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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

26. 11. 2014 - 12:25

(̶h̶̶e̶̶r̶̶b̶̶s̶̶t̶̶s̶̶o̶̶n̶̶a̶̶t̶̶a̶) Herbst-Arie

Die Wolken bedecken den Himmel über dem Gürtel in Wien wie dreckige Wolle.

Mit Akzent

Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharovs. Jeden Mittwoch in FM4 Connected (15-19h) und als Podcast.

"Die Leiden des jungen Todor"
Das Buch mit den gesammelten Kolumnen gibt es ab sofort im FM4 Shop.

Aliki fragt mich wann wir wieder die Sonne sehen werden. Aliki ist eine Sopran-Sängerin aus Griechenland. Sie hat Operngesang in Milano studiert und verteilt Flyer in Wien. "Ich weiß es nicht genau, hoffentlich im März."

Aliki hat mal Aida auf der Bühne in Thessaloniki gespielt. Sie erzählt mir, dass nach der Wirtschaftskrise die Menschen aufgehört haben die Oper zu besuchen. Die ganze Truppe wurde gekündigt und Aliki fand sich auf der Straße wieder. Sie fuhr nach Wien, die Stadt der Oper. Sie hofft, dass sie hier mal singen oder unterrichten darf. Sie ist nicht mehr die Jüngste.

Wien im Nebel

CC-BY-SA-2.0 / David McGregor

Aliki meckert die ganze Zeit, dass sie zugenommen hat. "Welches Opernhaus würde wohl eine dicke Griechin anstellen?", fragt sie mich während sie ihren riesigen, roten Wagen, vollgestopft mit allerlei Zetteln, durch die Straßen schiebt. Ich beruhige sie, dass auch Maria Callas nicht die dünnste war und an irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens 36 Kilo abgenommen hatte. Aliki schaut mich belustigt an. "Ich bin nicht Maria Callas und du bist nicht Aristoteles Onassis." Beim Zweiten hat sie Recht, ich besitze leider keine Schiffsflotte.

Aliki beklagt sich, dass sie von niemandem wirklich wahrgenommen wird, während sie die Stadt verzettelt. "Was glauben sie wohl? Dass diese Flyer von alleine in ihre Taschen fliegen?" Ich mache einen Scherz, dass es vielleicht besser ist, wenn niemand erfährt, dass eine Opernsängerin Werbeflyer für Heavy Metal Konzerte verteilt. Aliki schüttelt den Kopf. "Es ist immer besser, wenn dich die Leute sehen, als wenn ihr Blick durch dich durchgeht!"

Aliki fragt mich, wie sie Irgendein-Lokal erreichen kann. "Ich bin so schlecht mit der Orientierung, ich könnte mich in meinem eigenen Wohnzimmer verirren! Außerdem ist Wien so grau im Winter, es gibt überhaupt keine bunten Flächen, wie könnte man diese graue Straßen voneinander unterscheiden?" Sie schafft es kaum, ihren roten Wagen in eine Straßenbahn reinzuschieben. Sie macht sich auf dem Weg. Bald wird die ganze Gegend mit Nachrichten über neue Theatervorstellungen, Konzerte und Vernissagen überflutet. Aliki geht von Lokal zu Lokal, diese ehemalige Aida. Und hofft, dass Radames irgendwo dort seinen Kaffee trinkt.

Nach einigen Tagen sagt Aliki zu mir, dass sie auf Diät sei. Sie versuche abzunehmen. Außerdem versucht sie jeden Abend ihre Stimme von der kalten Wiener Luft durch Stimmübungen zu bereinigen. Jetzt muss diese Maria Callas nur ihren Toscanini treffen. Bald ist wieder Weihnachten.