Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "The daily Blumenau. Monday Edition, 23-11-14. "

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 11. 2014 - 13:58

The daily Blumenau. Monday Edition, 23-11-14.

Hollywood-Kino als Propaganda-Tool, Teil 128. Diesmal: Interstellar, die NASA und die Postdemokratie.

The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.

#machtpolitik #bewegtbild

1

Es gibt unglaublich viele Gesichtspunkte, unter denen man einen SF-Film ansehen kann; vor allem, wenn er - wie Christopher Nolans Interstellar - ganz bewusst derart viele Räume aufmacht.

Da ist einmal die Genre-Perspektive. Dann wäre da der Inter-Genre-Abgleich mit etwa dem Western. Oder die Bruchlinie zwischen offensiv und zurückhaltend virtuell produzierten Hintergründen, oder überhaupt der Referenzpunkt Action- vs. Erzähl-Kino. Und noch vieles andere mehr.

2

Ich hab Interstellar am Samstagabend (wieder einmal) im Rahmen eines transatlantischen Diskurses gesehen; und da geht's dann gar nicht anders: Die patriotistischen Elemente und die Richtung, in die uns Zuschauer das emotionsgetriebene Narrativ drängt, standen deutlich vor dem durch McConaugheys leise-pointiertes Genuschel getragenen Epos und überlagerten klar sonst freudig zur Kenntnis genommene genrespezifische Highlights. Dass etwa mit TARS der bis dato nachvollziehbarste Tongue-in-Cheek-Roboter der SF-Filmgeschichte geschaffen wurde.

Denn wiewohl die Likelyness-Maschinerien, die nach solchen Film-Monstern die Debatte dominieren (die 21 Dinge, die keinen Sinn machen oder die 7 größten Probleme des Films) schon auch Spaß machen, sind es viel simplere Fragen jenseits der klassischen SF-Diskurse, die anliegen - aber kaum gestellt werden. Ich habe in den Rezensionsbergen kaum dergleichen gefunden; und wenn, dann nur implizit, wie etwa hier: By sparking such a lively debate among serious scientists and ordinary moviegoers alike, Nolan is doing his part to make sure the depressing, conspiracy-theory-laden, anti-NASA future envisioned in his movie never comes to pass.

3

Die angesprochene debate ist die über Sinnhaftigkeit und Zweckmäßigkeit, die US-Weltraumagentur NASA finanziell wieder aufzurüsten. Einen besseren Propaganda-Beitrag als den Nolans in Interstellar kann es nicht geben.

Dort sind die NASA-Leute nicht nur die Guten (die sich geweigert hatten, in der dystopischen Grundannahme des Plots Gewalt anzuwenden), sondern auch der einzige Hoffnungsträger fürs Überleben. De facto übernimmt die NASA sämtliche Funktionen, die in früheren Genre-Bereichen noch die USA in general hatten, sie ist der einzige würdige Vertreter der immer noch ordentlich wehenden Stars&Stripes-Flaggen. Sie sind die Explorer, die Pioniere - die anderen werden verächtlich als Caretaker, als Verwalter, Betreuer (auch: Hausmeister) abgetan.

4

Die zentrale Frage hinter den Posen nationaler Stärke und der Hervorstreichung von emotionalem Kapital, nämlich die, ob der Einsatz der Mittel (samt wissenschaftlichem Hirnschmalz und superviel Zeit) für die Eroberer-Tätigkeit in fernen Galaxien hinter dem freundlichen Wurmloch nicht locker ausreichen würde, um das zentrale Wetter/Nahrungs-Problem der Erdbevölkerung zu lösen, stellt auch kaum jemand - nur hier etwa, in Frage 6 und das auch wieder nur implizit.

Die Frage, was NASA mit Interstellar zu tun hat, wird interessanterweise auf rein rationale Art und Weise, nämlich über Beratung/wissenschaftliche Glaubwürdigkeit etc verhandelt - und angeblich war die Koop da recht gering, was auch damit zu tun hat, dass man mit Kip Thorne eh einen echten Kapazunder auf der Kommando-Brücke hatte.

5

Trotzdem lenken die Streitereien, ob jetzt die Interaktionen mit dem Wurmloch oder dem lieblicherweise Gargantua getauften Schwarzen Loch realistisch oder zumindest theoretisch vorstellbar wären, auf einer emotionalen Ebene von der unterschwellig verbreiteten Botschaft, die niemand in Frage stellt, ab: dass es nämlich überlebensnotwendig wäre, die Zukunft "out there" zu suchen (und sich also wieder der Space-Exploration und NASA zuzuwenden) - einfach weil die Situation auf der Erde verfahren und hoffnungslos sei.

Das geht deswegen gut rein, weil viele Menschen (ältere und schlechter gebildete vornedrin) an dieses fatalistische Narrativ glauben und weil das andere, alltägliche und realistische Modell des andauernden Welt-Rettens nichts als mühsam ist und viel Einsatz verlangt. Einsatz, der von einer sich in Müdigkeit und Teilnahmslosigkeit ergebenden Gesellschaft aktuell nicht geleistet wird.

6

Das Weltretten an die Guten von der NASA und Coop und Murph auszulagern (denn es sind die USA, die mit der überall wehenden Flagge, die sich um mankind kümmern), das ist genau jetzt in jeder Hinsicht verlockend.

Die Ausbeutung des Planeten so ressourcenschonend zu verlangsamen, dass es möglich ist, den dystopischen Ansatz der Nahrungsmittel-Krise und der Umwelt-Katastrophe zu entgehen, das ist deutlich weniger glamorous, deutlich anstrengender und deutlich weniger funky; es bedarf einer kollektiven Anstrengung, es bedeutet, Opfer zu bringen, es bedeutet, sich gesellschaftspolitisch einzubringen.

Das alles ist in einer postpolitisch, postdemokratisch denkenden Gesellschaft des auslaufenden Modells der kapitalistischen Demokratien westlicher Prägung kaum noch möglich.

7

Letztlich ist Interstellar also ein Epos der Aufgabe: Die alte Welt, in der die Nachfolger der irischen Kartoffel-Pest wüten, ist ein hoffnungsloser Fall - weshalb alle Kraft in die Ausweitung der Grenzen, die Kolonialisierung neuer Welten gesteckt werden muss.

Der Gedanke der Umwidmung der unglaublichen Mittel, die da in vage Flucht-Ideen investiert werden, in Erhaltung und Reparatur kommt gar nicht mehr auf - eine fatale Botschaft, die zum einen dem untätigen Zuschauen Vorschub leistet und zum anderen Postdemokraten (also Warlords von morgen) an die Macht bringen wird, die diese Entwicklungen auch noch forcieren werden.

Dass ausgerechnet Christopher Nolan, der bislang grüblerisch im Inneren der Menschen wühlend die düsteren Winkel so ausleuchtete, dass man zumindest eine Ahnung von den Widersprüchlichkeiten der menschlichen Seele bekommen sollte, sich mit Interstellar zum Agitatoren-Kaspar eines postdemokratischen Interessens-Konglomerat macht, ist ein interessanter side-aspect. Es ist wohl der Eskapismus, der uns naiver und in jeder Form politisch noch angreif- und ausbeutbarer, also kaputtbarer macht.