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Sophie Strohmeier Philadelphia

Film, Film, Film

5. 12. 2014 - 13:05

Heimkehr ins Kino

Vorwärts in die Vergangenheit: Christian Petzolds "Phoenix"

Vor langer Zeit ist das Kino mitsamt seiner großen Meister Fritz Lang, Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer und Douglas Sirk aus Deutschland geflohen, um auf einem fernen Kontinent seine Genres auszupacken und weiterzuspielen.

Seither leidet das deutsche Kino an seiner so häufig erwähnten "Nicht-Vorhandenheit", genauer gesagt: seiner Genrelosigkeit. Ausnahme ist hier der Zweite-Weltkriegs-Film, der – sich häufig des Holocaust als Thema annehmend – eigentlich eine eigene, unglückliche Gattung bildet. Unglücklich, weil das Genre sich einerseits in der Schuld suhlt, während es halb beleidigt die Schuld auch ein wenig von sich zu weisen versucht (siehe z.B. die Filme von Max Färberböck oder Oliver Hirschbiegel.)

Filmstill "Phoenix" Ronald Zehrfeld und Nina Hoss

Schramm Film Koerner & Weber

Ronald Zehrfeld und Nina Hoss vor der namensgebenden Bar des Films

Christian Petzolds "Phoenix", der bereits in unseren Kinos läuft, zeigt umso deutlicher die Unmöglichkeit des vorsichtigen, "historisierenden" Umgangs mit Zeitgeschichte und die Kraft der zärtlichen, dreisten, künstlerischen Fantasie. So etwas wie Bewältigung könnte wahrscheinlich gar nicht in der Fiktion stattfinden, wenn diese Fiktion nicht eine kreativ sehr durchdachte Lösung hätte, die diese Katharsis auch zu einem lustvollen Akt macht: In diesem Sinne gleitet Phoenix atemlos durch Horror-, Grusel-, Thriller- und Liebesgeschichte.

Heimkehr einer Gesichtslosen

Nach dem Krieg kehren zwei jüdische Frauen in die Trümmerhaufen ihrer deutschen Heimat zurück. Die eine, Lene Winter (Nina Kunzendorf), ist offensichtlich früh geflohen und jetzt in der Jewish Agency engagiert; die andere, Sängerin Nelly Lenz (Nina Hoss), war aus Liebe zu ihrem Mann Johnny (Ronald Zehrfeld) zu lange in Deutschland geblieben und ist soeben aus dem KZ befreit worden, wo sie auch das verloren hat, was für den sozialen Menschen am wichtigsten ist: ihr Gesicht.

Zu Beginn des Films ist Nelly eine Gestalt, deren Kopf in einen einzigen weißen Verband gehüllt ist. Gesichtsausdrücke erkennen wir nur schemenhaft durch ihre Augen, und die Szenen, in denen sie mitspielt, sind beklemmend und gespenstisch, wie aus einem Horrorfilm der Sechziger- oder Siebziger-Jahre. Durch eine Operation lässt Nelly ihr altes Gesicht wieder herstellen – mehr oder minder geglückt, der Zuschauer weiß es selbst nicht.

Filmstill "Phoenix"

Schramm Film Koerner & Weber

Nelly soll für ihren Mann sich selbst inszenieren.

Denn als Nelly sich gegen Lenes Rat aufmacht, Johnny zu finden, erkennt dieser Nelly nicht wieder. Er erkennt nur eine frappierende Ähnlichkeit zu Nelly und bietet der ihm fremden Frau an, einen Erbschaftsbetrug zu begehen, in dem die beiden Nelly zu Nelly Lenz werden lassen. Sorgfältig müssen Nellys Handschrift, Haltung und Aussehen – Nelly habe sich immer nach Hedy Lamarr hergerichtet – geübt werden. Nelly (die sich selbst fremd ist) wird willentlich zur Rekonstruktion von Nelly (dem verlorenen Ich); sie soll nun in ihre eigenen Schuhe steigen und mit einem Zug aufs Neue in die Heimat zurückkehren.

Der unmögliche deutsche Film?

Interview mit Petzold: frieze-magazin.de

Besonders stark herrscht in "Phoenix" der Eindruck, dass es sich hier gar nicht um einen "deutschen" Film handeln kann: So sehr fühlt man sich in der Spannung seiner Erzählung gebannt, so wunderschön ist das Melodram aufbereitet.
Einerseits deutet Petzold an, mit "Phoenix" den Versuch gewagt zu haben, eine Geschichte aus dem Jahr 1945 wie einen Douglas-Sirk-Film zu erzählen. Andererseits entstehen aus Handlung und Bildern unaufhaltsame Assoziationen zu der französischen oder französisch gedeuteten amerikanischen Kinogeschichte: Films noirs wie "Berlin Express"(1948), "The Third Man"(1949), Hitchcocks "Vertigo"(1958) – und sogar "Le dernier metro"(1982) lassen grüßen.

Filmstill Augen Ohne Gesicht

Lux Film

Horror-Kultfilm "Les Yeux sans visage" (1960), an den "Phoenix" denken lässt

Petzold ist Filmgeschichte und Genre ein guter Freund. So ist z.B. sein Film "Jerichow"(2008) eine weitere Noir-Verfilmung des James-M.-Cain-Romänchens "The Postman Always Rings Twice" (1934).

Mit "Phoenix" entsteht bei ihm Kunst nicht als Imitation oder Wiederherstellung der Vergangenheit, sondern Kunst als ein Spiel mit ihr: Petzold schafft eine dezidierte Gegenwelt zu jener Literatur, die sich des Holocausts als Floskel bedient – als würde sie die Ungeheuerlichkeit seiner Thematik ausborgen wollen, um dem dünnen Werk ein bisschen Gewicht zu verleihen.

"Ist es möglich, über den tiefen, nihilistischen Riss, den die Nationalsozialisten in Deutschland vollzogen haben, zurückzuspringen und die Gefühle, die Liebe, die Barmherzigkeit, das Mitleid, überhaupt das Leben zu rekonstruieren?", fragt Petzold in seinem Statement zum Film. "Nelly sieht nicht ein, dass keine Erzählung, kein Gesang, kein Gedicht, dass die Liebe nicht mehr möglich sein soll. Sie will die Zeit umkehren. Diese Menschen, die etwas nicht einsehen und dadurch widerständig und störrig sind, interessieren mich."

Phoenix läuft bereits in österreichischen Kinos.