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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

18. 11. 2014 - 19:00

Neuer Anlauf für festgefahrenes TTIP-Abkommen

Auf höchster politischer Ebene wird beiderseits des Atlantiks versucht, die stagnierenden TTIP-Freihandelsgespräche wieder in Gang zu kriegen.

Am Rande des G-20 Gipfels in Brisbane hatten US-Präsident Barack Obama und EU-Kommissionspräѕident Jean-Claude Juncker am Sonntag einen dringenden Appell an die Verhandler zum umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP gerichtet: Angesichts der steigenden Zahl derartiger Abkommen im asiatischen Raum sollten die festgefahrenen TTIP-Gespräche so schnell wie möglich finalisiert werden, erklärten beide. Hauptgrund für den Stillstand ѕind die umstrittenenen Klauseln zum Investorenschutz (ISDS).

Am Montag erklärte die französischer Regierung dazu, TTIP nicht zu unterzeichnen, wenn die ISDS-Klauseln nicht eliminiert würden. Am Dienstag musste sich Handelskommissarin Cecilia Malmström bei einer Anhörung der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament kritischen Fragen vor allem von Verbrauchern und Gewerkschaftern stellen. Den Sozialdemokraten kommt eine Schlüsselrolle zu, denn ohne die SPE hat TTIP im EU-Parlament keine Chancen auf eine Mehrheit.

"Das transparenteste aller Handelsabkommen"

Am Wichtigsten sei nun die Fähigkeit, zuzuhören, so leitete die neue Handelskommissarin ihre Rede am Dienstag ein und versprach mehr Transparenz des Verfahrens. Ansonsten wiederholte Malmström die längst bekannten Standardargumente der Kommission, gelobte auf keinen Fall die hohen Standards bei Umwelt und Verbraucherschutz anzutasten. Sowohl Malmström wie ihr Nachredner Michael Punke, US-Botschafter bei der Welthandelsorganisation WTO, betonten die Notwendigkeit eines "guten Investorenschutzes".

Die Europäische Ombudsfrau Emily O'Reilly, bei der Beschwerden gegen die Kommission wegen der Intransparenz des TTIP-Verfahrens vorliegen, hat aktuell dazu für den Jänner eine weitere Runde ihrer Untersuchungen angekündigt.

Cecilia Malmström

EPA

Cecilia Malmström, die neue Handelskommissarin

Die meisten der bereits laufenden, heftig kritisierten Investorklagen gegen Nationalstaaten seien auf die "schlechteren unter den ISDS-Klauseln" weltweit zurückzuführen, sagte Punke. Den Vorwurf, dass die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen geführt werden und somit intransparent seien, wies der Botschafter zurück, denn TTIP sei vom Ablauf her "das transparenteste aller Wirtschaftsabkommen, die wir bis jetzt verhandelt haben." Ebenso zeigte Punke sich auch optimistisch, dass Präsident Obama nun vom Kongress die "Fast-Track"-Vollmacht für die Verhandlungen erhalten werde.

Ein Mitte Oktober publiziertes Leak des Kapitels zu "geistigen Eigentumsrechten" im pazifischen TPP-Abkommen lässt auch bei TTIP ein Wunschkonzert für die großen Pharmakonzerne befürchten.

Legistischer Schnellsiedeprozess

Das hatte sogar die eigene demokratischen Partei Obama bis jetzt verweigert. Nur eine Handvoll demokratischer Senatoren hatten sich für das "Fast Track"-Verfahren ausgesprochen, weil TTIP - wie auch sein pazifisches Gegenstück TPP - in weiten Teilen der US-Bevölkerung ebenso umstritten ist wie in Europa.

Plakat TTIP And Consumers

S&D

Dieser legistische Schnellsiedeprozess ermöglicht es, TTIP ohne Einbeziehung von Senat und Repräsentantenhaus hinter verschlossenen Türen auszuverhandeln. Erst dann wird der Abkommenstext den Kongressabgeordneten zur Abstimmung vorgelegt, Änderungen sind dann nicht mehr möglich . Über diese "Fast Track"-Verfahren sind bis jetzt sämtliche US-Handelsabkommen der vergangenen zehn Jahre abgewickelt worden.

Sorgen um Arbeitsplätze

Sollte es bei der Blockade durch den Kongress bleiben, dann würde der zwischen Europa und den USA ausgehandelte TTIP-Vertragstext als normale Gesetzesinitiative im US-Kongress eingebracht. Damit ist eine Flut von Änderungsanträgen garantiert, die das Abkommen nach Ansicht aller Beobachter zurück an den Start schicken würden.

Beobachter in den USA sind völlig uneins, wie sich die geänderten politischen Rahmenbedingungen - die Republikaner stellen nun auch im Senat die Mehrheit - in dieser Beziehung auswirken könnten. Zwar sind die vehementesten TTIP-Befürworter in den Reihen der Republikaner, andererseits sitzten dort auch die erbittertsten Gegner Barack Obamas. Zudem sind auch die Abgeordneten der Republikaner mit den Sorgen ihrer Wähler um die Arbeitsplätze konfrontiert. Vor allem in der US-Autoindustrie werden unweigerlich Jobs verloren gehen, wenn durch TTIP etwa die derzeit prohibitiv hohen Importzölle auf Pick-Ups und andere Kleinlastwagen in den USA fallen.

Während die von der Krise 2008 schwer getroffene US-Autoindustrie erst 2013 wieder Licht am Ende des Tunnels sah, blieben europäische Autohersteller, wie etwa der VW-Konzern während der gesamten Krise profitabel und fuhren ab 2010 bereits wieder rasant steigende Reingewinne (16 Mrd. 2012) ein. Nach dem Kauf von Chrysler durch Fiat sind weitere Übernahmen wahrscheinlich

Fracking ist "unkonventionell"

Gerade das derzeit extrem billige Fracking-Öl und -gas wird die europäischen Autohersteller anziehen, denn die Preise für Erdgas in den USA betragen gerade einmal die Hälfte des Preises von Nordseegas. Diese Disparität hat natürlich auch in Europa Begehrlichkeiten geweckt, die umstrittenen Methode, gashältige Gesteinsschichten mit einem Cocktails aus Wasser, Sand und einer Unzahl teils toxischer Chemikalien zu sprengen, auch in Europa einzusetzen.

Angesichts der gespannten Verhältnisses mit Russland rechnen sich die auf Fracking spezialisierten Förderfirmen auch in Europa trotz des enormen Widerstands aus der Bevölkerung gute Chancen aus, ihre Projekte durchzubringen. Die Fracking-Industrie trifft deshalb zu ihrer Fachmesse "Shale Gas World" am 26. Oktober in Polen zusammen, wobei das ominöse Wort strikt vermieden wird. Statt "Fracking" wird der Begriff "unkonventionelle Fördermethoden" verwendet, auch das Motto der Veranstaltung lautet "sei unkonventionell".

Verzögerte Folgewirkung

Gerade Fracking ist mit TTIP über den Investorenschutz eng verbunden und ein gutes Beispiel für die Gefahren, die ein solches Abkommen mit sich bringen kann. Maßnahmen wie etwa die Erteilungen von Bohr- und Förderkonzessionen, lassen sich wegen der ISDS-Klauseln danach kaum noch revidieren, ohne dass horrende Schadenersatzzahlungen eingefordert werden.

"Platinum Sponsor" der "Shale Gas World" ist die rund um den Irakkrieg und den Brand der BP-Förderplattform "Deepwater Horizon" auch in Europa bekanntgewordene Förderfirma Halliburton

Wie erste Beispiele aus den USA nun zeigen, treten die Folgewirkungen für die Umwelt - in erster Linie für das Trinkwasser - erst mit einer beträchtlichen Zeitverzögerung ans Tageslicht. So auch in Polen, das während des beginnenden Fracking-Booms in den USA 2011 mit geschätzten fünf Billionen Kubikmetern angeblich über die bedeutendsten Schiefergasvorräte in Europa verfügt.

Fracking in Polen

Wie der britische "Economist" berichtet, wurden die Schätzungen in Folge immer weiter nach unten revidiert, bis gerade einmal ein Zehntel der Ursprungsmenge übrigblieb. Schwierige geologische Bedingungen machte die Ausbeutung einer großen Zahl polnischer Lagerstätten schlicht unwirtschaftlich. Ein weiterer Kostentreiber ist die fehlende Förderinfrastruktur in einem Land wie Polen. Dazu kommen immer mehr Proteste aus der Bevölkerung, wenn etwa auf dem Dorfteich plötzlich Ölflecken auftauchen.

Speaker

Shale Gas World

Deswegen hat sich laut Economist bereits eine ganze Reihe von Firmen teilweise oder ganz vom polnischen Markt zurückgezogen, so gab die Explorationsfirma "3Legs Resources" drei ihrer sechs Bohrungen auf, weil sie zuwenig oder keinen Gewinn versprachen.Was aus dem neuesten Factsheet dieser Firma bei genauerer Lektüre hervorgeht, ist dazu angetan, Fracking-Kritiker zu alarmieren.

Wasser auf die Mühlen

Ganz nebenbei wird da angemerkt, dass es gelungen sei, 26 Prozent des eingesetzten Chemiecocktails zu recyclen. Dabei hatte die Industrie davor Recyclingraten von 50 Prozent und mehr als Durchschnitt angegeben. Angesichts der schwierigen Fördersituation bewerte "3Legs Resources" nun die "Optionen, um den Rückfluss von Geldern an die Investoren "zeitgerecht und kosteneffektiv zu maximieren", heißt es im Factsheet der Firma vom September.

Das ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker von "Stop TTIP", die mittlerweile bereits über 900.000 Unterschriften gegen das Freihandelsabkommen gesammelt haben. Die Initiative wird von 290 Initiativen und Organisationen unterstützt. Aus Österreich sind dabei so unterschiedliche Gruppen wie der Naturschutzbund oder die "katholischen ArbeitnehmerInnen Bewegung" engagiert. Vor einer Woche hatte das Bündnis Klage vor dem EuGH gegen die Entscheidung der EU-Kommission eingereicht, der Initiative die Registrierung als Europäische Bürgerinitiative aus formalen Gründen zu verweigern.

Monsanto gegen Maui

Erst am Freitag hatte der Chemiekonzern Monsanto gezeigt, was man von Einwänden Betroffener hält, wenn dabei die Umsätze betroffen werden könnten. Trotz einer Acht Millionen Dollar teuren Kampagnen dagegen hatten sich die Bewohner der Insel Maui, die zu Hawaii gehört, für ein Gentechnik-Moratorium auf der Insel ausgesprochen. Monsanto und andere Konzerne benutzen die Inseln von Hawaii als Labors für gentechnisch verändertes Saatgut, weil hier im Laufe eines Jahres mehrere Wachstumszyklen getestet werden können. Einen Tag nach dem Referendum hatte Monsanto Klage mit dem Ziel eingereicht, dass dieser Volksentscheid annulliert wird.

Wie es weitergeht

Was TTIP betrifft, so wird angesichts des Drucks der obersten politischen Entscheidungsträger die ursprünglich erst für Jänner erwartet nächste TTIP-Verhandlungsrunde voraussichtlich noch im Dezember über die Bühne gehen.

Die Europäische Ombudsfrau Emily O'Reilly, bei der Berschwerden gegen die Kommission wegen der Intransparenz des TTIP-Verfahrens vorliegen, hat aktuell dazu für den Jänner eine weitere Runde ihrer Untersuchungen angekündigt.