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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

20. 11. 2014 - 11:38

Berlin, Berlin

11 kleine Beobachtungen in der großen Stadt.

Berlin, du Dicke! Jetzt bin ich schon einige Wochen in der Stadt und noch immer nicht angekommen. Ich könnte mich auf die Entfremdung durch das jahrelange Exil ausreden, auf den Culture-Clash, auf die Nebelsuppe, doch in Wahrheit habe ich bloß den Aufwand unterschätzt, den es bedarf, um so ein olles Leben von Grund auf neu zu organisieren.

Berlin

Christian Lehner

Ich verbringe derzeit mehr Zeit auf Ämtern, in Baumärkten und Einrichtungshäusern als am Busen deines Kultur- und Gesellschaftslebens. Ich versetze Freunde und verpasse Stadtgeschichten. Statt in einer deiner zahlreichen Bumm-Bumm-Hütten abzuhotten, lasse ich mich des Nächtens vom Zahnen unseres Sohnes unterhalten. Der alltägliche Weg spielt sich zwischen Kaiser’s, Kita und gelegentlichen Musikgesprächen ab. Aber ein paar Kleinigkeiten, so aus den Augenwinkeln betrachtet, sind dem Neuankömmling dann doch aufgefallen. Und der Rest wird schon noch. Hier sind sie also, die 11 kleinen Beobachtungen in der großen Stadt.

Berlin

Christian Lehner

1

In Kreuzberg gibt es gefühlte 100.000 Fahrräder. Gefühlt kein einziges davon verfügt über eine funktionierende Lichtanlage.

2

BVG-Kontrolleure wirken vom Äußeren her wie Nazischläger und/oder das eingebildete Gegenüber, der fiese Türke. Das sieht dann richtig völkerverbindend aus, wenn sie in trauter Zweisamkeit oder im Rudel Schwarzfahrer hopsnehmen.

3

Der gemeine Berliner Radfahrer betrachtet den Bürgersteig als gewohnheitsrechtlich erstrampelten Fahrradweg. Diesen gilt es mit allen verfügbaren Mitteln gegen den gemeinen Bürgersteiger zu verteidigen. Weg da, sonst kracht's!

Berlin

Christian Lehner

4

Schöneberg ist schön und auch schön schwul.

5

Auf den Hauptverkehrswegen sind die Ampeln für Fußgänger so getaktet, dass es ein jamaikanischer Sprinter mit Ach und Krach über die zwei Spuren schafft. Ein gesunder Erwachsener kommt gerade bis zur Mitteltrasse. Alles über 50 braucht ein Taxi.

6

Überquert man als Fußgänger bei Rot eine Straße, erntet man selbst von Punks, Dealern und Salafisten mahnende Polizeiblicke.

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7

Die am häufigsten gesprochene Sprache in Neukölln ist nicht Deutsch, Türkisch oder Englisch sondern Amerikanisch. Sorry, gemeint war eigentlich die am lautesten.

8

Der mobile Alkoholismus hört in Berlin auf den mobilen Euphemismus „Wegbier“.

9

Die Kontrolleure der BVG sind vermutlich freischaffende Wegelagerer. Besonders häufig begegnet man ihnen in der Linie U1, die durch Kreuzberg rumpelt. Dort machen sie Jagd auf ahnungslose Jungtouristen und ahnungsvolle Straßenmusikanten, die stets als erstes kontrolliert werden. Besonders beliebt sind auch gut frequentierte Stationen, vor deren Ticketautomaten sich Menschenschlangen bilden (z.b. Warschauer Straße). Dort riskieren viele Fahrgäste aus Zeitmangel die Schwarzfahrt. Bitte Ihre Fahrscheine!

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10

In Schöneberg parkt alle 100 Meter ein Vintage-Ford, alle fuffzig ein neuer Mini Cooper. Klingt unglaublich, ist aber beinahe tatsächlich so.

11

Generation generationslos: In den flotteren Kiezen sind Kinder, ihre Eltern und Großeltern häufig nicht mehr voneinander unterscheidbar. Weder in Habitus noch Klamotte.