Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "The daily Blumenau. Thursday Edition, 20-11-14."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 11. 2014 - 16:44

The daily Blumenau. Thursday Edition, 20-11-14.

Letzte Zuckungen eines (bald eh nicht mehr von Menschen hergestellten) journalistischen Auslauf-Modells.

The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.

#medien

Ich bin in den letzten Tagen überraschend oft mit einem Begriff konfrontiert, den ich eigentlich für ausgestorben gehalten hatte: dem des Beitrags. Es hat hier begonnen und setzt sich seitdem fort.

Beitrag ist im audiovisuellen Medium das, was Artikel in Print ist: die basische Grund-Einheit. Speziell im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks steht Beitrag für den strikt neutral gehaltenen Tatsachen-Bericht, bei dem Fakten vermeldet werden und die wesentlichen Betroffenen bzw Zuwortmelder vorkommen.

In Zeiten der Medien-Konvergenz, dem Zusammenfließen und der 24/7 News-Omnipräsenz hat sich die klassische Form des Beitrags zuletzt auf Nachrichten-Sendungen beschränkt. Überall anders wuchsen sich die anderen ebenso relevanten Formate (die Reportage, die Analyse, die Präsentation etc) entsprechend aus, während der 08/15-Beitrag, dem womöglich eine Pressekonferenz oder eine Aussendung, deren Auftraggeber genau die statische Form der Beitrags-Berichterstattung haben wollen (um so höchstmögliche Kontrolle über die Aussage zu erzielen) vorausgeht, zunehmend von der Bildfläche verschwand.

Die veränderte Form des oftmals in die Hofberichterstattung abrutschenden klassischen Beitrags bedingte auch eine inhaltliche Befreiung. Denn dort, wo persönliche Zugänge (warum präsentiere ich dieses Projekt?), eine individuelle Herangehensweise (wohin führt mich mein Reportagen-Weg?), das analytische Bewerten von Hintergründen und Zugängen (wer schlägt was warum vor? cui bono?) oder gar die investigative Recherche (follow the money!) einkehren, wird die Schein-Äquivalenz, die im vorigen Jahrhundert noch als oberstes journalistisches Gut galt, dorthin verbannt, wo sie hin gehört: auf den historischen Misthaufen der moralisierenden Heuchelei.

So etwas wie Objektivität existiert in einer Gesamtausgewogenheit einer Redaktion/eines Programms, in der Gesamtheit der Haltungen. Dann geht sich auch die Einhaltung des Pressekodex aus.

Die Form des Beitrags, des schlichten Fakten- und Beteiligten-Meinungs-Aufzählenden Artikels, war lange Zeit ausreichend, um die Ansprüche eines am langen Arm der Info-Gatekeepers zappelnden Publikums zufriedenzustellen.
Das geht sich heute nicht mehr aus.
Das was der klassische Beitrag anbietet, liest, sieht und hört man sich heute auf allen Kanälen innerhalb von Sekunden zusammen.

Zitat aus der jüngsten OTS des ORF-Redakteursrats: "Die ORF-Journalistinnen und -Journalisten bekennen sich zu modernen Formen des Journalismus, neuen Arbeitsmethoden, Erzählweisen und Multimedialität. Den Wünschen des Publikums nach aktuellen Informationen, auf möglichst allen Kanälen und zu jeder Zeit, versuchen wir auf höchstmöglichem Niveau zu entsprechen."

Journalismus 2014 hat mehr anzubieten als das. Sowohl formal (siehe ->) als auch inhaltlich.

Und es sind aktuelle Feldversuche wie der der Neuen Zürcher Zeitung in Österreich, die auf nzz.at demnächst ein kostenpflichtiges Online-Angebot mit Vertiefung anbieten, die journalistisches Arbeiten im Sinn der angloamerikanischen Vorbilder ermöglicht (vielleicht sogar erstmalig im Österreich der Nachkriegszeit...), die die Maßstäbe setzen - im aktuellen Falter stünde dazu eine hervorragende Geschichte).

Es geht auch ohne den ideologischen Zwang, der bei diesem Projekt herrscht (Redaktionsleiter Fleischhacker verlangt von allen Redakteuren ein Bekenntnis zum Wirtschafts-Liberalismus - auch weil seiner Meinung nach ein rein politischer Liberalismus nicht existiert) und sicher auch ohne die sinnfreie Begleitmusik durch einen mehr als unsmarten "24/7-Endlos-Stream" (den ich die traurige Ehre hatte testen zu müssen).

Die Zukunft des Journalismus liegt in den Bereichen jenseits der klar definierten und schnellen Nachrichten, die Handlungen definitionsmächtiger Akteure, einflussnehmende Geschehnisse, bedeutungszugeschriebene Events und ähnlich leicht Abbildbares transportieren.

Der von Menschenhand durchgeführte Journalismus liegt in der Ausleuchtung der diffusen Zwischentöne einer komplex gehaltenen Welt, in der Aufklärung darüber, was diese oder jene Nachricht in der Konsequenz bedeuten kann/wird und in der Analyse der Zusammenhänge jenseits weltverschwörerischer Dümpelei.

Der Beitrag alter Schule ist ein Auslauf-Modell.

Er wird zunehmend von Algorithmen erstellt werden; das, was er leistet, ließe sich schon jetzt automatisch generieren. Für die an der Basis der Nachricht nötige Grund-Objektivität ist das (zumindest an der Oberfläche - Algorithmen sind, das sollte uns seit Facebook/Google klar sein, herrlich zu manipulieren) nicht die schlechteste Voraussetzung.

Für alles darüber Hinausgehende, für die Verdichtung, Verknüpfung, Erweiterung, Erklärung, analytische Begleitung, das feldforschende Hineingehen in die Örtlichkeiten etc bleibt der menschliche Faktor (in all seiner Subjektivität) bestimmend. Er ist es, der Identifikation in sich trägt; er kann mit den Benutzern kommunizieren. Der scheinobjektive Beitrag, diese Fakten- und Aussagen-Addition kann nichts dergleichen.

Insofern ist das Beharren eines Teils der aktuellen Journalisten-Generation auf den zentralen Bedeutung der Beitrags-Erstellung ein seltsam suizidaler Schritt zur Selbstaufgabe und Selbstauflösung. Denn auch im Journalismus bestimmt die Bezeichnung die Haltung, vor allem wenn sie selbstgewählt ist: wer sich als "Beitragsmacher" tituliert, wird in der täglichen Praxis sehr schwer aus der formalen Enge dessen ausbrechen.

Aber genau dieser knotenplatzende Ausbruch aus einem arbeitstechnisch nicht mehr lange aufrechtzuerhaltendem Bereich steht an, um dem Berufsstand eine Zukunft zu sichern.

Also: Verzeiht mir, wenn ich bei seinem nächsten Auftauchen dem nämlichen Begriff nur noch erklärungsfreie Verachtung entgegenbringen werde. Mehr verdient er nicht.