Erstellt am: 4. 12. 2014 - 11:30 Uhr
Der Superstar des Investigativjournalismus
Glenn Greenwald spricht schnell. Klar, der 47-jährige gelernte Jurist hat auch viel zu erzählen. Der kleine Mann aus New York ist ein Energiebündel. Er trinkt beim Interview in München ausschließlich Coke light - wegen des Koffeins. Er brauche das, um wach zu bleiben. Und Greenwalds Hände müssen beschäftigt sein. Ständig.Von seiner Pressereferentin erbettelt er deswegen einen billigen Plastikkugelschreiber. Sie kennt das Spiel: "Es ist mein letzter, gib ihn mir wieder zurück." Greenwald lächelt, wispert ein "sure". Das ist der einzige Moment in den nächsten fünfzig Minuten Interview, in denen er minimal verunsichert wirkt. Und es ist der letzte Moment ohne Kugelschreiber. Er legt ihn nur noch einmal aus der Hand: weil er etwas Großes verdeutlichen will. Dazu braucht er beide Hände. Und das passiert erst, wenn die Rede von Edward Snowden ist.
Glenn Greenwald hat in den vergangenen 18 Monaten mit vielen Journalisten-Kollegen über seine Arbeit gesprochen. Er hat bestimmte Phrasen, die ziehen, coole, kleine Anekdoten, die Überwachung verständlich machen ("Geben Sie mir alle Passwörter zu ihren Emailpostfächern und sozialen Netzwerken und ich entscheide dann, was ich veröffentliche, ok?"). Er sagt das, damit auch der letzte Mensch in der westlichen Welt versteht: Ausgespäht zu werden ist extremst unangenehm. Über die Wichtigkeit von kundenfreundlicher Verschlüsselung spricht er selbstironisch ("Edward Snowden hat gesagt, dass jede Verschlüsselung den Glenn-Greenwald-Idiotentest bestehen muss."). Er sagt das gerne in Mikrofone, in Kameralinsen oder von Bühnen herab.
Am 1. Dezember hat er den renommierten Geschwister-Scholl-Preis für sein Buch "Die globale Überwachung" in München bekommen. Der Preis bedeute ihm viel. Er sieht Edward Snowden in der Tradition von Hans und Sophie Scholl, den beiden Freiheitskämpfern während des Dritten Reichs. Die Aussage zieht, wie auch Greenwalds andere Storys. Wieso? Weil er sie ernst meint.
Die erste Dezember Woche war eine Auszeichnungs-Woche für die Enthüller: Glenn Greenwald nahm den Geschwister Scholl Preis, verliehen von der Stadt München und dem Börsenverein des deutschen Buchhandels, entgegen.
Edward Snowden hat am gleichen Tag den Alternativen Nobelpreis bekommen.
APA/EPA/TOBIAS HASE
Deshalb die erste Frage: "Herr Greenwald, in ihrem Buch schreiben Sie, dass die großen Techfirmen wie Google, Apple und Yahoo extrem Angst haben Kunden zu verlieren, weil sie mit der NSA und dem GCHQ zusammengearbeitet haben. Privatsphäre wird wichtiger, sagen Sie. Machen die Großen nun etwas?"
Noch bevor ich selbst merke, dass ich jetzt auch so schnell spreche wie Greenwald, sprudelt es aus dem Investigativjournalisten heraus: "Auf jeden Fall! Die Regierungen von Amerika und Großbritannien waren immer sehr eng verbandelt mit den Technologiekonzernen aus dem Silicon Valley. Die Tech-Riesen haben auch Obama unterstützt und am meisten für ihn gespendet: Nur so konnte er Präsident werden." Das ist der politische Glenn Greenwald, eine Hand fest am Kugelschreiber. "Vor den Snowden-Enthüllungen wusste niemand, dass die meisten Konzerne mit den Regierungen zusammenarbeiten. Jetzt gehen die Debatten durch die Decke. Google und Apple verschlüsseln einige ihrer Produkte jetzt besser. Diese Verschlüsselung können nicht mal die Firmen selbst knacken." Immer noch: Eine Hand am Kugelschreiber.
Wir machen mit dem Interview weiter. Die Aussage eines FBI-Sprechers, dass die Verschlüsselung des neuen iPhone 6 so gut sei, dass die Nachrichtendienste acht Jahre brauchen würden, um das Produkt zu knacken, tut Greenwald mit einem Bullshit ab. Natürlich sagt er nicht Bullshit, sondern gibt eine elaborierte Antwort. Die Message aber bleibt die gleiche:
"Die NSA oder auch der britische Geheimdienst GCHQ haben extrem viel Angst vor Verschlüsselung." Jetzt spielt Greenwald am Kabel des Mikrofons herum. "Es gibt zahllose Snowden-Dokumente, die das belegen. Sie hassen beispielsweise den Tor-Browser, mit dem man anonym im Internet surfen kann - und dabei finanziert die US-Regierung das Projekt zum Teil mit. Die US-Regierung macht das für Aktivisten im Ausland, damit die ungeliebte Regime ins Wanken bringen können. Aber klar: Gegen die US-Regierung selbst soll diese Anonymität bitte nicht eingesetzt werden. Sie hassen also Tor, und haben etwas gegen PGP." Greenwald dreht jetzt den Kugelschreiber auf dem weißen Tischtuch. Solche Sätze verdeutlichen, weshalb ihn Kritiker einen Aktivisten nennen. Seine Aussagen sind fast Anklagen. So immens schnell und unglaublich präzise kommen sie auf die wunden Punkte in der Überwachungsthematik.
DPA Britta Pedersen
"Die behäbige Infrastruktur des Internets hat die Überwachung durch die NSA erst möglich gemacht." Greenwald verweist auf die abgeschnittenen Glasfaserkabel, aber auch auf das Verwanzen von Cisco-Routern, die von der NSA bei der Auslieferung abgefangen, umgebaut und in original Cisco-Verpackung wieder ausgeliefert wurden. Man brauche also ein dezentrales Internet. Die Demonstranten in Hongkong machen das vor. Sie verwenden Firechat, bauen mobile Hotspots mit ihren Handys auf und kommunizieren direkt. Greenwald spielt wieder am Stift.
"Es geht darum, neue Technologien zu entwickeln." Greenwald fordert also Entwickler zum Handeln auf. "Das alles ist ein Rüstungswettlauf. Auf der einen Seite die Regierungen, ihre Geheimdienste und Partner. Auf der anderen Seite Aktivisten, Technikkonzerne und Hacker." Greenwald hat die erste Coke light ausgetrunken.
Schaut Greenwald, der Jurist, Journalist und das Hassobjekt vieler Sicherheitsfanatiker, also positiv in die Zukunft? Greenwald hält erst mal inne. Seine Hände ruhen auf der Tischdecke. "Ich bin viel zuversichtlicher als noch vor 18 Monaten. Erste große Schritte haben wir schon gemacht." Wer ist wir? Wahrscheinlich alle außer den großen Geheimdiensten der USA, Großbritanniens, Kanadas und Neuseelands.
"Erst vor zwei Wochen hat Brasilien bekanntgegeben, dass es eigene Glasfaserkabel verlegen wird, von Brasilien nach Portugal - ohne US-Territorium zu kreuzen. Das soll die amerikanische Vorherrschaft über das Internet brechen - und ist ein direktes Ergebnis der Snowden-Enthüllungen."
Greenwald gestikuliert jetzt mit beiden Händen. Das Zauberwort Snowden ist gefallen. Es ist also wieder Zeit für einen allgemeinere Phrase, die sich aus Greenwalds Sicht schon bewahrheitet hat: "Ich sehe große Fortschritte im Kampf für die Freiheit im Internet."
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Glenn Greenwald will die Arbeit mit den Snowden Dokumenten selbst bald beenden und dann das Archiv für andere Journalisten öffnen. Er selbst will weiter staatliches Unrecht aufdecken. Zusammen mit einem All-Star Team des Investigativjournalismus befüllt er seit Februar 2014 das von ihm mitentworfene Internetportal The Intercept (sehr gute, sehr lange Texte).