Erstellt am: 12. 11. 2014 - 15:47 Uhr
Die Leute vom Sobieskiplatz
Gleich zwei Kamerateams haben sich beim Sobieskiplatz in Wien-Alsergrund um ein Grüppchen von einem knappen Dutzend Demonstranten in Stellung gebracht – die Kollegin vom Schauplatz lässt sich die Szenen ebenfalls nicht entgehen.
Es sind vor allem gutbürgerliche Menschen aus allen Altersgruppen, die sich hier am frühen Dienstag-Nachmittag treffen, um gegen das geplanten Drogenberatungs- und Suchthilfezentrum zu demonstrieren. Manche Anrainer, die um diese Zeit nicht dabei sein können, hängen T-Shirts aus dem Fenster – eine Symbolik gegen das geplante Zentrum.
Kaputtes Grätzl?
Aus den verschiedenen Bürgerinitiativen und Wutbürgern der letzten Jahre hat man gelernt, man achtet auf die Außenwirkung. So will die Bürgerinitiative spritzenfrei.at nicht in die Nähe von politischen Parteien gerückt werden, man distanziert sich auch von der allfälligen Vereinnahmung der Bewegung durch Politiker wie Strache. Das Bingo-Rad, das aktionistisch die Ohnmacht der Anrainer illustrieren soll, ist aber dennoch in den Farben rot und grün gehalten. Besonders vorsichtig ist man, was Äußerungen über das künftige Klientel des Zentrums betrifft. So meint Hendrik Dekkers, Sprecher der Initiative, etwa: „Drogenkonsum ist an sich kein Verbrechen, die tun ja niemanden was. Sie ruinieren ihren eigenen Körper, da ist die Frage, ob man das überhaupt als Verbrechen sehen sollte. Die Gesetzeslage ist derzeit so – aber das sind nicht meine Gesetze. Ich kenne auch genügend und es ist jetzt nicht so, dass ich sage, ich will die Drogenkranken nicht bei mir haben, ich würde jedem gerne helfen. Aber was hier gemacht wird ist keine Hilfe – es ist ein Experiment auf unserem Rücken. Und das Risiko ist, dass das Grätzel kaputt ist. Das wäre schade“.
spritzenfrei.at
Tag der offenen Tür
Ein paar Schritte weiter befindet sich das viel diskutierte Zentrum, davor stehen Menschen um ein kleines Tischchen und bemühen sich, Passanten und anwesende Journalisten mit Infomaterial zu versorgen. In den ebenerdigen Räumlichkeiten selbst sieht es wie in einem frisch renovierten Büro aus. Hier sollen die Klienten der Suchthilfe vor allem eine Anlaufstelle für Fragen und Probleme haben, nebenbei wird auf ihre Gesundheit geschaut – und sie können ihre gebrauchten Spritzen gegen neue tauschen. Das alles wirkt recht unspektakulär. Eigentlich wollen die meisten hier, dass es endlich losgeht und sie in Ruhe arbeiten können. Roland Reithofer, der Leiter der Suchthilfe, hat an diesem Tag besonders viel zu tun, schließlich wollen dutzende Kollegen wissen, ob die Sorgen der Anrainer berechtigt sind.
APA/GEORG HOCHMUTH
Die Bevölkerung weiß nichts über Sucht
Dazu, so Reithofer, müsss man ganz prinzipiell eines sagen: Mit den Anrainern habe man in hunderten Gesprächen versucht alle Fragen zu klären, jenen, die gerne über das gesamte Projekt abgestimmt hätten (und es ohnehin hier für ungeeignet halten) kann man naturgemäß nur schwer entgegenkommen. Das viel größere Problem ist da eher die parteipolitische Einmischung. Reithofer: „Das Anstrengende für uns im Suchtbereich ist, dass Sucht ein Thema ist, wo es in der Bevölkerung sehr wenig Wissen gibt. Und eine sehr hohe Emotion. Das ist wiederum der perfekte Spielboden für Populismus jeder Art. Und das ist für Betroffene, Suchthilfe aber auch Anrainer sehr schwierig, wenn man dann zum Vorwahlkampf-Spielball wird.“
Es geht gar nicht um die Drogen
Auch die Sorge um Kindergärten oder Schulen lässt er nicht gelten, bei einer anderen, größeren Einrichtung ist eben erst ein Kindergarten in die Nähe gezogen.
Das alles beeindruckt die Aktivisten wenig, sie sind vor allem enttäuscht, dass die Politik „über die drüber gefahren ist“. So meint deren Sprecher gar: „Ich glaube, es geht auch gar nicht darum, dass hier ein Drogenzentrum aufsperrt – wenn jemand in ihrer Umgebung eine Autobahn, ein Bordell oder eben ein Zentrum aufsperrt, und das alles heimlich macht, damit sich niemand aufregt – kann das keine Grundlage sein.“
Und dann überrascht mich Herr Dekkers auch noch mit einer Haltung zur Drogenpolitik, mit der wohl auch nicht jeder gerechnet hätte. Denn erstens hält er, wie etliche andere Demonstranten, sogenannte „Konsumräume“ (also Räume zum Spritzen der Drogen) für einen gangbaren Weg. Und dann meint er auf meine Frage ob all die Probleme nicht erst durch die Prohibition von Drogen entstehen: „Bin ich auch dafür, ja. Ich glaube, dass wir dann keine Mafia und ein geringeres Steuerproblem hätten.“
Don't judge a book by its cover
Der Spruch „don't judge a book by its cover” sollte also vielleicht am besten universal gelten – für die Klienten des neuen Suchthilfezentrums am Alsergrund, aber auch für dessen besorgte Kritiker.