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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

17. 11. 2014 - 18:31

Computerspiele und Literatur

Die Berührungsängste zwischen Computerspielen und älteren Kulturformen ist immer noch groß. Um gegenzusteuern, schreiben sich Autorinnen und Autoren ihre Spielideen von der Seele.

Was wäre, wenn du selbst ein Computerspiel entwickeln könntest? Egal, ob du die dafür notwendigen Skills gelernt hast und auch ganz unabhängig von technischen und wirtschaftlichen Einschränkungen. Genau das war die Vorgabe für ein aktuelles Buch namens "New Level - Computerspiele und Literatur". Gefragt worden sind dafür nicht beliebige Menschen, sondern konkret Autorinnen und Autoren wie etwa Saša Stanišić, Wladimir Kaminer oder Ulrike Draesner.

Viele von ihnen haben mit Computerspielkultur sonst wenig zu tun. Hat sich dieser Blick von außen bereichernd auf die Texte und die darin beschriebenen Ideen für Games ausgewirkt? Für die meisten Autorinnen und Autoren ist es völliges Neuland, das sie betreten, wenn sie sich plötzlich mit Games beschäftigen.

Wieder ganz von vorne beginnen

Buch "New Level"

Radio FM4

"New Level: Computerspiele und Literatur", herausgegeben von Thomas Böhm, ist bei Metrolit erschienen.

"Niemand begibt sich gerne auf ein Spielfeld, auf dem das jahrzehntelang eingeübte Wissen und die konditionierten Kulturtechniken beinahe nutzlos sind. Die eigene Unzulänglichkeit im Umgang mit Computerspielen wird dabei allzu schnell auf das Medium zurückprojiziert. Wer Tausende Bücher bezwingen konnte, aber nicht ein einziges digitales Spiel, darf die Verantwortung bequem abwälzen. Das vermeintlich triviale Spielzeug muss schuld sein!"

Das schreibt der Computerspiel-affine Kulturwissenschaftler Christian Huberts in einem der zentralen Artikel der Textsammlung "New Level", und doch haben sich eben einige dem Wagnis gestellt, ihre Ideen und Zugänge zu Games niederzuschreiben. Das Wenigwissen darüber wird aber nicht versucht zu kaschieren. Neben den Konzepttexten finden sich in dem Buch auch zwei Interviews, geführt von Herausgeber Thomas Böhm vom Internationalen Literaturfestival Berlin. Böhm stellt teils sehr grundlegende Fragen. Das ist insofern spannend, weil Games-Texte oft dazu neigen, ein bestimmtes Fachvokabular einfach vorauszusetzen. Nicht so im Gespräch mit Patrick Rau von der Spielefirma kunst-stoff:

"Die Engine stelle ich mir vor wie einen riesigen Werkzeugkasten, wo alles drin ist, um das Spiel zu bauen. Kann ich da Möwen fliegen lassen, Figuren und Landschaften gestalten? Was kann ich mit der Engine alles machen?"

Von Wölfen und Fledermäusen

Obwohl sich die Autorinnen und Autoren noch etwas schüchtern an das Medium Computerspiel herantasten, werden Vorurteile weitgehend vermieden. Stattdessen widmet man sich der eigenen Spielidee und ist etwa fasziniert von der Möglichkeit, die Perspektive zu wechseln und eine andere Wahrnehmung zu erfahren.

"Die Besonderheit des Spiels besteht in der Umsetzung der Wolfperspektive in Bilder, Wahrnehmung und Bewegung. Großartig wäre, wenn das Spiel das Körpergefühl des Wolfs vermittelte. [...] Ein Computerspiel scheint das ideale Medium zu sein, um hier neue Wege zu gehen. Grenzen von Vorstellung und Erfahrung lassen sich verschieben." (Ulrike Draesner)

Einige koppeln ihr jeweiliges Konzept auch mit neuen Möglichkeiten der Wahrnehmung virtueller Realität.

"Wenn ich ein Spiel entwickeln sollte, ohne auf die Einschränkungen der Technik zu achten, so würde es ganz genau so aussehen wie die Realität. Ähnlich wie in David Cronenbergs Film ‚Existenz‘ müssen die Erfahrungen des Spielers sich absolut realistisch anfühlen – selbst der Kniff in den Arm muss sich im Spiel für den Spieler echt anfühlen. Vermutlich ginge das nur durch eine direkte Verbindung zwischen Spiel und Gehirn." (Sebastian 23)

Das Aufgeben der linearen Erzählung

Das Problem bei der Außenwahrnehmung von Spielen, vor allem von Autorinnen und Autoren, die lineare Geschichten gewohnt sind, ist die fehlende Rücksichtnahme auf die Entscheidungsfreiheit der und des Spielenden. Games sind interaktiv, sie müssen gespielt werden. Nur über sie zu erzählen genügt nicht - das deckt nur einen kleinen Aspekt der Erfahrung ab.

Leider bleibt "New Level - Computerspiele und Literatur" genau in diesem Problem stecken. Zwar werden ein paar interessante Zugänge beschrieben, meist sind die ausgeführten Spielideen aber eher uninspiriert. Die Gründe dafür sind im großartigen Mittelteil des Buches erklärt, ein sehr ausführliches Interview mit dem Medienwissenschaftler Gundolf S. Freyermuth. Er erklärt anschaulich, dass Spiele in erster Linie nicht beschrieben, sondern designt werden wollen. Darüber hinaus wäre das Auslassen der technischen Machbarkeit keine gute Vorgabe, da der aktuelle Stand der Technik das ludische und ästhetische Wesen der zeitgenössischen Spiele mitbestimme und präge.

Was neben den zwei Interviews das Buch aufwertet, sind die Texte der Computerspiel- und Literaturkenner Peter Glaser, Christian Huberts und Christian Schiffer, letztgenannter übrigens Herausgeber des Games-Kultur-Readers WASD, dessen neue Ausgabe in Kürze erscheint. Für spielinteressierte Menschen ist "New Level" durchschnittlich interessant. Wer seinen intellektuellen (Groß)Eltern aber immer schon mal klug und zugänglich näher bringen wollte, womit man sich selbst schon seit vielen Jahren so intensiv beschäftigt, die oder der hat hiermit eine weitere gute Idee für ein Weihnachtsgeschenk. Als Studienliteratur eignet sich das Buch auch gut. Stichwort: Medienkonvergenz!