Erstellt am: 20. 11. 2014 - 18:26 Uhr
"Wir waren eingeschüchtert, wenn man so will"
Der Maler Joseph Mollard William Turner, bekannt durch seine romantischen Landschaftsbilder, ist in Großbritannien eine Ikone. Die Tate Britain Gallery widmet gerade dem Spätwerk des Künstlers eine Ausstellung. Der Turner Prize, mit dem jedes Jahr die besten zeitgenössischen KünstlerInnen der Insel ausgezeichnet werden, ist nach ihm benannt.
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Aus gutem Grund, denn der visionäre William Turner hat Anfang des 19. Jahrhunderts die Kunst revolutioniert. Turner hat der Abstraktion vorgegriffen, bis sie die Expressionisten in ihren Landschaftsabbildungen angedeutet haben. Turners magische Licht- und Wetterfarbenspiele und die Stimmungen auf der Leinwand waren damals eine Provokation, wofür er auch am Boulevard-Theater verspottet wurde - er war der Schreck der feinen Gesellschaft.
Der Regisseur Mike Leigh, einer der ganz Großen des Weltkinos, hat über ein Jahrzehnt an einem vielschichtigen Bio-Picture über William Turner gearbeitet. Und es hat sich bezahlt gemacht. Im Interview in Berlin spricht Mike Leigh über politische Filmarbeit in der restriktiven Thatcher-Ära der 1980er und das Aufwachsen in der Industriestadt Manchester, das ihm als Inspiration für seine Working-Class-Dramen gedient hat.
CC-BA-SA-2.5 - Stuart Crawford
Petra Erdmann: Der Titel Ihres neuen Films "Mr. Turner" ist einfach, fast bescheiden. Was ist der Grund dafür?
Mike Leigh: Nun, man kann einen Film "Turner" nennen. Das wäre dann wie "Rembrandt", "Caravaggio" oder "Tizian", oder was auch immer. Aber, es geht um einen großartigen Maler, einen großen Künstler der Kunstgeschichte, und gleichzeitig um einen Mann – einen Menschen. Eine komplexe, echte Person, wie der Rest von uns – wie Sie und ich. Daher dachte ich, es wäre gut, den Film "Mr. Turner" zu nennen, weil es ihn irgendwie auf die Erde zurück holt.
Gab es Momente in denen Sie Angst hatten, den Rahmen, die Malerei und die Umgebung Turners auf eine besondere Weise darzustellen?
Ich und meine Kollegen, die den Film gemacht haben, und besonders Kameramann Dick Pope, der ein großartiger Schauspieler ist, wir hatten keine Angst, aber wir waren eingeschüchtert, wenn man so will. Ich meine, die Arbeit, einen Film über einen großartigen Maler zu machen, einen Film, der visuell den Stil, die Farben, die Palette, den Klang und den Geist von Turners Arbeit einfangen soll, war nicht leicht. Aber ich würde nicht sagen, dass wir Angst davor hatten.
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Wie passt ihr Filmstil, der zumeist einem kritischen Realismus folgt, zur Bilderwelt des Malers Turner?
Was wir mit diesem Film gemacht haben: Wir haben den Film in einem ähnlichen Stil wie meine anderen Filme gedreht, eine Art Realismus, der eine Welt erschafft, zu der wir einen Bezug herstellen können und die sich anfühlt wie jene, in der wir jetzt gerade leben. Gleichzeitig vermittelt sie aber ein Gefühl von Turners Welt und seiner Vision.
Wann haben Sie das erste Mal daran gedacht, einen Film über William Turner zu machen?
Alles begann, als ich in den frühen Sechzigerjahren Turner für mich entdeckte und zu schätzen lernte. Damals war ich Kunststudent in London. Bis in die späten 1990er, nachdem wir "Topsy-Turvy" gedreht haben – ein Film über das Viktorianische Theater –, habe ich nicht daran gedacht, einen Film über ihn zu drehen. Dann habe ich über ihn recherchiert – über die Persönlichkeit, seinen Charakter, den Menschen William Turner. Dabei realisierte ich, dass zwischen seiner exzentrisch-konfliktbehafteten Persönlichkeit und seiner epischen, poetischen, spirituellen Arbeit ein großes Potenzial, eine Spannung und ein Kontrast herrschen, und dass man das filmisch umsetzen könnte.
Waren Sie mit der Umgebung und der Atmosphäre, die in den 1960ern herrschte, zufrieden?
Die Atmosphäre der Sechziger, dem Zeitalter der Beatles, die Zeit der Happenings und all dieser kuriosen Geschichten; ich war ein Teil davon und meine Experimente in den Sechzigern, im Film wie im Theater, haben zu der Arbeit geführt, die ich jetzt mache. Das Ganze (die Experimente) war ein großer Teil dessen, was damals passierte. Man muss sich vor Augen halten, dass wir – also jene, die während des Kriegs geboren wurden und in den Fünfzigern Teenager waren – in einem sehr strengen Umfeld aufgewachsen sind und dem auch gerecht werden mussten. Unsere Eltern waren unglaublich eingenommen von der Vorstellung, anständig und konform, sauber und "gut" zu sein. Und so begann ich in Frage zu stellen, dass Theaterstücke und Filme niedergeschrieben und aufgeführt werden müssen. Ich fing an, die Welt, in der ich arbeitete, für mich zu erforschen; dort, wo man tatsächlich ein Werk kreiert und keinen literarischen Prozess durchmachen muss, der einen auf diesen Weg führt. In dieser ganzen Erfahrung ging es um Film und Malerei, Lyrik und Jazz, Theater und Experimente aller Art. Und: natürlich Popmusik.
Als Regisseur, erinnern Sie sich an ein Konzert oder einen Film, der Sie damals nachhaltig beeindruckt hat?
Ich wuchs in Manchester auf, in der Provinz im Norden Englands, und kam 1960 runter nach London. Ich habe davor nie einen Film gesehen, der nicht auf Englisch war. Zwar ging ich in meiner Jugend ständig ins Kino, aber ich habe nie einen französischen, deutschen, italienischen oder japanischen Film gesehen. Alles was ich gesehen hatte war Hollywood oder britische Filme. Britische Komödien etwa oder Kriegsfilme. In der Folge war das, was mich beeindruckte das Welt-Kino – die Nouvelle Vague. Eines der ersten Dinge an die ich mich erinnere, als ich nach London kam, war, als ich in der Tate Gallery eine Picasso-Ausstellung besuchte. Wissen Sie, ich hab davor noch nie so etwas gesehen in Manchester. Es war fantastisch!
In diesem befreienden Klima im London der Sechzigerjahre haben Sie also Ihre Karriere gestartet. Hat Sie das zu Ihrem Sozialrealismus geführt? Sie wurden mit dem Kino berühmt – Stichwort "Naked", in dem der junge Johnny nach einer Vergewaltigung von Manchester nach London abhaut.
Nein. Meine Weltanschauung – egal ob es um die arbeitende Klasse oder jeden anderen gesellschaftlichen Bereich geht – entspringt in erster Linie der Welt, in der ich aufgewachsen bin: dem industriellen Norden Englands der 1940er und 1950er; der grauen, smogverhangenen, hart arbeitenden Welt dort.
Glauben Sie es wurde wieder grau, als Maggie Thatcher an die Macht kam und wie glauben Sie, hat die politische Atmosphäre dieser Zeit Ihre filmische Arbeit beeinflusst? Waren Sie wütend?
Übersetzung des Interviews: Lukas Lottersberger
"Mr. Turner" läuft ab 21.11. in den österreichischen Kinos an.
Ja, bis zu einem gewissen Punkt war ich das. Aber wissen Sie, die Wahrheit daran ist: Viele Menschen denken, "Naked" war ein Anti-Thatcher-Film, dabei wurde der Film vier Jahre nachdem Thatcher gegangen war, gemacht. Ich habe drei Filme gedreht, die eine Reaktion auf gewisse Thatcher-Aspekte waren. Aber es wäre falsch zu sagen, dass meine Arbeit zur Gänze von Thatcher beeinflusst war. Sie ist nicht mein Hauptmotiv.
Das Interview im Original zum Anhören
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