Erstellt am: 28. 11. 2014 - 16:00 Uhr
Human Rights Filmfestival
This Human World 2014 - International Human Rights Film Festival
4. bis 13. Dezember, Wien
"Every Time We Fuck We Win!" ist nicht gerade eine Ansage, die man auf einem Filmfestival der Menschenrechte erwartet, doch das This Human World Festival überrascht zum siebten Mal in Folge. Denn in den Fokus kommen diesmal auch Pornofilme - solche, die anderes zeigen als der Mainstream-Heteroporno - neben aktuellen filmischen Dokumenten aus Syrien und der Ukraine, dem Schauplatz Strafvollzug und prekären Arbeitszuständen.
Das Festival zeigt Filme, die politisch und sozial Stellung beziehen. In Konfliktzonen und in Extremsituationen führt dann auch manche Vorführung. An die achtzig Spiel- und Dokumentarfilme werden gezeigt, die es sonst wohl kaum in heimische Kinos geschafft hätten. Wobei die künstlerische Leiterin Zora Bachmann ausdrücklich betont, dass in erster Linie Filme handwerklicher und künstlerischer Qualität ausgewählt werden. Das ist für ErstbesucherInnen des Festivals ein guter Hinweis.
Genderfuck und Porno
Auf den Spuren von Punk, Porno und Feminismus reist die französische Regisseurin Virginie Despentes in die USA und interviewt u.a. Annie Sprinkle und Lydia Lynch. Wie selbstbewusste Sexualität inszeniert wird, ist nicht unspannend. In den Kurzfilmen Samuel Shanahoys, der sich als "femme punk transboy" bezeichnet, ist die Ausstattung mit Garantie keinem Zufall überlassen, siehe auch jugendfreie Musikvideos des in Kanada lebenden Australiers.
Best Slumber Party Ever / Samuel Shanahoy
Gibt es ein subversives Potential von Pornos? Das fragen Zora Bachmann, Mara Verlic und die Burlesque-Tänzerin und Aktivistin Denice Bourbon, sie nahmen die Filmauswahl für den Schwerpunkt vor. Ist man einmal bei Genderfuck, dem Aufbegehren gegen Geschlechterrollen, angelangt, ist die Auseinandersetzung mit Judith Butler nicht weit. In einer Lecture beschäftigt sich das Rahmenprogramm des Festivals mit "dem unheimlichen Erfolg der Judith Butler".
Das Private ist politisch
Österreich-Premiere hat beim This Human World u.a. Fatih Akins neuer Spielfilm "The Cut", der vom Völkermord 1915 an ArmenierInnen durch türkische Soldaten handelt, doch bislang in Kritiken nicht sonderlich punktete.
Eröffnen wird This Human World mit dem Spielfilm "At Home" von Athanasios Karanikolas, der im Februar bei der Berlinale Premiere hatte und den Preis der ökumenischen Jury erhielt. Wie eine Familie damit umgeht, wenn sich ein Wandel im Land ankündigt, das dokumentiert auch Sara Ishaq. Die Tocher eines Jemeniten und einer Schottin verließ das Land ihres Vaters bei der Scheidung der Eltern als Siebzehnjährige.
Erst 2011 kehrte sie in den Jemen zurück, als hunderte Menschen wochenlang den Rücktritt des Präsidenten Ali Abdullah Saleh forderten, der das Land über drei Jahrzehnte regierte. Sara Ishaq filmte die Rebellion in ihrem Land einerseits als Videobloggerin auf YouTube und die BBC, andererseits im intimen Kreis ihrer Verwandtschaft. Schließlich fügen sich die Aufnahmen in "The Mulberry House" im Rückblick zu einem Dokument eines Jahres, in dem der Glaube an den arabischen Frühling groß war. Für ihren Kurzfilm "Karama has no walls" war Ishaq 2014 für einen Oscar nominiert.
The Mulberry House / Sara Ishaq
Während es für Sara Ishaq ein bewusster Schritt war, zu filmen, beleuchtet "Die Kamera als Lebenszeichen" die Situation in Syrien, wo Zeitzeugen erst durch ihre Handykameraufnahmen selbst zu AktivistInnen wurden.
Sehr heftig und außergewöhnlich
Die Produktionsbedingungen muss man beim Hauptschwerpunkt "A World Of Prisons?" unbedingt mitdenken. In Gefängnissen kann nur unter vorgegebenen Bedingungen gedreht werden. Umso eindringlicher ist eine belgische Produktion. Die junge Regisseurin Ellen Vermeulen hat sich zudem eine spezielle Gruppe an Insassen für ihre Doku "9999" ausgesucht. Ihr Film ist herausragend, wenngleich ein Nervenkitzel, der einem die eigene Toleranzgrenze gut vorführt. Ellen Vermeulen porträtiert Menschen, die als psychisch abnorme Rechtsbrecher in Strafvollzugsanstalten leben, obwohl sie nicht rechtskräftig verurteilt wurden.
Ellen Vermeulen
1000 Psychiatriepatienten mit Vorstrafen gibt es in Belgien laut Vermeulens Recherchen. Das Entlassungsdatum jener Menschen, mit denen Vermeulen drehte, ist auf den 31.12.9999 festgesetzt. Klagen gegen den Umstand, dass die Insassen eigentlich als Patienten und in anderen Einrichtungen behandelt werden müssten, ignoriert der belgische Staat bislang.
Ebenfalls in diesem Programmschwerpunkt zu sehen ist die Wien-Premiere von Juri Schadens "Entwürfe", über ein Gefängnis, das offiziell keines ist, sondern die "Einrichtung für aufenthaltsbeendende Maßnahmen" im steirischen Vordernberg.
Es wird definitiv wieder ein Filmfestival mit auf's erste unpackbaren Geschichten, die einen länger nicht loslassen.