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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

3. 12. 2014 - 15:03

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 03-12-14.

Plötzlich aus dem Nichts auftauchende Musikstücke; und wohin sie mich führen. Heute: Deportee (Plane Wreck at Los Gatos) von Woody Guthrie. Über die Namen- und die Kopflosen und die Gräuel der Anonymisierung.

The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.

Die Assoziation ist dieser Tage nah, ganz nah: die Heim-Adresse des internationalen Medienschrecks Netflix findet sich am Winchester Circle in Los Gatos, California, USA.
Dass sie bei den Gräueln der IS endet, hat mit diesem Text zu tun.

Aber der Reihe nach...

Der Herkunftsort kommt auch gern in besseren Geschichten über Netflix vor - wie der im Stern, die ich jüngst zufällig am Klo gelesen habe. Und da war es so, wie immer, wenn mir so etwas begegnet - ich kann ich nicht anders; es ist wie ein innerer Zwang (und an stillen Örtchen geht's noch leichter): ich beginne zu singen, mit diesen Stimmen im Kopf... "The sky plane caught fire over Los Gatos Canyon/ A fireball of lightning shook all our hills - the radio says: they are just deportees".
Und je nachdem wie gut ich den alten, weit hinten im Kopf gespeicherten Text ich noch drauf hab, desto mehr kommt dann raus. Bis zum Refrain: "Goodbye to my Juan, goodbye Rosalita, adios mis amigos, Jesus y Maria; you won't have your names when you ride the big airplane - all they will call you will be deportees".

Ich hab das Lied erstmals 77 oder 78 gehört, als das alte Jugend-Widerborst-TV-Magazin Ohne Maulkorb das 76 aufgenommene Hard Rain-Konzert Bob Dylans aus Fort Collins, Colorado ausgestrahlt hatte. Das Stück, das mit dem schmallippigen Untertitel Deportees auskommen musste, war offenbar nicht von Dylan selber, sondern ein alter Folk-Classic, weshalb auch Joan Baez mit dabei war. Die Performance ist - so wie fast alles an der Rolling Thunder Tour Dylans 75/76 - räudig und roh: die Wirkung war aber nachhaltig. Dieses Stück Widerstands-Geschichte hat sich tief in meinem Inneren festgebrannt.

The crops are all in and the peaches are rott'ning,
The oranges piled in their creosote dumps,
They're flying 'em back to the Mexican border,
To pay all their money to wade back again

My father's own father, he waded that river,
They took all the money he made in his life;
My brothers and sisters come working the fruit trees
And they rode the truck till they took down and died.

Some of us are illegal, and some are not wanted,
Our work contract's out and we have to move on;
Six hundred miles to that Mexican border,
They chase us like outlaws, like rustlers, like thieves.

The sky plane caught fire over Los Gatos Canyon,
A fireball of lightning, and shook all our hills,
Who are all these friends, all scattered like dry leaves?
The radio says, "They are just deportees"

Sehr viele Nachfragen und Nachforschungen in den rein analogen und völlig unvernetzten End-70ern des vorigen Jahrhunderts später wurde klar, dass es sich um ein Spätwerk von Dylans großem Vorbild Woody Guthrie , dem Erneuerer der US-Folkmusik handelte, nämlich um Deportee (Plane Wreck at Los Gatos), ein Stück, das im Folkie-Circuit sehr vielen Versionen kursiert. Bis heute.

Kein Wunder, es behandelt auch heute noch umso gültigere große Themen: Ausbeutung, Migration und der bewusstlose Umgang der Öffentlichkeit mit jenen, die man als minderwertig betrachtet.

Guthries Anlassfall waren Medienberichte über einen Flugzeug-Absturz, bei dem alle Insaßen ums Leben kamen - die zwar die Namen der Crew, nicht aber die Namen der Passagiere, der mexikanische Arbeiter/innen, die im Rahmen des Bracero-Programms ausgeflogen wurden, nannten -> hier der entsprechende Artikel in der New York Times. Da die Landarbeiter/Erntehelfer auf dem Weg zu einem Deportations-Center in Süd-Kalifornien waren, wurden sie in Radioberichten kollektiv als Deportees bezeichnet.

Guthrie, zu dessen Prinzip es gehörte jeden Tag einen Song zu schreiben, machte aus dieser Randnotiz in post-war-USA einen seiner womöglich besten Texte. Es war 1948 und seine Krankheit war so fortgeschritten, dass der Text ein Gedicht blieb. Erst Jahre später packte es ein Lehrer namens Martin Hoffman in Musik und Guthries Begleiter wie Cisco Houston oder Pete Seeger begann es live zu spielen (hier eine Version von Seeger, gemeinsam mit Guthries Sohn Arlo).

Die Geschichte hinter dem Lied (> lyrics aside) und auch seine Folgen sind in dieser kleinen Doku zusammengefasst.

We died in your hills, we died in your deserts,
We died in your valleys and died on your plains.
We died 'neath your trees and we died in your bushes
Both sides of the river, we died just the same.

Goodbye to my Juan, goodbye Rosalita, adios mis amigos, Jesus y Maria;
You won't have your names when you ride the big airplane - all they will call you will be "deportees"

Is this the best way we can grow our big orchards?
Is this the best way we can grow our good fruit?
To fall like dry leaves to rot on my topsoil
And be called by no name except "deportees"?

Goodbye to my Juan, goodbye Rosalita, adios mis amigos, Jesus y Maria;
You won't have your names when you ride the big airplane - all they will call you will be "deportees"

Da sind wunderbare Versionen von Bruce Springsteen samt Buchempfehlung, von Nancy Griffith samt spanischsprachiger Strophe, von Billy Bragg oder von Ani di Franco und Ry Cooder; und da ist - recht zeitnah - KT Tunstal.

Die Bilder, die Tom Morellos Projekt Outernational unter ihre Version legen, zeigen wie wenig sich in der prinzipiellen Einschätzung geändert hat. Die Einrichtung der Maquiladoras verlagert die Ausbeutung der billigen Arbeitskräfte auf neutrales Gebiet, das Grund-Problem bleibt.

Die Größe des Guthrie-Textes liegt aber in der Betonung des zentralen Punkts hinter der Unmenschlichkeit: die Entmenschlichung der Opfer, der Ausgebeuteten, der Anderen, der Ausländer durch ihre bewusste (und teilweise auch sicher unbewusste) Anonymisierung.

Wer namenlos, wer gesichtslos ist, der eignet sich nicht nur als Feind. Er bekommt auch kein Mitgefühl. Wer als Zu Deportierender bezeichnet wird, lässt sich auch leichter dögeln. Anonymität verhindert Menschlichkeit.

Und es passiert uns wieder und wieder.

Auch dort, wo wir es nicht erwarten. Die von der IS Geköpften etwa, wir kennen ihre Namen. ja, aber nur die der Opfer aus dem Westen. Die dutzenden syrischen Gefangenen, die von den islamistischen Extremisten zu Tode gebracht wurden, die scheinen in unseren Medien genau gar nicht auf. Es ist so wie es schon 1948 war: die weißen Piloten, die westlichen Journalisten/Freiwilligen werden gewürdigt, die mexikanischen Arbeiter/syrischen Soldaten bleiben anonym. Martin Prinz hat im Standard-Album einen grausamen Text darüber geschrieben. Über die Bequemlichkeit, die das Anonymisieren mit sich bringt. Und über die Notwendigkeit sich dagegen zur Wehr zu setzen; die Kopflosen und die Namenlosen wieder zu individualisieren, zu Menschen zu machen.


English/mexikanisches Duett mit Johnny Cash und Johnny Rodriguez