Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Kriegsspiele"

Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

22. 11. 2014 - 14:13

Kriegsspiele

„The Hunger Games“ gehen ins Finale. „Mockingjay Teil 1“ führt die Gratwanderung zwischen Politsatire und Teenage-Blockbuster auf zwiespältige Weise weiter.

Wie alles begann

  • 2012: Ich bin minderjährig, holt mich hier raus! „The Hunger Games – Die Tribute von Panem“ ist zugleich actionlastiger Blockbuster und bittere Sozialsatire.
  • 2013: Brot und Spiele "Die Tribute von Panem - Catching Fire" zeigt, wie sich Teenie-Gladiatoren die Schädel einschlagen. Das Publikum ist begeistert.

Das Szenario könnte nicht aktueller sein. Auf einem Schlachtfeld steht eine junge Frau im Kampfanzug. Im Hintergrund schlagen Granaten ein, im Vordergrund verkündet das martialische Postergirl aufwühlende Botschaften für die Massen. Später wird der Propagandaclip von einem cleveren Spin-Doctor analysiert. Szenen aus „Mockingjay Teil 1“, dem neuesten Film der „Hunger Games“-Reihe, die perfide zu unserer Ära der medialen Inszenierungen und entleerten Ideologien passt, in der sich auch Revolutionen der Marketingmaschinerie bedienen.

Inhaltlich wollten die „Tribute von Panem“ immer mehr als bloß aufwühlende Blockbuster für die pubertierende Zielgruppe sein. Angewidert vom Sperrfeuer der TV-Sender, die zwischen Castingshows und Gewaltgeilheit switchen, verfasste Autorin Suzanne Collins eine bitterböse Gegenwartssatire. In ihren Bestsellern dienen Hungerspiele und Hinrichtungen der geschickten Emotionalisierung der Massen.

Im Finale der Filmadaptionen, von den zuständigen Produzenten selbstverständlich handelsüblich in zwei Teile geteilt, heißt es aber zunächst: Game Over. Die menschenverachtenden Gladiatorenkämpfe gehören der Vergangenheit an. Denn in der diktatorischen Welt der nahen Zukunft braut sich eine Revolution zusammen.

The Hunger Games: Mockingjay Part 1

Constantin

"The Hunger Games: Mockingjay Part 1"

Pop-Terror und asoziale Netzwerke

In geheimen, unterirdischen Bunkern des Distrikt 13 trainieren Soldaten der Rebellenfraktion für den Aufstand. Damit der Umsturz funktioniert, folgert Philip Seymour Hoffman als Stratege, braucht die Revolte ein Gesicht. Eine Ikone für das Volk. Niemand eignet sich besser als Symbolfigur als Katniss Everdeen alias Jennifer Lawrence, die Heldin der Hungerspiele.

Erst als die junge Kämpferin aus der Arbeiterklasse sieht, welche Verwüstungen Präsident Snow (Donald Sutherland) mit seinen Truppen angerichtet hat, akzeptiert sie die Pläne der Rebellen. Katniss wird mit einem Kamerateam an die Front geschickt, um dort, mitten im Bombenhagel, besonders aggressive Botschaften an das Volk aufzunehmen.

Dass die guten Widerstandskämpfer mit ähnlichen PR-Methoden arbeiten wie das böse System und überhaupt jeder Moment im Panem-Universum nur unter Beobachtung und Kommentierung asozialer Netzwerke funktioniert, passt zur offenbar illusionslosen Sicht von Suzanne Collins. Wer an ihrem Blickwinkel zweifelt, sollte an Videos des US-Militärs denken, aber vor allem auch an die Gräuelclips des IS. Im Simulationszeitalter funktioniert eben auch Terror nach den Gesetzen der Popkultur.

The Hunger Games: Mockingjay Part 1

Constantin

"The Hunger Games: Mockingjay Part 1"

Leider biederes Hollywoodprodukt

Natürlich sind all diese kulturpessimistischen Referenzen in ein typisches Young-Adult-Drama eingebettet, in dem jugendliche Entfremdung und hormonelle Verwirrungen eine wichtige Rolle spielen. Aber im Vergleich zur „Twilight“-Saga etwa setzt sich die „Panem“-Trilogie deutlich von der Tradition vergilbter Fotoroman-Schnulzen und Groschenheft-Romanzen ab. „Ich schreibe nicht über Teenager“, sagt Suzanne Collins. „Ich schreibe über Krieg. Aber für Teenager.“

Wenn sich das alles für eine megaerfolgreiche Multiplex-Saga fast schon subversiv anhört, dann kommt jetzt leider der Einwand. Nur der erste Kinofilm der „Hunger Games“ Reihe, inszeniert von Gary Ross, traf diesen düsteren, sarkastischen Tonfall der Vorlage. Und ging mit seiner nervösen Handkamera und der rauhen Ausleuchtung beinahe als Indiefilm durch.

Seit Francis Lawrence als Regisseur die Franchise übernommen hat - ein Mann, der bereits potentiell spannende Produktionen wie „Constantine“ oder „I Am Legend“ in den Sand setzte - ist die Dringlichkeit aber verschwunden. Da kann sich in "Mockingjay: Part 1“ die ungebrochen sympathische Jennifer Lawrence ebenso bemühen wie Julianne Moore als zwiespältige Revolutionsführerin oder Philip Seymour Hoffman in einer seiner letzten Rollen. Auch das tolle Setdesign oder der Soundtrack, der von Lorde höchst ambitioniert zusammengestellt wurde, retten den Film nicht.

The Hunger Games: Mockingjay Part 1

Constantin

"The Hunger Games: Mockingjay Part 1"

Gegen die schnarchige Inszenierung, die sich sämtlichen Konventionen beugt, kommen sie alle nicht an. Nachdem Francis Lawrence auch beim Finale im Regiestuhl sitzen wird, schraube ich für meinen Teil die Erwartungshaltung erst einmal hinunter. Was als der perfekte Blockbusterkommentar für unsere verstörende Zeit begonnen hat, scheint als biederes Hollywoodprodukt zu enden.