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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

18. 11. 2014 - 17:27

Das zärtliche Scheppern

Kaputte Elektronik, durch den Wind geschossenes Rattern, Intimtität. "Xen": Das Debütalbum des jungen Produzenten Arca ist ein gar schwieriges Wunderwerk.

Zwischen den Industrieruinen huschen noch ein paar letzte Menschen durch die graue Welt. Verfall, Leere, Rost. Dazwischen blühen pinke Rosen, wenige. Der venezolanische Produzent Arca entwirft auf seinem vor kurzem erschienen Debütalbum eine so genannte Dystopie, die ohnehin schon heute ist. Kaputte, verbeulte, minimale Musik aus Metall und umgeschmissenen Synthesizern, eine spartanisch möblierte Science-Fiction, die schiefgegangen ist – aber wer will sich auch schon eine güldene Zukunft vorstellen?

"Xen" nennt sich das Album, nach einem von dem 24-jährigen Produzenten selbstausgedachten androgynen Alter Ego, es ist eine der am heißesten erwarteten Platten des Jahres gewesen und hat vorhersehbar schon einige Erwartungen enttäuscht.

Arca

Arca

Der mittlerweile in London ansässige Arca hat bislang drei sehr gute EPs und ein wahnwitziges Mixtape veröffentlicht, auf denen noch Restspuren von HipHop und durch die Mangel gezogenem R'n'B, Fragmente einer in Zersetzung befindlichen Dancemusic zu hören und zu erahnen waren. Vor allem hat Arca prominent an Kanye Wests Schrottmeisterwerk "Yeezus" mitgearbeitet, Tracks für FKA Twigs gebaut und dürfte verlässlichen Gerüchten zufolge neben der Meisterin herself der Hauptverantwortliche für das nächste Album von Björk werden.

Zu karg, zu zerfahren, sei aber nun das Soloalbum, zu beiläufig angerichtet, jetzt aber wirklich, bei aller Liebe, zu wenig an Pop interessiert, so durfte man es bereits über "Xen" tönen hören. Das Fegen eines dünnen Besens über Wellblech. Bremsgeräusche, zusammenhanglos durch den Raum wehendes Brummen. Eine skizzenhafte Fingerübung, eine kleine Hobbyarbeit eines hochtalentierten Produzenten. Tatsächlich liegt in diesen schwer zu durchdringenden Klanganordnungen, die zunächst oft wie beliebig hingeworfen scheinen, eine große Meisterschaft.

Ein glorreiches Rascheln und Fauchen, ein Rütteln am Schlüsselbund, ein Schlag ans Eisentor, Stille. Pause. Ende. Nun kann diese baufällige Musik sicherlich wieder einmal als Kommentarmusik zur Krise gelesen werden, als Begleitdröhnen eines untergehenden Kapitalismus. Als Abgesang auf den grassierenden schrillbunten Hypermaximalismus der letzten paar Jahre, auf Stadion-EDM und Konfettikanone. Neben offenkundiger Verweigerungshaltung und Hit-Verzicht ist "Xen" aber vor allen Dingen auch eine private, intime, oft hochsensible Platte.

Eine zerbrechliche Kammermusik der Maschinen, der Geräte und Geräusche. Ein wie sich selbst generierender Organismus, der sich mal katzengleich, dann wieder komplett erratisch, ohne nachzuverfolgende Linie bewegt.

Die meisten der 15 Stücke auf "Xen" sind kleine Vignetten, Schichtungen von knappen Soundideen, kaum mehr als zweieinhalb Minuten lang. Nur selten formen sich rhythmische Patterns, Grooves, in die man sich hineinlegen könnte oder leicht zu memorierende Melodien. Vereinzelt ertönt ein Beat - dann ein anderer. Die Besteckschublade fällt zu Boden.

Arca Xen

Mute

"Xen" von Arca ist bei Mute erschienen

An andere Stelle darf man Steeldrums beim Schmelzen zuhören, einer Motorsäge beim Stottern, stockenden Salven-Testläufen aus der Drummachine. Kurzen Sprachsamples, die bloß noch aus einer einzigen Silbe, einem kurzen "Yah" bestehen. Wischgräusche, Bohrgeräusche, scharfes Zischen, ein Harfenspiel an den Speichen eines morschen Fahrrads.

Dazwischen gibt es weiche Piano-Interludes und Ambientminiaturen wie die Stücke "Held Apart" oder "Failed" zu erleben, freundliche Plinker-Plonker-Elektronika wie die Nummer "Sisters" oder das fast schon triphoppige "Slit Thru" – eines der wenigen Stücke, aus denen noch geringfügig ein Interesse an HipHop, hier in Form von verpitchten Scratchmanipulationen, spricht. Außerdem: Dancehall-Exkurse, geklopft wie auf öligen Pfannen, sie verebben gleich wieder, Schüsse, digitale Streicher-Arpeggios, zärtelnde Synthesizer-Esoterik, ins Gruselige getunete Gesänge. Ein Zirpen, ein Ächzen der Kerkertür.

All diese Soundeinfälle und Nervtöne, das süße Summen und das wohlige Blubbern, das Zittern und Sausen und Scheppern, sind so sorgsam und genau gesetzt und montiert, dass nur ganz selten ein Gefühl des Overloads entsteht. Vielmehr ist "Xen" dünnhäutig und verletzlich, mit spitzen Fingern ausbalanciert, am Boden zerstört und voller Hoffnung. Abfallsmusik, Herzensmusik.