Erstellt am: 16. 11. 2014 - 16:14 Uhr
Süßer Vogel Jugend hat Hunger
Nach seinem Motorradunfall im Juli 1966 zog sich Bob Dylan in einem Haus in der Gegend von Woodstock, New York zurück und schrieb Dutzende, gar über hundert Songs und bislang unvertont gebliebene Texte. Einige dieser Songs nahm Dylan 1967 mit einer Gruppe von Musikern auf, die später als The Band bekannt werden sollte, diese Songs wurden zu dem legendären Album "The Basement Tapes", das erst 1975 erschien.
Über die originalen Basement Tapes und die New Basement Tapes von Burnett, Costello und Co. wird Robert Rotifer auch im FM4 Heartbeat am Montag, den 17. November ab 22 Uhr sprechen.
Eine Platte, der also schon einiges an Entstehungsmythos anhaftet und die genug Futter zur Legendenbildung mitliefert. Mysterium und den Geist des Verschütteten kann man in sie hineindenken, zudem ist sie einer von den vielen besten Platten Dylans. Unter der Schirmherrschaft des Oscar-prämierten Songwriters, Musikers, Producers und Impressarios T Bone Burnett hat nun eine Gruppe Musiker Texte aus dieser Phase Dylans ausgegraben und sich ihrer Vertonung angenommen. "Lost on the River: The New Basement Tapes" nennt sich das Unterfangen und will so schon im Titel die Magie des Verlorenen, des interessant Verschollenen beschwören.
The New Basement Tapes
Eine Allstar-Gruppe, bestehend aus Elvis Costello, Marcus Mumford, Jim James von den erdverbundenen Folk-Rockern My Morning Jacket und einigen mehr, haben in einer zweiwöchigen Session in Los Angeles versucht, die unverkrampfte Freude am Spiel und an Dylan und den Esprit der Zwanglosigkeit und Losgelöstheit von der Welt der Original-Sessions zum Leben zu erwecken. Man rotiert am Leadgesang und fügt sich zur Backingband des jeweils anderen.
Die Vorabsingle "Nothing to It", bei der Jim James die Rolle des Hauptdarstellers einnimmt, ist dabei programmatisch für "Lost on the River: The New Basement Tapes". Freilich ist dieses Unterfangen für alle Beteiligten ein altehrwürdiges Prestigeprojekt und das Verwalten eines schweren Erbes, gleichzeitig sollen die Mühelosigkeit und der Spaß hervorgestrichen werden, "there's nothing to it", gerade so als wäre nichts dabei.
Trunken poltert und rumpelt das Schlagzeug, das Klavier ist in beschwingter Laune, ein elektrisches Solo fließt aus der Gitarre als wäre es der selbstverständlichste Lauf der Natur. Jim James und die Menschen am Backgroundgesang scheinen schon zwei Gläschen zu sich genommen zu haben. Hier jubiliert die Unbekümmertheit der Jugend, ein angestaubtes Vorhaben strotzt vor Saft.
- Alle Songs zum Sonntag auf FM4
- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.
"Well, I knew that I was young enough / And I knew that there was nothing to it" beginnt "Nothing to It". Wenn man noch jung ist, muss man sich noch keine großen Gedanken machen und keine falsche Scham vorgaukeln. Morgen wird es vielleicht auch wieder schön. Der Song nämlich ist ein ernster. Dylan gelingt wieder einmal, ein großes Thema in eine knappe, kleine Geschichte zu packen.
Der noch ausreichend junge Mann in dem Lied möchte nämlich einen Reichen um ein paar Münzen anschnorren. Da kann ja nichts dabei sein, der Typ muss deswegen ja nicht gleich zur Bank laufen, er hat es ohnehin im Überfluss. Es geht um Gier, Geiz, soziale Ungerechtigkeit, konzentriert auf ein paar kurze Zeilen. Gekoppelt mit der munteren Musik entsteht spannende Reibung. Was schnell in der Betulichkeit ertrinken hätte können, vibriert vielmehr vor Frische und Leichtigkeit. Man fühlt es: Alles war einfacher, alles war schwieriger, wir waren doch noch so jung und brauchten das Geld.