Erstellt am: 21. 11. 2014 - 12:48 Uhr
Blue Bird Festival
Im Porgy&Bess im ersten Wiener Gemeindebezirk stehen die Stühle enger als sonst, irgendwie durcheinandergewürfelt wirken sie, besonders vorne in Richtung Bühne. Das steht dem Porgy gut, und die Enge ist auch gar nicht störend. Die Nachfrage nach Blue Bird Tickets war auch diesmal ungebrochen, also ganz unauffällig ein wenig an den Sesseln rücken, und schon finden ein paar Menschen mehr Platz. Das Blue Bird hat sich in den nun zehn Jahren seines Bestehens einen richtig guten Namen gemacht, zu Recht. Aber gehen wir gleich mitten hinein, mitten hinein in den Abend, weil ich wieder einmal einen Festival-Opener verpasst habe. Aber immerhin gibt es ja eine Ausrede: How To Dress Well, die später an diesem Abend spielen, mussten noch interviewt werden, und die Band war verspätet aus Prag gekommen.
Die Blue-Bird-Opener I Am Oak aus Holland - ich nenne sie konsequent Wye Oak, und, nein, ich bin nicht stolz darauf - machen perfekten Indie-Folk, auf ihrem Album jedenfalls, und das, so sagt verlässlich Freund T., haben sie auch live so umgesetzt - eine Spur härter nur, sodass der letzte Song schon beinahe Postrock gewesen sein soll.
Hanna Pribitzer
Auch zu Gravenhurst komme ich viel zu spät, erwische Nick "Gravenhurst" Talbot gerade noch beim vorletzten Song: "Damage II ", bevor sich für Gravenhurst dann noch ein allerletzter Song ausgeht - "Hopechapel Hill", und Nick Talbot grummelt, dass er jetzt von der Bühne geworfen wird. Gravenhurst waren diesmal ein Trio, Nick und zwei Mitmusikerinnen, deren eine Stimme so wunderbar harmoniert mit seiner. Die Schlagzeugerin war, als Gravenhurst vor zwei Jahren beim Waves Vienna Festival spielte, nicht dabei. Ein richtiges neues Album gibt es von diesem Mann aus Bristol nicht, aber Gravenhurst feiert auch ein Zehn-Jahres-Jubiläum, nämlich, solange veröffentlicht er schon seine wunderschöne Musik beim britischen Warp-Plattenlabel, das eigentlich für Techno steht, aber auch einem hochbegabten Songwriter-Nerd wie Nick Talbot eine Heimat bietet. Ich verdrücke tatsächlich eine Träne, das Gravenhurst-Konzert nur at its tail end erwischt zu haben. Dieser Mann ist, wie gesagt, gewissermaßen Schuld daran: Tom "I never listened to Nirvana" Krell.
Hanna Pribitzer
How To Dress Well nennt Tom Krell sein Bandprojekt schon seit ein paar Jahren, und er steht als nächstes auf der Blue-Bird-Bühne. Wenn der Amerikaner sich mit dem Handtuch den Schweiß abwischt, lässt er uns so ganz nebenbei kurz seinen Six-Pack-Bauch sehen. Nick "Gravenhurst" Talbot hingegen hätte sich das Handtuch am liebsten ums Gesicht gewickelt. Schade, so mein verlässlicher Freund T., dass der Auftritt von Gravenhurst - samt viel Gitarren-Tuning wegen zu wenig Soundcheck-Zeit? - bis zum Ende nicht so ganz in Schwung gekommen ist. Aber jetzt zu Tom Krell: Ein großgewachsener Mann mit Knebelbart, der nie Nirvana gehört hat, wie er gern betont. Erst am Ende des Konzert lächelt der stets etwas verzweifelt blickende Tom Krell. Wie Nick Talbot ist er eben auch kein happy bunny, aber auf völlig andere Weise.
Hanna Pribitzer
Zwei Mikros beansprucht der Mann ohne Musikinstrument - eines einfach so zum Singen, das andere für den Hall und Effekte, die das Ding so herbeizaubert. Manche sagen ja, Tom Krell ist ihnen zu weinerlich. Etwa wenn er flehend singt "I don't even know what's best for me". Der Mann, der Janet Jackson oder auch R. Kelly gecovert hat, aber zu seiner Verteidigung auch Xiu Xiu, ist etwas schüchtern und jovial gleichzeitig bei seinem ersten Wien-Konzert, für das er eigentlich alle Songs komplett umarrangiert hat. Ob wir denn einen "quiet song" aushalten würden, fragt er. Ob dazu unsere "attention span" reicht, meint Tom in der Schlabberhose. Tom, this is Europe, not the States, möchte man ihm fast zurufen. Das ist eben sein "how to dress well"-Stil. Die Hose, mein ich. Ein weißes Promo-Shirt von seinem aktuellen Album "What Is This Heart" trägt er zur Freizeithose. Ok, dann halt einen langsamen Song, das halten wir schon aus, sind ja schließlich am Blue Bird. Einen von einem Traum inspirierten Song: "2 Years On (Shame Dream)", in dem Tom Krell träumte, dass sein Vater ein schrecklicher Typ ist, dieser in Wirklichkeit aber das komplette Gegenteil ist.
Tom "I never listened to Nirvana, und auch nicht Green Day" Krell gibt unter anderen Prince als Einfluss auf seinen Songwriter-R&B an, im nächsten Stück liegt sein Singen aber eher näher an dem von Michael Jackson. "I pray for myself again", singt Tom Krell in "Cold Nites". Ist nicht ganz mein Ding, dieses Songwriter-R&B-Ding, sagt der verlässliche Freund T. Ich muss noch überlegen. "Baby" und "Girl" kommen oft vor in den Songs von How To Dress Well, ganz R&B-Style, aber der Mann aus dem Rocky-Mountains-Staat Colorado, der via Brooklyn und Berlin nun in Chicago lebt, spielt auch einen Song, den er einem Freund gewidmet hatte, der dann unerwartet eineinhalb Jahre später starb. Jetzt weint tatsächlich die Geige. Nur zwei Stücke noch - ja, die Blue Bird Uhr ist gnadenlos, zwei Stücke, bei denen Tom Krell und Band-Drummer, Keyboarderin, Knöpferldreher/Gitarrist/Violinist - aufdrehen, Lärm machen, und endlich dem etwas verzweifelten Blick ein Lächeln folgt. Letzter Termin einer dreimonatigen Tour für How To Dress Well. Das hat Potenzial. Wir sehen uns nächstes Mal, und bis dahin, Tom, ein bißchen Foo Fighters hören. Nein, Schluss mit Scherzen, wir sind am Blue Bird. Oh doch, es sollen noch einige Scherze folgen. Gut so. Den mit dem Kürbis mag ich, auch wenn Halloween längst vorbei ist.
Hanna Pribitzer
Und schließlich der Headliner des ersten Blue-Bird-Abends: der Brite Patrick Wolf. Es war ein intimer Auftritt des ehemaligen Wunderkindes, das noch immer erst 31 Jahre alt ist. Sehr kommunikativ war Patrick, was er sonst bei seinen Konzerten nicht immer ist. Das war schön für die unter uns, die die Musik von Patrick Wolf schon länger kennen, oder gar in und auswendig, für etwaige NeueinsteigerInnen war der neuerdings kahlgeschorene, in schwarze Schnürstiefel und hübsche Glencheck-Hose gewandete Herr Wolf vielleicht etwas zu "casual", wie er quasi locker vom (Piano)Hocker plaudert, etwa,dass er seine Nachbarn zuletzt nervte mit dem Gitarrespielen und vorallem dem Stimmen ebendieser - eine wunderschöne Epiphone. Patrick Wolf hat zuletzt Zeit in L.A. verbracht, ah, deshalb klingt er da eben wie John Frusciante, wenn er an der Gitarre, die eh schon perfekt klingt, weiter herumtut. Tststs. Aber, Patrick, wir lieben dich selbstverständlich, auch wenn du Kaffee trinkst auf der Bühne und sagst, dass du nach Mitternacht zum Kürbis wirst. Hihihi.
A Boy Like Me Should Know Much Better
Her mit der elektrischen Geige. "I was living on borrowed times", singt er nun, bevor er wieder an den Tasten Platz nimmt. Oops, falsches Playback-File erwischt. Aber macht ja nichts, hier ist ein Song für Amy Winehouse: "Bitten" von der "Brumalia"-EP von Patrick Wolf, 2011 erschienen. In London, sagt der freundliche Entertainer, wären die Menschen schon längst gegangen, um die U-Bahn noch zu erwischen, ihre Nannies abzulösen, aber hier in Wien, das ist etwas anderes. Und nein, er ist noch immer nicht zum Kürbis geworden, auch wenn es schon spät ist. Der zerstreute Poet klaubt in Zetteln herum, erzählt, wie er unbedingt ein Songwriter werden wollte, inspiriert von Joni Mitchell, und wie ihm eine Ukulele auf den Kopf gefallen war. Zeit für den Song "The Gypsy King" aus dem fast zehn Jahre alten "Wind In The Fires"-Album, dem zweiten Longplayer von Patrick Wolf, aus dem er einige Songs spielt. Etwas planlos kokettiert Patrick Wolf weiter: "I've no fucking idea what I'm doing." Gib niemals deinen Traum auf dann die Message, so als ob er sich selbst Mut zusprechen würde: "A Boy Like Me". Das ist nun doch insgesamt ein schöner Bogen geworden bei diesem Auftritt, eine kleine Zusammenfassung, wer der Künstler Patrick Wolf ist.
Hanna Pribitzer
Einmal geht noch: Zugabe. Patrick Wolf setzt sich an die Harfe, die in dieser One-Man-Show noch nicht benutzt wurde - in Kroatien zuletzt etwa stand Wolf mit zwei MitmusikerInnen auf der Bühne. Also, Patrick Wolf an der Harfe, "Turn out the Lights" singt er, eine Zeile aus seinem Song "Armistice" von seinem letzten Studioalbum, "Lupercalia", mit dem er vor drei Jahren in Wien spielte. Good to see you again, Patrick, schön hast du dich uns wieder in Erinnerung gerufen. Bis bald im nächsten Jahr, mit dem neuen Album. Meine persönlichen Lieblingsmomente bei diesem Konzert waren gleich zu Beginn "Damaris", "Bluebells", "Enchanted" "Teignmouth"und "Godrevy Point".