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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

1. 12. 2014 - 13:35

The daily Blumenau. Monday Edition, 01-12-14.

Die gsunde Watschen, zu einfach gestrickte Empörung und die nächste offene Kluft.

The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.

#demokratiepolitik

Kinder schlagen, das ist mir nicht erst klar, seit ich selber Verantwortung für eines habe, das geht gar nicht. Auch nicht mit ideologiegefärbten Ausreden oder mit esoterischen Krücken. Gar nicht.

Natürlich passiert es trotzdem; in der harten brutalen Form der offensichtlichen (und bewussten) Misshandlung; und in der schleichend selbstentschuldigenden Form des als Notwendigkeit getarnten und verharmlosenden Alltags-Gebrauchs.
Am Sonntag hat ein Presse-Redakteur das gute Gewissen, das er trotz seiner schwarzen Pädagogik zu haben glaubt, einem Test unterzogen und seine Ansichten zu Kindererziehung publiziert.

Die Folge war ein großer, schultergeschlossener Shitstorm, in dessen Zentrum (von ausfransenden Rändern abgesehen) jedes argumentative Wort sitzt. Die da als gängige (und sanftseinwollende) Praxis der Ohrenzieherei und Übers-Knie-Legerei, die sprichwörtliche G'sunde Watschen wurde in diesem Land noch selten so offen verachtet, noch selten so deutlich abgelehnt.

Armin Wolf schrieb einen bewegenden autobiografischen Text (der auch hier in einer Social-Media-Rundschau verlinkt ist), selbst das sonst moralisch wenig zimperliche, ethisch selber gern grenzgängerische Vice zeigte sich sensitiv-bewegt. Auch die Redaktion der Presse selber reagiert peinlich berührt. Die Reaktionen erfüllen mich (und das kommt selten vor) mit ein wenig Stolz auf die Publizistik dieses Landes.

Es gibt nur einen Haken.
Man beißt sich an einem einzelnen Mann fest, der nun als Ausgeburt des Verderbten gekreuzigt wird. Ich kenne den Redakteur nicht. Ich bin von der Verblasenheit seiner Argumentation angewidert; aber ich habe nach nur kurzer Suche sein Trauma gefunden: den Tod seiner ungeborenen Tochter. Wer so etwas erleben musste, richtet sich danach seine Welt mit Sicherheits-Parametern ein, die anderen nicht nachvollziehbar sind; die dann auch irrlichternde Folgen haben können. Wie etwa die Kontrolle über das glücklicherweise lebende (und für ihn leuchtende) Kind mit Mitteln zu erlangen, die nicht gehen. Gar nicht.

Diese psychologische Nachvollziehbarkeit des Geht-Gar-Nicht-Irrsinns ist aber noch nicht der Haken. In der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Text darf man Person und Schicksal ausblenden.

Das Problem bei der Kindererziehung mit der gesunden Watschn ist ja nicht die freiwillige Beschreibung eines sehr speziellen Einzelfalls und die (richtige) harsche Reaktion darauf. Das Problem ist eine immer noch mehrheitsfähige Durchsetzung der Grundhaltung dahinter. Und deren Existenz. Und die Tatsache, dass sich die aufgeklärte Öffentlichkeit das nicht so recht eingestehen mag.

Wie immer bei medialer Empörung, egal ob sie von Poster/User/Journalistinnen durchgeführt wird, genügt sie sich selber; auch in der Fokussierung auf einen Einzelnen. Der auch hinkünftig am Pranger stehen wird als Referenzpunkt für eine Geisteshaltung, die man doch im 20. Jahrhundert lassen wollte. Und damit wäre der Aufschrei auch schon wieder abgehakt.

Aber, liebe Empörte, das spielt's eben nicht. Nur weil ein kollektives Oberschicht/Elitenempfinden das so dekretiert, lappt es nicht in die generelle Praxis über.
Und dafür, für die Selbsterkenntnis, dass weder Gesetze noch gegenseitiges Schulterklopfen etwas helfen um eine hochtradierte Denkart auf den Misthaufen der Geschichte zu verbannen, sollte man dem fehlenden Autor indirekt dankbar sein.

Letztlich denkt er nämlich nur andere populär-populistische Strafvollzugs-Thesen, die umfassend kursieren, weiter. Verbrechen, Strafe, Sühne, der ganze tiefsitzende erzkatholische Blödsinn, die seit Ewigkeiten von Obrigkeits-Denken beschützte Legitimation von Gewaltanwendung, all das flutet nur so aus den österreichischen Poren.
Und: der laute und umfassende Aufschrei auf das vielleicht sogar beabsichtigte Geständnis eines Ohrenziehers sorgt auch für eine Freisprechung aller sich Empörenden. Wiewohl die Chance, dass sie selber auch ein bisserl tätscheln (die Grenzen sind fließend, man kann sich alles zurechthübschen) oder sich zumindest für ihre diesbezüglichen Gedanken schämen, groß ist. Dass es just hier so viele erste-Steine-Werfer gibt, ist hochgradig verdächtig. Es drückt das Aufatmen über das Finden eines Sünders aus, dem man die eigene heimliche Teil-Schuld überstülpen kann

Solange die Empörung in ihrer Primär-Reaktion stecken bleibt, solange nur das gesellschaftliche Stammhirn auf ein No-Go reagiert, solange nicht ein umfassender Prozess einsetzt, der die Gründe fürs Immer-noch-schlagen der trotz Gesetzen und Appellen eigentlich geschützten kleinen Menschen einsetzt, ist nichts gewonnen.

Dazu allerdings müsste man sich vom konkreten Anlassfall einer in seiner komplexen Familiengeschichte Verfangenen lösen - und dem ganz banalen Watschen-Alltag zuwenden und auch die Eliten-Dünkel überwinden. Sonst macht man nämlich die nächste divide, die nächste Kluft auf, einen weiteren Canyon, der zwischen den Gesellschaftsmodellen einer selbstbewussten Zivilgesellschaft und den sich mehrenden Anhängern von autokratischen Ideen und Ansätzen steht.

Denn dort, bei den schlagenden Freunden, dem dumpfen Ressentimentismus, der den neuen Allianzen innewohnt, dort ist die gsunde Watschen keine Folge von engelhafter Verwirrung, sondern grundsätzliche Ideologie, strukturell sogar notwendig um autokratische Führungsmodelle durchzusetzen. So wie es auch Schläge für Anderssexuelle, Andershandelnde und Andersdenkende sind.

Dieses Denken liegt aktuell im Polster eines fetten Aufwinds. Und genau dort wird man die doch ein wenig zu einfach gestrickte Empörung entsprechend zu nutzen wissen und sich als machoid-wehrhafter Kraftlackl zu positionieren wissen. Sofern der Diskurs im Einzelfall-Bashing steckenbleibt.