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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

20. 11. 2014 - 14:51

Der Aufschneider

In den Körper schauen wollte Rondelet im 16. Jahrhundert. Diesem Wissensdrang und Pioniergeist folgt die österreichische Autorin Anna-Elisabeth Mayer nun.

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Noah Gordons Bestseller "Der Medicus" blickte weit zurück in der Geschichte der Medizin. Anders als ihr amerikanischer Kollege hat Anna-Elisabeth Mayer zum selben Stoff keinen Wälzer geschrieben, sondern die Wissensgeschichte auf die zentralen Konflikte komprimiert. Wie weit darf Neugierde gehen? Macht der Forscherdrang Halt vor dem eigenen Fleisch und Blut, wie es in der Bibel heißt?

Heute wäre die Ethikkommission gefragt. Doch im Frankreich des 16. Jahrhunderts diente sich ein gewisser Rondelet erst beim Kardinal von Tournon als Leibarzt an, um schließlich zum Professor zu Montpellier berufen zu werden.

„Im Montpellier von 1539 wühlten die Hunde in Abfällen und Menschen“,

Das Cover des Buchs zeigt eine alte gezeichnete Stadtansicht

Schöffling & Co.

Die Hunde von Montpellier von Anna-Elisabeth Mayer ist 2014 bei Schöffling & Co. erschienen. Hineinlesen kann man hier. Und am 4.12.2014 liest die Autorin daraus in Wien bei der Österreichischen Gesellschaft für Literatur.

heißt es in Anna-Elisabeth Mayers neuem Roman gleich zur Eröffnung. Es ist eine der wenigen Jahreszahlen, die sich in diesem Buch finden. Denn "Die Hunde von Montpellier" erhebt nicht den Anspruch, eine Biografie des historisch verbürgten Anatomen und Naturforschers Guillaume Rondelets zu sein. Der Buchdruck war erfunden, unterwegs war man noch auf Maultieren, etwa zum Garten vor der Stadt, wo Rondelet Heilpflanzen zog und die Natur studierte.

Die Lieblichkeit und das Grauen - die besten Zutaten für einen historischen Roman - mischen sich im Wechselspiel in die Handlung. Mayer hat sich etwa ein Jahrzehnt aus Rondelets Leben ausgesucht und ausgeschmückt. Zu Beginn zieht dieser Rondelet ins Haus seiner zukünftigen ersten Frau Jeanne, deren Schwester Catherine und seinem Schwager. Zu den Herrschaften im Haus gehört das Dienstpersonal, das zunehmend die Ansichten des Volkes zur Türe hereinträgt. Ein Barbar sei dieser Rondelet. Konflikt vorprogrammiert.

In der Tat ist das, was sich im Theatrum Anatomicum abspielte, für die Menschen des 16. Jahrhunderts eine absolute Grenzüberschreitung. Der Aberglaube und der Aderlass gelten als anerkannt, vor dem bösen Blick schlägt man die Augen nieder und in menschliche Körper zu schneiden bleibt den Wundärzten überlassen. Doch die ersten Anatomen greifen zum Messer, und einer von ihnen ist Rondelet. 1556 wurde auf sein Betreiben hin und mit Zustimmung Heinrichs II. ein Anatomietheater gebaut, wie man es von Gemälden aus der Kunstgeschichte kennt. Den Hunden (wie hier im Bild von 1716 im theatrum anatomicum in Genf)zu den Füßen des Tisches hatte man vielleicht bis dato kaum Beachtung geschenkt. Durch Mayers Sprache hört man ihr Gnurren und Lechzen.

Anna-Elisabeth Mayer

privat / Schöffling & Co.

Schon Anna-Elisabeth Mayers Debüt war eine Art Arztroman.

Die Recherche, die dem Roman zugrundeliegt, drängt sich nicht in den Vordergrund. Im Gegenteil. Erst an das Ende der Geschichte stellt die Autorin drei historische Eckdaten. Wie dieser Mann dem eigenen Pioniergeist nachgab und die Menschen um ihn herum zwischen Loyalität und Entsetzen hin- und hergerissen werden, und schließlich mit einer Geburt im Haus das gesamte Weltbild auf die Probe gestellt wird, all das erzählt Mayer lebhaft und durchdrungen von einer Welt, die sie sich wohl zu größten Teilen ausgedacht hat. Sie erfindet zu historischen Daten eine Geschichte, die für einen historischen Roman mit 195 ungewöhnlich knapp bemessen und in Mayers Stil wunderbar lebendig wird. Die Blüten der Bitterorange möchte man riechen, den Ruß an den Wänden des Lehrsaals der Medizinischen Fakultät hinter sich lassen.