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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 11. 2014 - 13:46

The daily Blumenau. Thursday Edition, 13-11-14.

Worauf dieser beim St.Martins-Fest beginnende Text hinaus will: der demokratische Wohlfahrts-Staat muss täglich von allen aufs Neue erarbeitet werden.

The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.

#demokratiepolitik #laterne&sterne

Vorgestern, 11.11.: abendliches Martins-Fest im Kindergarten. Gemäßigter Einsatz von Murphy's Law: einiges, was schiefgehen kann, geht schief. Bis auf in der zu großen Dunkelheit (2015 zwei Lichterketten aufhängen?) ineinanderlaufende Kinder, unkoordiniertes Umzugs-Gesinge, Ketchup-Flecken, zuviel Zimt im Punsch und der namensgebenden (wie bei allen katholischen Festen) nicht unproblematischen Storyline bleibt letztlich das Wesentliche über: Kinder mit leuchtenden Augen, die nach Sternen Ausschau halten (angesichts der Kometen-Sache tags darauf auch topaktuell) und am liebsten ihre Laterne mit ins Bett nehmen würden.

Gestern, 12.11.: Tschuri-Landungstag. Auf ein ironisch-witziges Social-Media-Posting einer guten Freundin über einen deutlich weniger gelungenen Martins-Festakt, kippt der übervolle Eltern-Thread in kurzer Zeit über Sarkasmus in Zynismus. Tenor: zumindest ordentlich besaufen sollte man sich bei diesen Gelegenheiten können und dann gibt's nur den fucking Kinderpunsch. Ich bin recht schnell mit einem unfreundlichen Kontra-Kommentar dabei, und finde kleine Lichtermeere, überbesorgte Eltern und absurde Situationskomik herrlich und auch ohne Alk zumutbar.

Soweit ich weiß, ist der Martins-Umzug (im Gegensatz zu den anderen, religions- und konsumindustriediktierten Feiertagen) die einzig kinder(garten)genuine Fest-Schöpfung (und eine für die noch mit Käseschachteln gebastelt wird), also letztlich die (somit einzige) indirekte Abfeierung dieser zivilisatorischen Errungenschaft.

Ich will keine Debatte über die Absurdität der größten Schere, die zwischen Leistung/Verantwortung und Bezahlung hierzulande existiert, anstoßen. Das ist eine andere Geschichte. Mich stört die Leichtfertigkeit des Stänkerns über eine an sich feine Sache; mich nervt das Detail-Genörgel, das - wohl unwillentlich - den Akt selber in Frage stellt. Und die dahinterstehenden Anstrengungen madig macht.

Heute, 13.11.: der Tag an dem #stolzdrauf kippt. Die gute Freundin (die gar nicht gemeint war) hat geantwortet und ich bin im Nachhinein ein wenig über die Drastik meines gestrigen Postings erschrocken. Es war mehr Klimek, mehr TerenceLennox als ich eigentlich will. Da hat etwas einen (wunden) Punkt in mir getroffen. Und ich komm' heute auch drauf welchen.

Das St.Martins-Genörgel ist die gelebte und konkrete Alltagsversion des elend-vagen Demokratie- und Politik-Verdruß-Genörgels im Großen.

Beides basiert auf einer irritierenden, weil falschen Grundannahme: der der Selbstverständlichkeit all dessen. Es existiert keine gesetzliche oder sonstwie vorgeschriebene Verpflichtung diese kleine Feier zu machen; und es existiert kein Naturgesetz, Menschenrecht oder Gottesurteil, dass wir in Mitteleuropa/Österreich in einem demokratischen Wohlfahrts-Staat zu leben haben. Beides ist Status Quo, ein teilweise über Jahrhunderte erkämpfter, aber nichts, dessen Vertrag sich wie von Geisterhand von selber Jahr für Jahr verlängert.

Der sogenannte Gesellschaftsvertrag, der das zivilisierte Zusammenleben in den diversen kleinen Einheiten bis hin zur EU regelt, der ist kein Faulbett, in das man sich gedankenlos fallen lassen kann, sondern ein lebender Organismus, der ununterbrochen, täglich und eigentlich von allen, neu erarbeitet werden muss.

Das geschieht seit einiger Zeit (dazu existieren unterschiedliche Wahrnehmungen und Einschätzungen; ich etwa orte seit den 90ern ein Erodieren) in deutlich abgeschwächter Form. Zum einen weil gezielte Vorstöße konkreter Demokratie-Gegner (Freunde der Auto- und Kleptokratie ebenso wie stramme Nationalisten/Isolationisten) das beabsichtigen und auch weil nachstoßenden Generationen zu wenig bewusst ist, dass die (letztlich zarte, ihre stählerne Kraft nur vortäuschende) Pflanze Demokratie gezielte und regelmäßige Bewässerung benötigt.

Wäre der demokratische Wohlfahrtsstaat eine Zimmerpflanze, die bei uns allen herumstehen würde: in sicherlich der Mehrzahl der Haushalte wäre sie bereits abgestorben, kaputtgedurstet.

Genauso wie es den meisten bereits zu anstrengend ist, sich jenseits des schnellen Empörungs-Thrill-Faktors noch mit inhaltlichen Fragen auseinanderzusetzen, genauso wie sich man im politischen Scheindiskurs mit der schnellen Findung von Schuldigen begnügt, genauso greift diese Denkungsart zunehmend auch in scheinbar privaten Bereichen. Schuld daran, dass man beim Martinsfest lustlos rumsteht, ist man nicht etwa selber (weil man - außer Saufen - nichts draus machen will), es sind (implizit, angedeutet) die Kinder, andere (zu bemühte) Eltern und meist die Kindergarten-Verantwortlichen.

Letztlich gehen wir (fast alle zumindest manchmal) mit konkreten und abstrakten Fragen staatlicher Organisation genauso um. Schuld ist nicht unser Desinteresse, sondern die Tatsache dass die Instandhalter nicht exakt unseren Erwartungen entsprechen. Ganz so, wie es einem die Populisten einflüstern; samt der illusorischen Möglichkeit, dass das jemals möglich wäre. Das ist es in einer demokratischen Grundordnung nicht (dort sind die Instandhalter immer nur so gut wie die sie begleitende konstruktive Kontrolle) - das geht nur in einer Gesellschaft, in der jede Schere so explodiert ist wie die bei den Kindergärtnerinnen, also in einer turbokapitalistischen oder autokratischen.

Genau dorthin weht der Zeitgeist-Wind die Polit-Verdrussler, die vom Modell mit dem ewigen Arbeitstitel Demokratie Angestrengten & Angeödeten, die sich einzig in der aktiven Lächerlichmachung von politischem Gestaltungswillen hervortun. Einem Gestaltungswillen, der letztlich eben schon im Kindergarten beginnt.