Erstellt am: 19. 11. 2014 - 15:04 Uhr
„Steh auf! Steh auf, du Balkanheld!“
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharovs. Jeden Mittwoch in FM4 Connected (15-19h) und als Podcast.
"Die Leiden des jungen Todor"
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Ich hatte mir noch nie einen Profiboxkampf angesehen. Meine Mutter auch nicht. Vor einigen Tagen saßen wir aber voller Erwartungen und Emotionen vor den Fernsehern.
Seit einigen Monaten erwartete ganz Bulgarien diesen Boxkampf: Klitschko gegen Pulev. Zum ersten Mal in der Geschichte hatte ein bulgarischer Profiboxer die Möglichkeit, um den Weltmeistertitel zu kämpfen. Im Schwergewicht. Meine Landsleute sahen in den Fäusten von Kubrat Pulev die Chance einer Revanche am Leben, das sie jahrelang geprügelt hatte.
APA/EPA/Daniel Bockwoldt
Interessant zu vermuten, wie wohl der Sieg von Pulev das Leben der Leute verändert hätte? Würden vielleicht ihre Stromrechnungen sinken? Oder würden ihre Löhne steigen? Könnte dann Bulgarien ein festes Mitglied des UN-Sicherheitsrates werden? Der Traum von einem Sieg Pulevs war eine Sehnsucht nach dem Unmöglichen. Aber Unmögliches wird auch mal wahr. Ein Beweis dafür sind die Erinnerungen an die Fußball WM von 1994. Damals ist Bulgarien Vierter geworden und Hristo Stoitchkov wurde als Held gefeiert. Es war egal, dass er kaum sprechen konnte und dass er alle Schiedsrichter beschimpfte. Für die Bulgaren war er der wahr gewordene Traum. Bis heute ist Stoitchkov immer noch ein Held. Egal, dass er als Trainer völlig erfolglos geblieben ist oder sein Name in Zusammenhang mit verschiedenen Mafiabossen genannt wird. Er ist riesig und unerreichbar
Der Boxer Kubrat Pulev war auf dem Weg, Stoitchkov aus den Herzen der Bulgaren zu verdrängen. Er hat die nötigen Qualitäten: er ist aggressiv, ehrgeizig und arrogant. Er hatte bisher auch Erfolge im Boxring gefeiert und den Ehrgeiz den Thron zu besteigen, auf dem früher Muhammad Ali und Mike Tyson gesessen sind. Unser Mann, Weltmeister im Schwergewicht?
Pulevs Interviews spiegelten seinen Ehrgeiz wider. Er versuchte, seinen Gegner zu erniedrigen und zu beschimpfen. Und wenn man es lange genug wiederholt, wird alles zur Wahrheit. Die Bulgaren glaubten fest daran, dass Pulev Erfolg haben würde. Sie fingen an, Wladimir Klitschko als einen Weichling zu betrachten. Sogar sein Bruder Vitali, der seine Kariere aufgegeben hatte, um Bürgermeister von Kiew zu werden, wurde von der bulgarischen Presse ständig verspottet.
So geschah es bis zur fünften Runde des Kampfes in Hamburg. Dann blieb die Traummaschine stecken…
APA/EPA/CHRISTIAN CHARISIUS
Mit einem perfekten linken Schlag hatte der Weltmeister den Herausforderer aus Bulgarien k.o. geschlagen. „Steh auf! Steh auf, du Balkanheld!“, schrie jemand im überfüllten bulgarischen Lokal in Wien, wo ich mir den Kampf angeschaut habe. Er stand nicht auf. Die Menschen im Lokal verfluchten kollektiv ihr Schicksal. Danach bestellten sie kollektiv einen weiteren Schnaps.
Meine Mutter rief mich nach dem Kampf an. „Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich mir Boxen an. Ich freue mich, dass dieser Junge - Pulev - nach so vielen Schlägen am Leben geblieben ist. Aber es ist nicht schön im Fernsehen „Bulgarien über alles“ zu schreien, wenn man so deutlich verloren hat!“
Pulev gab auch nach dem Kampf weiter fleißig Interviews. Er meinte, dass Klitschko bloß Glück gehabt hatte (Nach drei Knockdowns und einem Knockout?!). Pulev habe nicht nur gegen den Weltmeister gekämpft, sondern gegen die Boxmafia, die den Schiedsrichter, die Weltboxverbände und die Medien inkludiere. Sie stehe hinter dem Deutsch-Ukrainer Klitschko.
Ich allerdings glaube, dass hinter Klitschkos Rücken seine Sponsoren stehen, die ihm nicht erlaubt hatten Pulev in der ersten Runde k.o. zu schlagen, weil sie unheimlich viel Geld für Werbung bezahlt haben. Deshalb erreichte Pulev überhaupt die fünfte Runde.
Ich hoffe, dass nachdem Pulevs Jochbein wieder genesen ist, er mehr an seiner Technik als an seinen Aussagen arbeitet. Dann hätte er vielleicht wieder eine Chance. Sonst bleibt Hristo Stoitchkov für immer die Nummer Eins in den Herzen der Bulgaren.