Erstellt am: 17. 11. 2014 - 11:49 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 17-11-14.
The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.
Heute mit einer Analyse zur praktisch-fast-de facto-eigentlich schon-erreichten EM-Qualifikation der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft; als Nachlese zu Österreich - Russland vom Samstag.
Erratum: ich hab da dummerweise lange Zeit Glushakov mit Shirokov verwechselt; pardon you me.
Und: Gerald Gossmann sieht die Entwicklung des Nationalteams auf 90minuten.at so.
#fußballjournal14
Es ist durchaus richtig, wenn die Stimmen aus dem ÖFB-Camp besonnen sind und in Richtung "Wir müssen weiter von Spiel zu Spiel schauen. Noch ist nichts erreicht" gehen.
Es ist aber ebenso richtig, dass für die Verantwortlichen, vor allem für den ÖFB, aber auch für die direkten Partner in der Bundesliga, genau jetzt die Vorbereitung für die Euro 2016 beginnt; die erste Europameisterschafts-Endrunde, für die sich Österreich aus eigener Kraft qualifiziert. Nein, es geht noch nicht darum Hotels in Paris oder Val d'Isere zu buchen, sondern um grundlegende Weichenstellungen.
Denn: die Teilnahme an der Euro 2016 ist so gut wie fixiert
Ja, das Fell des noch nicht erlegten Bären und all das... Trotzdem, ich bleib' dabei: der Heimsieg gegen Russland war die Entscheidung. Österreich wird zumindest Platz 2 in der Gruppe G belegen. Wenn in der nächsten Runde im März 2015 ein Auswärtssieg in Vaduz gelingen sollte (wovon ich ausgehe) dann wird der Vorsprung auf zumindest zwei direkte Mitbewerber zumindest 6 Punkte betragen, das sind zwei zusätzliche Siege, das ist rein psychologisch nicht mehr aufzuholen. Auch weil man der Konkurrenz bewiesen hat das alles auch ganz ohne Chefmann Alaba erreichen zu können.
Wenn die Heim-Pflichtsiege gegen Liechtenstein und Moldawien fixiert werden, ist alles, was in den drei Auswärtsspielen bei den Mitkonkurrenten gelingt, schieres icing on the cake. Das bedeutet: unbelastetes Aufspielen. Noch dazu auswärts als reaktive Mannschaft, wo die ÖFB-Truppe ihre best-practice-Performance des Powerpressing/Konterspiels aufziehen kann.
Besser geht also nicht.
Die Mannschaft wird sich 2015 in Geduld üben müssen, sie darf nicht überschnappen, muss vor allem in den beiden (wohl wieder ausverkauften) Heimspiele gegen die beiden Gruppen-Außenseiter die Ruhe bewahren.
Aber auch dagegen spricht aktuell nichts: das ÖFB-Team gewinnt auch Spiele in denen sie schwach (Moldau) oder die leicht unterlegene (Russland) Mannschaft sind; sie biegen Matches hin, die zu kippen drohen (Schweden) und sie laufen (wie auch schon in den Testspielen vor der WM) nie Gefahr sich in der Endphase noch die Butter vom Brot nehmen zu lassen, wie das 2013 durchaus noch der Fall war.
Die Sicherheit nämlich, mit der die Koller-Elf in der Schlussphase die Russen auf Distanz hielt, war physisch manifest und beeindruckend. Und das auch ganz ohne Alaba und Baumgartlinger, die zuletzt die noch eindrucksvolleren Taktgeber dieser Tugend waren.
Wo jetzt ansetzen, was jetzt forcieren?
Marcel Koller überbetont es ja, immer wieder: er hat kaum, wenig, viel zu wenig Zeit um mit einem Stammkader das üben/proben/durchlaufen lassen zu können, was eine gute junge lernfähige Mannschaft, der aber immer noch die Jahrzehnte versäumnisreicher Verunsicherung nachhängen, die immer noch taktischen Nachholbedarf hat, so an Skills braucht um draußen auf dem Feld (auf sich allein gestellt) überleben zu können.
Die 1. Hälfte vom Samstag war so ein Beispiel. Weil Gegner-Coach Capello mit einer nicht erwarteten Formation überrascht, verändert sich die Aufgabe des Mittelfelds, wird der dort ausgerufene Matchplan über den Haufen geworfen. Und die Akteure schaffen es nicht darauf von selber richtig zu reagieren: Ilsanker-Leitgeb-Junuzovic, die auf ein russisches 4-4-2 ausgerichtet waren, schaffen es geistig nicht sich von der somit hinfälligen eigentlichen Aufgaben-Verteilung zu lösen und bringen die Mannschaft - das sieht man hier recht anschaulich - in große Gefahr, ermöglichen den Russen klare Feld- und Chancen-Vorteile.
Klar, Alaba-Baumgartlinger, wohl auch Kavlak wäre das nicht passiert. Aber genau das ist der Punkt: die Auswirkungen von taktischen Schwächen bemerkt man immer beim schwächsten Glied. Dort muss die Schulung ansetzen. Für die Koller eben kaum, wenig, allzu wenig Zeit zur Verfügung hat.
Deswegen wird sich die Coaching-Chefetage über die Winterpause folgendes überlegen (müssen): welche Strategien führen uns sicher durch das Jahr der Pflicht 2015? Und welche Strategien braucht es bei einer EM-Endrunde, gegen Teams auf Augenhöhe und Teams, die eigentlich außer Reichweite sind, noch dazu auf fremden Boden?
Was braucht 2015, was ist für die Euro noch nötig?
Für 2015 ist die Devise wohl klar: die drei Pflichtsiege gegen die beiden Gruppen-Letzten müssen mit der aktuellen Taktik erzielt werden. Das heißt: Druck aufbauen, Stop-and-Go-Fußball mit Viertelstunden des komplett-schonenden Zurückschaltens, verhaltenes Mittelfeld-Pressing, hinten nix zulassen und Geduld im Aufbau und Geduld im Abschluss. Das letzte Mal, dass Österreich kein Tor erzielen konnte, war gegen Deutschland im September 2013. Seitdem ging immer was.
Dazu kommt der bewährte Plan A: das hohe, giftige Angriffspressing samt schnellumschalendem Konterspiel, die Strategie mit der Koller das ÖFB-Team aus dem Tal der taktisch Ahnungslosen unter Constantini, Hickersberger und Vorgängern in die Gegenwart holte; den einzigen Matchplan für die WM-Qualifikations-Campaign 2012/13. Dort war das noch zu wenig.
Jetzt, mit bereits zwei taktischen Anzügen ist man europafit geworden.
Ob man für die Euro mit diesen beiden Plänen durchkommen wird oder sich noch eine dritte Strategie aneignen wird, das hängt von Kollers winterlicher Überschlagsrechnung ab: ob es sich 2015 ausgeht/auszahlt - denn nur da lässt sich der Ernstfall noch üben; danach, in der Testspiel-Phase von 2016 wird es schwer.
An sich wäre die ÖFB-Mannschaft für eine EM grundgerüstet: das giftige Konterspiel gegen die Großen, Stop-and-Go gegen the likes of Russland/Schweden.
Wie sieht's mit der Personal-Entwicklung aus?
2016 werden erstaunlich viele Akteure des immer gern als jung bezeichneten Teams rund um/knapp unter die 30 sein, also im besten Fußball-Alter - kein Nachteil wenn man kontinuierlich gewachsen ist.
Für Janko und den eh schon jetzt quasi aussortierten Ivanschitz wird das Turnier zu spät kommen. Daran arbeiten Koller und Co aber eh schon, merklich. Allerdings wird die Problemzone "Alter" just in dem Bereich am massivsten einschlagen, wo es eh schon zwickt - und wo Jugendlichkeit/Spritzigkeit international Voraussetzung ist: bei den Außenverteidigern. Garics, Ulmer, Klein, Fuchs und Suttner werden 29 bis 32 sein und die Ansprüche nicht mehr erfüllen können. Und da sehe ich keinen Plan, keine Idee - und große Gefahr.
Koller spricht gerne von einem Großkader von etwa 35, 40 Kandidaten, den er im Kader, auf Abruf, im Kopf hat. Es wird an ihm liegen diese 40, mit Nachrückern auf schlecht besetzten Positionen vielleicht sogar 50 so gut zu prüfen und auch zu briefen um nicht im Frühjahr 2016 mit auseinanderbröselnden Mannschaftsteilen dazustehen.
Öffentlichkeitswirksame Marketing-Schmähs wie die Einbürgerung von Alan (der, die Wette steht, Salzburg spätestens im nächsten Sommer verlassen und so um seine Staatsbürgerschafts-Chance umfallen wird) sind jedenfalls keine Lösung.
Außenwirksamkeit, die auch inhaltliche Substanz in sich trägt, ist hingegen willkommen: das Projekt 12 etwa, das Individualtraining für die besten jungen Kräfte vorsieht, gehört - recht schnell - in Projekt 16 umbenannt und ausgeweitet. Es werden sicher drei, vier Akteure der Jahrgänge 94 - 98 im Kader für 2016 stehen (müssen) um konkurrenzfähig zu sein. Die U20-WM in Neuseeland im nächsten Sommer sollte als Vorauswahl für die Euro betrachtet werden.
Was braucht Koller an zusätzlichen Maßnahmen?
Einen für taktische Belange zuständigen Co-Trainer wie es Fritz Schmid war. Wahrscheinlich einen neuen Tormann-Trainer - Franz Wohlfahrt prüft gerade diverse Karriere-Optionen.
Ansonsten ist man gut aufgestellt: Roger Spry ist noch da, die Physios und Psychologen haben Qualität, mit Gerhard Zallinger gibt's einen ganzheitlich denkenden Sportwissenschafter, die Scouts sind klug ausgesucht, der Sportdirektor kann in diversen Fachbereichen einspringen und helfen.
Kollers wichtigste Aufgabe wird darin bestehen die Begehrlichkeiten des Boulevards hintan zu halten: der wird versuchen hineinzuregieren, mitzubestimmen, sich einzumischen. Und weil (der eigentliche) ÖFB-Chef Ludwig kein alles abschmetternder Schröcksnadel, sondern ein gebefreudiger Ex-Kollege ist, wird der Schutzpanzer des Verbands nicht sehr dick sein.
Kollers zweite innerösterreichische Aufgabe wird die sehr enge, dichte Absprache mit Red Bull Salzburg sein. Dort halten sich (wohl auch noch 15 und 16) 90% seiner in Österreich beschäftigten Teamspieler auf.
Der Rest sind viele Reisen durch ganz Europa, viel Deutschland, ein bissl England, vielleicht auch demnächst ein bissl Spanien und dann dorthin, wo Dragovic bald hingehen wird.
Denn als Konsequenz für die auch international auffälligen ÖFB-Leistungen werden schon im Winter ein kleines Rudel von Akteuren von guten Vereinen in guten Ligen an/abgeworben werden. was wiederum die Qualität des A-Teams schon 2015 erhöhen wird. Weshalb die Warnung mit dem Bären und seinem Fell noch weniger wahrscheinlich wird.