen/SocialMedia-Kultur leben, hätten wir vielleicht Zeit vor der blinden Übermittlung einer scheinbar wasserdichten Nachricht einmal innezuhalten und sie zu überprüfen; auf banalste Stimmigkeiten. Wie es etwa sein kann, dass eine Untersuchung die nur die in der OECD organisierten Industriestaaten umfasst sich anmaßen kann ein globales Ranking anzubieten. Oder tut das der Bericht selber gar nicht; ist das nur ein Konstrukt der Agenturen/Medien? Oder gibt es anderswo etwa gar keine Migrations-Ströme? Oder, ganz andere Frage: wie errechnet sich der deutsche Spitzenplatz - in absoluten oder relativen Zahlen?

3

Nicht dass ich mir diese Fragen gestellt hätte.
Vom Medium meines Vertrauens aber sollte ich das - sofern ich es und mich ernstnehme - erwarten. Auch wenn ich die Geschichte erst auf nachdrücklichen Hinweis meines täglichen Perlentauchers vorfinde.

Und, schau, hier wird das alles erfüllt. Auch wenn es zuvor in der taz den von der dpa abgefassten Einheitsbericht zu lesen gab. Dann aber schlug Autorin Saskia Hödl zu und zerpflückt die Jubilier-Geschichte und entlarvt sie als Wohlfühl-Propaganda, das ein altes selbstbestätigendes Narrativ bestätigen soll.

Natürlich ist es nicht zulässig die 34 OECD-Länder automatisch an die Weltspitze zu setzen - wie den Sieger der amerikanischen World Series im Baseball (und die Migrationsströme zwischen Südasien und den Golf-Staaten außer Acht zu lassen - denken wir nur an Beckenbauers inexistente Sklaven in Katar - ist absurd). Natürlich ist es nicht zulässig unterschiedliche Zeiteinheiten, ab wann man als Migrant gilt (und zwischen einer Woche - Deutschland - und einem Jahr - Dänemark - ist schon eine fette Differenz) gleichzusetzen Natürlich ist es unzulässig mit absoluten Zahlen zu agieren, anstatt sie in Bevölkerungs-Relation zu setzen - dann würde nämlich Deutschland im Mittelfeld verschwinden, wohingegen Österreich und die Schweiz vordere Plätze einnehmen. Was allerdings auch hauptsächlich mit den sehr vielen deutschen (Arbeits/Studiums-)Migranten zu tun hat.

Alles also ein nach oberflächlicher Lesart entstandenes Bild, das entweder aus schierer Schlamperei oder aus gutem Grund entstehen kann. Wie sagt Hödl in ihrem Fazit? "Für den Leser ist es oft nur noch schwer zu beurteilen, ob das 'Boot' tatsächlich voll ist oder ob es voll geschrieben wird."

4

Der Blick in die erwähnten deutschen Nachbarländer könnte zeigen wie ernst man es dort mit der angemessenen Überprüfung/Relativierung des klassisch scheuklappigen Industriestaaten-Blicks nimmt.

In der Schweiz werden immerhin die eigenen, relativen Zahlen hervorgehoben, in Österreich wird per APA-Grafik relativiert bzw auf den Spitzenwert der EU-internen Binnen-Migration hingewiesen.

Ich bin mir nicht sicher, ob das auch passiert wäre, wenn es die Möglichkeit gegeben hätte, wie in Deutschland einen glorreichen 2. Platz im Boot-Voll-Ranking rauszublasen.

5

Nun sind die Berichte der OECD keine per se propagandatauglichen Tools, sondern haben zumeist relativierenden Charakter.

Es bedarf aber gar keiner großen Fälscherkunst Daten und Zahlen so zu verkaufen, dass sie ein genehmes Bild ergeben. Meist reicht die Übernahme vorgefertigter Al-Dente-Häppchen.
Was Medien, die gezielt ein bestimmtes Klientel bedienen (wollen und müssen, das ist eine Überlebensfrage) und denen in diesem Rahmen gar nichts anderes überbleibt als bestimmte eingefahrene Konstrukte (siehe Punkt 1) zu bestätigen (auch weil man sonst der schnell-schnippischen Empörungs-Maschinerie des SocialMedia unterlegen wäre) in ein ordentliches Dilemma katapultiert.

Andererseits kann man dieselbe Logik auch für die taz anwenden, deren Klientel wiederum auf permanentes kritisches Hinterfragen von Herrschafts-Strukturen besteht und so genauso betriebsblind bzw demokratieunfähig werden kann. Weil es auch da gerne um Bestätigung von Narrativen geht - mit der wir uns dann im Algorithmus unserer Vorurteile selber gefangen nehmen.

In jedem Bereich; und andauernd.
Angesichts der kleinen Ausnahme dieser taz-Überprüfung darf es mir/uns aber wieder einmal bewusst werden. Auch damit ich/wir uns ein bissl für unser Medienverhalten genieren.