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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

3. 12. 2014 - 15:34

Ich bin im Fernsehen, also existiere ich

Jeder hat Recht auf seine erlittene 15 Minuten Ruhm, also sitze ich in einer Talkshow auf der Couch.

Mit Akzent

Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Jeden Mittwoch in FM4 Connected (15-19h) und als Podcast.

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"Etwas wird im Fernsehen gezeigt - das heißt es existiert tatsächlich!" Die meisten Leute auf dieser Welt glauben weiter an diese "Wahrheit". Nichts von den Sachen, die in den letzten Jahrzehnten passiert sind, kann sie überzeugen, dass Fernsehen nicht die Realität zeigt, sondern eine "Fabrik für Realität ist". Denkt an die Szene aus dem Film "Wag the Dog", in der ein PR-Experte erzählt, dass er den Mythos der supergenauen US-Raketen mit Hilfe von LEGO kreiert hat. Trotzdem glauben die Menschen weiter, dass es solche Raketen gäbe. Sie sind ja im Fernsehen zu sehen, das heißt, sie existieren!

Die politische Korrektheit, die über das vereinte Europa herrscht, ist die perfekte Voraussetzung, um allerlei Seltsamkeiten, die bisher versteckt geblieben sind, der breiten Öffentlichkeit zu zeigen. Vor den Fernsehkameras stehen ständig Leute, die erzählen, dass sie einen Orgasmus bekommen, wenn sie fremde Kotze betrachten oder solche, die träumen, ihre linke Hand mit einem stumpfen Messer abzuschneiden.

Regieplatz

CC-BY-2.0 - Oliver Lukesch

Dem Fernsehen reicht es aber nicht, nur bombastische Fakten und Ereignisse zu fabrizieren, es will auch das "echte Leben" zeigen. Die Nachmittagstalkshows erfreuen sich einer riesigen Popularität unter Arbeitslosen, Hausfrauen und Pensionisten. Das Publikum erlebt Geschichten über Liebe und Hass, über verlassene Kinder und gefundene Eltern mit Tränen in den Augen. In den Gesichtern auf dem Bildschirm sehen sich die Zuseher selbst durch die Fernsehlupe und glauben, dass ihr Leben tatsächlich eine Bedeutung hat.

Jeder hat Recht auf seine erlittene 15 Minuten Ruhm.
Ich sitze im Gästezimmer einer solchen Talkshow. Die restlichen Gäste sind am Rande ihrer Nerven. „Mein Herz platzt gleich, wir sind bald auf Sendung!“, sagt eine nette Dame. Ich fühle mich wie ein erfundener stereotypischer Fernsehheld. Da ich keinen Fernseher besitze und kaum fernsehe ist diese Welt neu und interessant für mich.

Mir gegenüber sitzt ein Paar, angezogen in österreichische Trachten. Als Probe vor dem Auftritt erzählen sie mir ihre Geschichte. Die Geschichte ihrer Liebe. Wie sie sich auf einer Feier in irgendeinem Städtchen kennengelernt haben, wie sie sich sehr gemocht haben, aber es nicht zugeben konnten, da sie beide verheiratet waren. Dann fingen alle im Städtchen darüber zu flüstern an und eines Tages gaben sie ihre Liebe zu und jetzt sind sie das glücklichste Paar im Städtchen.

Am Ende der Talkshow werden sie ein Lied über ihre Liebe singen. Sie sind sehr sympathisch in ihrer Aufregung. Für sie ist die Nachmittagstalkshow der Höhepunkt ihres Lebens. Eines Tages erzählen sie ihren Enkelkinder über ihren Auftritt im Fernsehen.

Jetzt ist das zweite Thema dran, das bei dem ich auch mitmache. Wieder ein Stück „echtes Leben“: Das Thema ist „Arbeiten um jeden Preis, nein danke!“. Ich vertrete die Antithese – ich habe alles Mögliches schon gearbeitet, da ich nie ein Teil eines Sozialsystems war und mir nie wer was ohne Gegenleistung gegeben hat.

Ein älterer Mann namens Heinz erzählt, dass „während seiner Zeit“ jeder gearbeitet hat ohne zu meckern. Andere Gäste versuchen Heinz zu überzeugen, dass sich die Zeiten geändert haben. Heinz ist unerschütterlich. Ich bin Heinz' Komplize. Ich meckere nicht, ich arbeite alles, ich bin ein Ausländer, außerdem erzähle ich darüber im Radio. Ohne es zu merken bin ich ein Teil der Fernsehmaschine geworden um mich zu legitimieren. Ich bin im Fernsehen, das heißt ich existiere.