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Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

13. 11. 2014 - 16:41

„Ich spüre eine emotionale Nähe zu den Figuren“

Die iranischstämmige österreichische Regisseurin Sudabeh Mortezai über ihr Spielfilmdebüt "Macondo".

Zwischen Industriehafen, Gestrüpp und einem Baggerpark für Kinder liegt die Flüchtlingssiedlung Macondo am Rande von Wien. Dort erzählt Sudabeh Mortezai vom Aufwachsen eines elfjährigen tschetschenischen Buben, dessen Vater im Krieg gefallen ist und der nun, als ältester Mann der Familie, eine Rolle übernehmen muss, für die er eigentlich noch zu sehr Kind ist. Ähnlich wie in ihren beiden Dokumentarfilmen „Children of the Prophet“ und „Im Bazar der Geschlechter“ geht es Sudabeh Mortezai auch in „Macondo“ um die Beobachtung leiser kultureller Zwischentöne.

Die Regisseurin Sudabeh Mortezai

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Anna Katharina Laggner: Wie lange hast du an Macondo gearbeitet?

Sudabeh Mortezai: Ab der ersten Idee bis zum fertigen Film waren es ungefähr drei Jahre. Ich hab mir sehr viel Zeit gelassen für die Recherche und den Beziehungsaufbau und dann noch mal fast ein Jahr fürs Drehbuchschreiben. Dann ging's aber sehr schnell. Diese Teile, die sonst auch sehr lang dauern können, Produktion und Schnitt, waren dann recht flott.

Du kommst eigentlich aus dem Dokumentarfilm. War es für dich von vornherein klar, das wird jetzt ein Spielfilm?

Ja, sehr früh. Ich hab den Ort entdeckt,- ich hab den nicht gekannt vorher, ich glaub, ich hab was in der Zeitung gelesen: Es gibt diese Flüchtlingssiedlung mit Namen Macondo ganz weit draußen in Simmering, da leben ungefähr 3000 Menschen aus 20 verschiedenen Ländern. Das klang gleich total faszinierend. Ich bin dann hingefahren und was mir sofort aufgefallen ist, neben den viele Geschichten, die ich vermutet hab' hinter den Fassaden, war, wie filmisch der Ort ist. Und ich hatte da schon Lust, etwas Narrativeres zu machen und das war eine gute Gelegenheit.

Der Ort ist ja auch so schrebergartenartig, es gibt außerdem das neuere Gebäude vom österreichischen Integrationsfonds und rundherum sind Brachen und ein Containerhafen. Als ich das erste Mal dort war, hat mich die Kombination fasziniert.

Genau. Auch die Verortung, das ist im Industriegebiet und diese verschiedenen Architekturen. Wobei, der neuere Teil mit diesen Pawlatschen-Wohnungen hat mich als Ort am meisten fasziniert, weil die Leute sehr viel nach draußen leben. Sie leben mit sehr großen Familien in sehr kleinen Wohnungen und die Türen stehen im Sommer immer offen. Der Hof ist wie das erweiterte Wohnzimmer. Das hat zur Folge, dass es etwas sehr Familiäres hat und gleichzeitig ist aber auch gar kein Privatleben. Es gibt viel soziale Kontrolle.

War die Tatsache, dass so viel im Innenhof im Freien passiert, der Grund, weshalb der Film im Sommer spielt. Es gibt zum Beispiel eine Nebenszene, in der eine schwarze Frau ihr Baby auf den Stiegen wickelt.

Das ist zum Beispiel eine rein dokumentarische Szene, die einfach passiert ist und die ich dann in die Handlung eingebaut habe. Davon gibt es einige. Der Hauptgrund, dass der Film im Sommer spielt, ist diese Lebendigkeit und diese Offenheit. Außerdem wusste ich, dass ein Kind die Hauptrolle spielen wird und es sind Sommerferien, also ganz pragmatisch.

Du bist in Deutschland geboren und in Wien und Teheran aufgewachsen. Hat der Film etwas mit deiner eigenen Geschichte zu tun, einer Erfahrung des Erwachsenwerdens zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen?

Emotional auf jeden Fall. Es ist natürlich kein autobiographischer Film. Es ist die Geschichte eines tschetschenischen Jungen und ich war ein Mädchen, als ich mit 12 Jahren hergekommen bin, mit ganz anderem kulturellen Hintergrund und einer anderen Geschichte. Aber emotional hab ich schon viel mitgenommen und das beeinflusst den ganzen Film. Ich spüre auch eine emotionale Nähe zu den Figuren.

Ein kleiner Junge sitzt auf einem Balkon

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Bei dem Buben im Film hat man immer ein bisschen die Angst, dass er irgendeinen Blödsinn macht, dass das kippt. Das ist aber die Figur? Kannst du deine emotionale Nähe deutlicher beschreiben?

Also dass bei ihm die Angst im Raum steht, dass es kippen könnte, das ist das Narrative, das Geschriebene. Aber das Emotionale... Ich hab das Gefühl, dass einem die Kindheit so schnell weggenommen wird. Wenn man so eine Migrationsgeschichte hat, die vor allem auch keine freiwillige war, wenn man von einem Tag auf den anderen entwurzelt wird, auch nicht gefragt wird, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt wird, hab ich das Gefühl, dass das einen klaren Strich unter die Kindheit zieht, ohne dass man darauf vorbereitet war. Ich hab auch das Gefühl, dass sehr viele Flüchtlingskinder einfach sehr früh erwachsen werden müssen und sich mit Dingen auseinandersetzen, die einfach gar nicht für ihr Alter angemessen wären. Da ist die emotionale Nähe, obwohl meine Geschichte gar nicht so hart ist und so radikal wie die von Ramasan im Film, musste ich auch zu früh erwachsen werden und war mit Dingen konfrontiert, die ich nicht wollte.

Ramasan ist elf Jahre, das heißt, in Österreich ist er ein Bub und auch nach österreichischem Gesetz ist er ein Kind, was ihm ja im Verlauf des Films auch zugute kommt. In der tschetschenischen Kultur, und das hat sicher auch damit zu tun, dass er seinen Vater verloren hat und nun der älteste Sohn und der einzige Mann im Haushalt ist, wird er wiederholt als erwachsen bezeichnet. Das heißt, du erzählst auch ein Kriegsschicksal, er ist ein verletzlicher Bub. Was war dir das wichtigste, mit dieser Figur zu erzählen?

Diese Verletzlichkeit vor allem, das stimmt schon. Der Film handelt ja indirekt sehr stark vom Krieg, obwohl Krieg in den Bildern gar nicht vorkommt. Das Offensichtliche kennt man schon, was Krieg kann, diese krassen Bilder. Mich hat viel mehr interessiert, was der Krieg mit der nächsten Generation macht, vor allem von Burschen, das war für mich eine zentrale Frage in punkto Männerbild. Da gibt's ja auch die Tendenz zu einer Verherrlichung und Heroisierung der Kriegsfiguren und was ist aber die Realität? Was braucht so ein Kind? In Wirklichkeit Liebe und Geborgenheit und jemand, der ihn nimmt und ihn fest drückt und für ihn da ist. Und das macht die Verletzlichkeit. Nicht nur ist niemand da, der ihn beschützt, sondern er muss die anderen noch beschützen und es wird ihm so viel abverlangt. Das war eine zentrale Frage für mich.

Mutter und Ramasan

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Gleichzeitig ist es keine subjektive Einzelgeschichte, das will der Film ja nicht, sondern er möchte auch allgemein gültig sein. Da geht es um Kultur, um Traditionen, um Werte, die uns prägen und die aufgebrochen werden, wenn sie mit einer gegensätzlichen Kultur konfrontiert sind. Es gibt zum Beispiel eine Szene, in der die Mutter von Ramasan einer österreichischen Flüchtlingshelferin davon erzählt, wie sie von ihrem Mann gestohlen und entführt wurde von zu hause - also Brautraub, der in Tschetschenien vorhanden ist. Die Österreicherin kann es gar nicht fassen. Man fragt sich in dem Moment, wer muss jetzt wem welche Kultur erklären? Ich hab viele dieser Szenen auch als Kritik an dem, was man als Integration bezeichnet, verstanden.

Das kann man schon so sehen. Ich wollte eine Geschichte erzählen, die in sich stimmig ist und emotional berührt. Aber natürlich ist es auch eine absolute Kritik an der ganzen Integrationsdebatte, die ja meistens so geführt wird, dass man über die Leute, die sich integrieren sollen, wie über ein Thema redet. Ich finde die Integrationsdebatte wird in Österreich sehr ideologisch geführt, man schaut sich nicht an, wo die Leute stehen und wo man sie abholen könnte. Gerade die Tatsache, dass Kinder in ihrer schwierigen Situation Vermittler zwischen ihren Familien und der österreichischen Gesellschaft sind, was für sie eine Bürde ist, ist auch eine Chance. Im Film nehmen wir die Perspektive von einem Kind ein, das wirklich und direkt mit dieser Situation konfrontiert ist, sich integrieren zu müssen, beziehungsweise einfach zwischen verschiedenen Angeboten an Identitäten wählen zu müssen. Es geht nicht um ein reflektiertes Kritisieren der Integrationsdebatte, sondern eine andere Perspektive darauf.

Wobei man in der Szene, die ich angesprochen habe, bemerkt, dass das den Tschetscheninnen nicht wirklich was bringt, dass sie der erstaunten Österreicherin erklären müssen, was ihre Tradition ist und wie schwierig es da mit der Liebe ist.

Gleichzeitig ist die Szene auch wichtig, um die Mutterfigur zu verstehen. Unter was für einem Druck so eine Frau auch leben muss. Die hat einen Mann heiraten müssen, den sie überhaupt nicht geliebt hat, hat drei Kinder mit ihm, er stirbt, dann lebt sie mit drei Kindern in einer kleinen Wohnung, hat überhaupt keine Privatsphäre und sobald sie rausgeht, ist sie unter sozialer Kontrolle ihrer Community. Also es ging mir um die Charakterisierung dieser Frau und gleichzeitig das Unverständnis der österreichischen Figur, die einfach nur vor den Kopf gestoßen ist, was das jetzt soll. Da redet man ein bisschen aneinander vorbei, da hast du Recht.

Die Österreicherinnen und Österreicher, die im Film vorkommen, sind aber alle positiv, beziehungsweise sehr korrekt dargestellt, bis hin zu den Polizisten.

Man könnte auch ganz andere Figuren zeichnen. Ich wollte nicht in diese Klischeekiste greifen, die bösen Polizisten und die gefährlichen Sozialarbeiter oder das Jugendamt. Die Bedrohung ist ja trotzdem da. Was mich interessiert hat war, dass Ramasan die österreichische Gesellschaft vor allem als Bedrohung empfindet, für sein Leben, obwohl das gar nicht so böse gemeint ist. Das fand ich viel interessanter, als wenn man die Figuren dämonisiert. Von der Perspektive her war mir wichtig, so eine Art konzentrische Kreise darzustellen: ganz nah bei Ramasan ist seine Familie, dann kommen die Freunde, dann kommt diese kleine Community der Tschetschenen und diese Siedlung in Macondo und ganz, ganz draußen, ganz weit weg ist das offizielle Österreich. Ich glaub, das ist die Perspektive, die so ein Kind auch hat. Das war mir viel wichtiger als ob diese Figuren positiv oder negativ sind, sondern dass sie weit weg sind.

Wie war es eigentlich, in Macondo zu drehen?

Sehr spannend. Ich hab ja schon sehr lange Beziehungsaufbau gemacht, bevor wir überhaupt mit einem Filmteam dort angekommen sind, das war sehr wichtig. Unter anderem hab ich auch Filmworkshops angeboten für Kinder und Jugendliche in der Siedlung. Jahr um Jahr hab ich fast jeden Sommer dort verbracht, bis wir mit dem Filmteam dort waren. Deswegen war ich dann schon eine bekannte Figur dort. Und unser Filmteam war auch bewusst sehr klein und lauter Leute, die auch bereit sind, sich in so einen Rahmen einzulassen. Also mit einem bescheidenen Duktus zu filmen, dass das nicht so was Arrogantes hat, das tolle große Filmteam kommt und landet in der Siedlung, sondern wir fügen uns in das Leben der Leute ein und respektieren das auch, deswegen verlief das gut. Am Anfang gab´s viel Sachen wie Kinder winken in die Kamera oder rufen mir dauernd zu, aber sie haben irgendwann den Prozess wirklich verstanden und es ist immer besser geworden von Tag zu Tag. Am Ende hat´s ihnen glaube ich schon wahnsinnig viel Spaß gemacht und sie waren sehr traurig, als der letzte Drehtag war und wir weg sind.

Das erfordert ja eine ziemliche Disziplin, auch wenn du dokumentarisch arbeitest und ohne zusätzliches Licht und mit kleinem Team, dann stellst du dir ja trotzdem bestimmte Bilder vor und brauchst auch bestimmte Bilder für den Film, die sind ja nicht willkürlich.

Genau. Der Clemens Hufnagl, der Kamera gemacht hat, hat sich sehr genau überlegt, was man machen kann mit diesen Orten und dass wir mit der Kamera mit Ramasan auf Augenhöhe sind und nicht auf ihn draufschauen. Gleichzeitig wollten wir ein hohes Niveau, aber ich wollte keine Absperrungen und keine falschen Statisten, sondern das, was in der Siedlung passiert, dokumentarisch immer mitnehmen. Auch auf die Gefahr hin, dass manche Aufnahmen völlig unbrauchbar sind, weil plötzlich wieder Leute in die Kamera winken oder irgendwas sagen, was nicht zur Szene gehört. Das war der Spagat, den wir gemacht haben und ich finde, mit der Arbeit von Tag zu Tag ist es einfacher und besser geworden.