Erstellt am: 13. 11. 2014 - 11:30 Uhr
Irmina
Ein Glücksfall für eine Autorin: Sie findet eine Schachtel mit alten Briefen, Tagebucheinträgen und Notizen im Nachlass der Großmutter. Die deutsche Autorin und Zeichnerin Barbara Yelin kombiniert diesen Fund mit den von der Großmutter gehörten Geschichten und nimmt dies als fragmentarisches Ausgangsmaterial, als Inspiration für den gezeichneten Roman "Irmina".
Barbara Yelin
"Es ist die Geschichte einer Frau in der Zeit des Nationalsozialismus, die inspiriert ist von der Biographie meiner Großmutter. Keine Biographie und kein Sachbuch – ein gezeichneter Roman", erklärt Barbara Yelin im Interview.
In dessen Mittelpunkt steht Irmina, eine junge, mutige und ehrgeizige Frau, die in London Fremdsprachensekretärin lernt. Aber schon bald wird die junge Deutsche von ihrem Umfeld gemieden. Weniger, weil sie die Klassenbeste ist, als vielmehr, weil sie aus Deutschland kommt, dem Land in dem Hitler regiert und die Nationalsozialisten immer mehr Macht bekommen.
Wir schreiben das Jahr 1934. Irmina distanziert sich vergeblich von den Vorfällen in Deutschland. Bei einer Party lernt sie Howard kennen, einen farbigen Oxfordstipendiaten aus der Karibik. Die beiden einsamen Außenseiter kommen sich näher, verlieben sich. Irmina muss aus finanziellen Gründen wieder nach Deutschland, verspricht aber, bald wieder zurück zu kehren.
Repdorukt/Barbara Yelin
Um Geld zu verdienen, arbeitet Irmina im Reichskriegsministerium. Es wird ihr eine Versetzung nach London versprochen. Zu der kommt es allerdings nicht. Howard ist mittlerweile umgezogen - der Kontakt bricht unglücklich ab. Irmina gibt auf, lernt einen jungen ehrgeizigen Architekten kennen und heiratet ihn. Die Nazisympathien ihres Mannes ignoriert sie anfangs. Schon bald aber passt sie sich an, schwimmt auch sie mit der braunen Masse.
Für Barbara Yelin stellt sich hier die Kernfrage: "Wie kann es passieren, dass eine junge Frau, die so viel Freiheit wollte und so viel Power hatte, die sich in England verliebt hat, dass die zurück geht und (...), sich an die Seite eines aufstrebenden Naziarchitekten stellt. Und ihre Wünsche von damals ganz in den Dienst stellt, dass sie an der Seite des Mannes was wird. Und für den Drang, dass sie was werden will, ihre Überzeugung verrät."
Barbara Yelin bei der Buch Wien:
- Donnerstag, 13.11. um 20:00h im Phil
- Freitag, 14.11. um 11:45h auf der FM4 Bühne
Barbara Yelin gibt weder Erklärungen ab, noch verurteilt sie die Protagonistin. Darin liegt eine besondere Qualität der Graphic Novel. Und auch in ihrem Erzählstil: routiniert nützt sie die Mittel des Comics, wechselt geschickt die Perspektiven und zeichnet, was schwer beschreibbar ist oder was nicht gesagt wird. Denn häufig dominiert das Schweigen.
Bemerkenswert sind auch die lebendigen Abbildungen. Barbara Yelin hat intensiv über das Alltagsleben in den 30er Jahren sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien recherchiert. Ob Kleidung, Mobiliar oder Straßenszenen – Barbara Yelin hat bei ihren Zeichnungen großen Wert auf Details gelegt. Unterstützt wurde sie bei inhaltlichen Fragen vom Historiker Alexander Korb, der unter anderem die nationalsozialistische Gewalt und die Reaktion der Bevölkerung auf diese erforscht.
Im Nachwort analysiert Korb das Verhalten Irminas und fügt es in den Kontext aktueller Forschungsergebnisse.
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Auf über 270 Seiten erzählt "Irmina" mitreißend und spannend die Geschichte von der jungen Freiheitsliebenden über die Mitläuferin und Mittäterin zur einsamen alten Frau. Es gibt etliche spannende Wendungen und immer wieder stellt sich die Frage: "Was wäre gewesen, wenn ...?"
"Irmina" ist nicht nur schlau und lehrreich, sondern auch unterhaltsam und daher absolut lesenswert.