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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

25. 11. 2014 - 15:52

Alles ist, was es nicht ist

Das neue Album "Pom Pom" von Ariel Pink ist die Liebe zum Übertreibenden, zum Übergeschnappten.

Ich bin fasziniert von Ariel Pink obwohl ich seine Gesten und Posen nicht interpretieren kann. Ist es Naivität, und wenn ja: vorgespielte oder echte? Ist es Zynismus, ist es Satire oder sein Retro-Low-Fi-Sound? Selbst die eloquentesten Mitmenschen bringen, wenn es um Ariel Pink geht, oft nur ein "Furchtbar" oder ein "Grandios" hervor, scheitern oder verweigern die Erklärung des Warum. Es ist auch unumgänglich, dass immer erwähnt wird, dass eine Figur wie Ariel Pink aus Los Angeles kommen muss.

Ariel Pink

Meghan Gribben

Ariel Pink (CC BY-ND 2.0)

Ist das, was er macht, vielleicht eine Untersuchung des Drecks, der sich unter den Klauen der Unterhaltungsindustrie angesammelt hat? Ariel Pink könnte ein Nachkommen von John Waters und Brian Wilson zur Pet-Sounds-Phase sein.
 

"Pom Pom" ist der Name des neuen Albums von Ariel Pink, das erste, dass er als Solokünstler und nicht mit seiner Band Ariel Pinks Haunted Graffiti aufgenommen hat - sieht man einmal ab von den 500 Kassetten, die der König des Low-Fi-Home-Recordings in seinem Schlafzimmer aufgenommen hat. "Pom Pom" sind gebrochene Männerphantasien und Ängste mit einem süßlichen Hang zum lasziv Obszönen. Ariel Pink flirtet mit dem Unappetitlichen, dem Inkorrekten.

"Er pendelt zwischen Genie und Wahnsinn, neuerdings auch zwischen Genie und Arschloch", ist in der Spex zu lesen. Ariel Pink ist meisterhaft in der Kombination aus Banalität und Irritation. Es scheint schwer bis unmöglich zu sein, das präzise zu beschreiben, was Ariel Pink ausmacht, ohne in Metaphern, den Feigenblättern der Unverbindlichkeit, zu sprechen.

Notes on Camp

Es ist reiner Zufall, dass zur selben Zeit wie "Pom Pom" in mein Leben kommt, ich auch über einen ziemlich bekannten Text der amerikanischen Autorin Susan Sontag stolpere. 1964 hat Sonntag den Text "Notes on Camp" verfasst. Und vieles von dem, was Sontag über Camp schreibt, eine stilistisch überpointierte Art der Wahrnehmung, die am Künstlichen und der Übertreibung interessiert ist, bringt genau das auf den Punkt, was ich zu Ariel Pink fühle, aber nicht fassen konnte.

Ersetzt man das Wort Camp durch "Pom Pom", so scheint es, als hätte Susan Sontag 1964, 50 Jahre vor seinem Erscheinen, einen Review zu dem neuen Ariel-Pink-Album verfasst. "Notes on Camp" ist eine Definitionsliste, die aus 58 Punkten besteht, unter anderem aus diesen:

ariel pink

"Pom Pom" von Ariel Pink ist bei 4AD erschienen.

"8: Camp ist eine Betrachtung der Welt unter dem Gesichtspunkt des Stils – eines besonderen Stils freilich. Es ist die Liebe zum Übertreibenden, zum Übergeschnappten, zum: "Alles ist, was es nicht ist."

34: Der Camp-Geschmack wendet sich vom Gut/Schlecht-Schema der üblichen ästhetischen Wertung ab. Camp wertet die Dinge nicht um. Es behauptet nicht, das Gute sei schlecht und das Schlechte sei gut. Stattdessen bietet es neue ergänzende Normen der Bewertung von Kunst und Leben.

39: Camp und Tragödie sind Antithesen. Es gibt freilich Ernsthaftigkeit im Camp und häufig auch Pathos. Auch das Peinigende gehört zu den Tonarten des Camp. Aber nie, niemals findet sich Tragisches im Camp.

41: Der ganze Sinn liegt in der Entthronung des Ernstes. Camp ist spielerisch antiseriös.

Und siehe da: Dank eines 50 Jahre alten Textes sind die Geister, die Ariel Pink auf uns los lässt, schon etwas weniger verstörend.