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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

24. 11. 2014 - 16:18

"Den Kopf gegen die Wand, bis ich nichts mehr fühle"

Eine verzweifelte Supermacht bäumt sich auf und spielt ein grausames Spiel: TV On The Radio sind trotzdem Artist of the Week - oder deswegen.

Jetzt sind sie also wieder da. Nach dem Tod ihres Bassisten Gerard Smith, dem dauernden auf allen Promihochzeiten Rumgetanze von Dave Sitek als Produzenten und dem zweiten Standbein von Tunde Adebimpe als Visual Artist und Regisseur von Musikvideos – wann sollten die Zeit für den traurig gewordenen Dinosaurier TV On The Radio haben? Dann hat es den Herren Adebimpe und Sitek auch gereicht, dass ihr Brooklyn von Lattecafes und Hipstershops überschwemmt wurde und sie sind kurzerhand nach Los Angeles gezogen, Sitek gar nach Beverly Hills, um sein Soloprojekt Maximum Balloon zu forcieren und aber auch Platten von Kelis, Yeah Yeah Yeahs und Beady Eye zu produzieren.

Doch sie hatten Zeit und „Seeds“ ist daraus geworden.

buntes Plattencover

TVOTR

Vielseitig, vielschichtig, vielbedeutend. Im Falle des neuen TV-On-The-Radio-Albums „Seeds“ kann diese Vielheit dieser großen Band für Verwirrung sorgen. Dave Siteks Liebe nicht nur zu David Sylvain oder Peter Gabriel, sondern auch zu gated Drums und den glatten Popproduktionen der Achtziger Jahre drängt die zweifelnden Love Songs von Malone und Adebimpe sehr oft in eine allzu glatte, sphärische Richtung. Man hört nicht selten den Synthesizerteppich von Billy Idols „Eyes without a face“, dessen Produktion Sitek auch in einem Interview einmal bewundert hat, eine Atmosphäre, die das Vielseitige und Vielschichtige von TV On The Radio konterkariert und andererseits auch um eine neue Seite und eine neue Schicht erweitert … so muss man dieser Band und ihrer Generation auch ihre Version des Blicks auf eine Zeit zugestehen, die als Blüte der glatten Mainstreamproduktion gilt und deren Singles nicht selten auf Studiotechnik-Effekthascherei beruhten. Was die Foals, Yeasayer, all die Chillwaver, Elbow oder Destroyer dürfen, muss auch TV On The Radio dürfen – sich an in meiner Erinnerung grauenvoller Musik und Produktionstechnik abarbeiten und daraus neue, eigene Meriten und Fehler gebären.

TV On The Radio

TVOTR

Noch immer ist TV On The Radio eine Macht. Die blinde Bandmagie, das energetische, unduldsame und doch swingende Drumming von Jaleel Bunton, die druckvollen, elektronisch verfremdeten Gitarrenlayer, Adebimpes hektischer, stets kippender Gesang, die rätselhafte Poetik von Kyp Malone … all das gibt es noch, doch Sitek setzt diesen Voraussetzungen einige Schrauben an.

Manchmal trifft er damit genau, wie beim Opener- Klagelied „Quartz“, das wirklich sehr schön auf eine der vier gleich betitelten Peter-Gabriel-Platten gepasst hätte. Die Stimme mäandert sich hier durch einen zähflüssigen Ozean aus übereinandergelegten Gegenstimmen, die Adebimpe’sche Säge hat zugleich Mühe durchzukommen, gleichzeitig gebietet sie darüber, und am Schluss löst sich dieser kleine Kampf in einem Blütenmeer auf. Klasse. Auch „Happy Idiot“, die Single mit dem schönen Video vom Midlife-Crisis-Autofahrer und seinen Erinnerungen an das Kind, das nicht mit den anderen spielen wollte, mit seinem zarten Anklang an New Order Beat und U2s Effektgitarren ist in ihrem Sinn ein rundes Ding.

Adebimpe versucht sich auch als Bryan Ferry’scher romantischer Lover mit Verzweiflung nach der Trennung – in „Careful You“, Kyp Malone sagt schon im Interview, wie sehr er nicht über Liebe sprechen will, weil er es nicht kann, was bei „Love stained“ und seinen an HipHop erinnernden komplexen Binnenreimen subtil rauskommt. Er singt es mit Direktheit und einem reizenden Zungenschlag.

Kein Wunder, dass ich „Lazzeray“ bevorzuge, eine Genre-Nummer, einen Ramones-artigen 70ies-Stampfer, dessen Text und Sound an Weltraumeroberung erinnert, den auch Lemmy Kilminster lieben würde und bei dem alte Qualitäten von Tunde Adebimpe als kieksender Speedfreak-Darsteller aufblitzen. Oder eine andere, sicher gemeinhin als schwach empfundene Genrenummer, "Winter", die ein Stooges Outtake sein könnte. Oder das titelgebende "Seeds", eine Mischung aus Hoororsoundtrack und Abzählreim, bei dem mir jetzt keine und alle Eighties-Referenzen zugleich einfallen wollen.

Frühgeborene hören hier überall Labi Siffre, Styx, Frankie Goes to Hollywood, Peter Gabriel und Kate Bush, Toto und Billy Idol.
Spätgeborene hören hier elektronisch erhobene, eindringliche Textzeilen, Klagen, Stöhnen und Drängen, Erzählen und Fragen, auf Ernst Pochen und sich nicht ernst Nehmen. Sie hören eine Version von Soul, von Gefühlsmusik.
Beide Geborenen hören eine Version des Sounds von Liebe und Verzweiflung, Verlust und Wiedererstarkung, beide hören zum Teil große Songs – und eine mächtige Band, die mit den Insignien der Macht ein schaurig- schönes, teilweise grausames Spiel spielt.