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Lukas Lottersberger

Lukas Lottersberger

Lukas Lottersberger

Politik, Alltägliches und andere Kuriositäten.

17. 11. 2014 - 15:57

Wohnungslose im Stadtpark

Vor einem Jahr wurde versucht, die Obdachlosen aus dem Wiener Stadtpark zu vertreiben. Heute leben und übernachten hier etwa 15 Menschen.

Es hat knappe 13 Grad an diesem Novemberabend, als ich mit Caritas-Streetworkerin Susanne Peter vor dem Wiener Stadtpark stehe. An und für sich eine Temperatur, die mit passender Kleidung durchaus erträglich ist. Doch kaum weht der Wind etwas stärker, wird es unangenehm. Für die Menschen, die im Stadtpark leben und übernachten (momentan rund 15 Personen), ist das in den kalten Monaten Alltag. Und der wird eben hingenommen, wie mir im Laufe meines Besuchs klar wird.

Obdachloser mit Plastikplane

Lukas Ilgner

An der niedrigen Begrenzungsmauer des Stadtparks steht ein Mann mit Trainingsjacke. Mit einem Camping-Kocher bereitet er Essen zu. Neben ihm eine Frau im Rollstuhl. Streetworkerin Susanne Peter hat die beiden noch nie davor gesehen und geht auf sie zu. Sie erklärt ihnen, wer sie ist, doch der Mann schüttelt den Kopf und grinst verlegen. „Slowakisch“, sagt er und gibt zu verstehen, dass alles in Ordnung sei.

Susanne versucht, einen der Telefon-Dolmetscher zu erreichen, die der Caritas zur Verfügung stehen. „Hier mangelt es uns an Personal“, erklärt sie. „Am liebsten wäre uns, wenn wir für jede Sprache drei Dolmetscher hätten. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir dabei jemanden erreichen, ist dann ziemlich hoch.“

Herr N. und Roman stoßen dazu als die Streetworkerin telefoniert. Herr N. ist ein rüstiger, älterer Mann. Familiäre und bürokratische Probleme drängten ihn auf die Straße und halten ihn auch dort. Er trägt Jeans, eine Daunenjacke und neu anmutende Wildlederschuhe. Nicht unbedingt das, was man von einem Obdachlosen erwarten würde. Roman kriecht aus dem Gebüsch hinter der Mauer hervor, erkennt Susanne und freut sich, sie zu sehen. Sie verteilt Zigaretten an die kleine Ansammlung, die sich in der Zwischenzeit gebildet hat.

Roman versteht den Slowaken und übersetzt für Susanne, die den Dolmetscher nicht erreichen konnte. Ob sie nicht in ein Notquartier gehen möchten oder einen Schlafsack bräuchten, fragt die Streetworkerin. Der Mann reagiert etwas verärgert und meint, dass es nicht möglich sei, dass sie beide in einem Notquartier unterkämen. In den meisten Quartieren herrscht Geschlechtertrennung. Schlafsack hätten sie nur einen. Wieder tätigt Susanne einige Anrufe. Noch heute soll ein Streetworker-Team kommen und den beiden einen zweiten Schlafsack bringen oder ein geeignetes Notquartier vermitteln.

Nachdem jeder seine Zigarette geraucht hat, meint Roman, dass er sich hinsetzen müsse, da seine Füße taub werden, wenn er länger steht. Ich setze mich zu ihm auf die Mauer und er erzählt mir, wie er in die Obdachlosigkeit geschlittert ist.

"Mal ist es warm, mal kalt"

Roman kommt aus Tschechien. Er wurde noch vor der Wende nach Deutschland „abgeschoben“, wie er sagt. In Deutschland machte er sein Abitur und studierte anschließend Chemie. Was dann kam, erinnert entfernt an Breaking Bad: Er verwendete sein erworbenes Wissen, um Drogen herzustellen. „Ich hab Ecstasy und Amphetamine gemacht. Nach dreieinhalb Jahren hat man mich erwischt und ich war zehn Jahre im Gefängnis.“ Seit zwei Jahren lebt Roman nun im Stadtpark. Davor war er in Spanien und noch länger davor in Frankreich. Zehn Jahre durfte er nicht nach Deutschland, hatte keinen Bezugspunkt. Doch nun habe seine Mutter Geld bezahlt, dass er wieder einreisen darf. „Zu Weihnachten sehe ich sie wieder. Doch ich hab Angst.“ Angst hat er, weil er sich schämt. Er möchte nicht, dass er vor seiner Mutter Entzugserscheinungen vom Alkohol bekommt.

Später treffe ich auf Florian. Er ist aus Fürstenfeld. Florian ist schon seit fünf Jahren obdachlos, lebt mal hier, mal dort, doch er kehrt immer wieder in den Stadtpark zurück. Eine gescheiterte Beziehung und fehlende Bezugspunkte haben ihn auf die Straße gebracht. Momentan sucht er eine Arbeit. Bisher erfolglos. Die Antwort einer Reinigungsfirma steht noch aus. Er sei ein Einzelgänger, und bleibe lieber auf der Straße. Auch im Winter, meint er. Deshalb geht er auch nicht gerne in die Notquartiere.

Einige im Stadtpark lebende Obdachlose scheinen mit niedrigen Temperaturen erstaunlicherweise wenig Probleme zu haben. „Wir leben halt so, wie wir jetzt sind. Mal ist es warm, mal kalt. Das ist ganz normal“, meint Roman dazu. Jeder von ihnen hat einen winterfesten Schlafsack und bekommt Kleidung. Plastikplanen bieten oft zusätzlichen Schutz vor Nässe.

© Lukas Ilgner

Lukas Ilgner

Foto aus Lukas Ilgners Porträtserie "Shelter"

Herr N. und Florian beraten sich, wo sie morgen essen gehen. „In Wien musst du dich schon ziemlich deppert anstellen, dass du hungrig herumläufst“, verrät er mir und zählt sämtliche Einrichtungen zwischen Klosterneuburg und Hütteldorf auf, die Essen an Bedürftige ausgeben. Morgen gehen die drei Kaffee trinken.

Die Obdachlosen im Stadtpark haben unterschiedliche Hintergründe – von der Herkunft wie von der Lebensgeschichte. Doch das ist für die meisten hier sekundär. Es geht darum, aus der Situation das Beste zu machen und sich gegenseitig zu helfen. Roman erklärt mir, dass jeder hier solidarisch ist. Er bietet sogar mir Essen an. Es gibt Eier. Ich frage Roman, ob Menschen mit Wohnung von Wohnungslosen etwas lernen können. „Ja sicher. Mal unter Leuten zu leben“, meint er knapp. Eigentlich hatte ich mir eine „spannendere“ Antwort erwartet. Doch die Antwort stimmt mich nachdenklich.

Das Verhältnis zur Polizei und den Anrainern

Als vor einem Jahr eine Räumungsaktion die Obdachlosen vom Stadtpark zeitweise vertrieb, kam vonseiten der Caritas und anderen Hilfsorganisationen scharfe Kritik. Bei der Aktion wurden auch die wenigen Habseligkeiten, die zurückblieben, von der städtischen Müllentsorgung einfach weggeschmissen. Doch nicht nur die harte Vorgehensweise stieß auf Verwunderung. Auch, dass die Polizei überhaupt eingriff. Denn bis zur Räumungsaktion war das Verhältnis zwischen Anrainern, Polizei und den Obdachlosen stets ein Gutes. Nie gab es Probleme; die Obdachlosen wurden geduldet – von allen Seiten.

Susanne Peter erzählt mir, wie etwa die Polizei zwei Tage nach der Räumungsaktion half, eine Frau mit psychischer Beeinträchtigung in eine Unterkunft zu bringen: „Diese Dame war früher im Besitz von zwei Immobilien und sie glaubte, es immer noch zu sein. Wir konnten ein Quartier für sie finden und boten ihr deshalb mehrmals an, dort hinzuziehen – stets lehnte sie ab. Erst als wir die Polizei als ‚Autoritätspersonen‘ heranzogen, führten wir sie zu ihrer neuen Unterkunft. Dort angekommen sah sie ihren Namen auf der Gegensprechanlage und dem Postkastl, und sie merkte, dass sie mit einer Postadresse wieder Zugang zu Geld haben wird. Sie ist dann dort geblieben. Es brauchte also die Motivation und die Autorität der Polizei.“

Dieses „Housing First“-Konzept setzt sich mittlerweile in Wien immer mehr durch. Die Chancen auf Resozialisierung der Betroffenen sind bei diesem Konzept relativ gut. Räumungsaktionen dürften für einen Neustart hingegen eher wenig beitragen. „Es gab nach der Aktion einen runden Tisch und man hat erkannt, dass die Sache nicht gut gelaufen ist“, erklärt Susanne Peter und gibt sich zuversichtlich, dass so etwas nicht mehr passieren wird. Seitdem kam es auch zu keinen Zwischenfällen mehr.

Hilfe im Winter

Das Kältetelefon ist unter
01/480 45 53
erreichbar.

Trotz der Zähigkeit, die manche Obdachlose im Stadtpark auf den ersten Blick an den Tag legen, stellen die kalten Temperaturen eine Gefahr dar. Niemand dürfe auf der Straße erfrieren, betont Susanne Peter von der Gruft. Es gebe genug Betten und selbst wenn die Grundkapazitäten ausgeschöpft sein sollten, sei sie optimistisch: „Wenn die geplanten Quartiere nicht ausreichen, dann wird man sicher eine Lösung mit der Stadt finden.“

Sollte man als PassantIn eineN ObdachloseN sehen, der/die im Freien übernachten muss, gibt es das Kältetelefon, das rasche Hilfe für Betroffene bietet – in Wien etwa mit dem Winterpaket, welches einen wetterfesten Schlafsack beinhaltet. Wer bei Minusgraden jemanden am Boden liegen oder schlafen sieht, soll unbedingt die Rettung rufen.

Natürlich gibt es solche Angebote nicht nur in Wien. Wie du in anderen Bundesländern helfen kannst, erfährst du hier.