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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

10. 11. 2014 - 17:17

Zum Geburtstag Klassentreffen bzw. Familienfeier

Das deutsche Elektronik-Duo Mouse on Mars feiert seinen 21. Geburtstag. Mit üppiger Doppel-CD, mit Freunden und Weggefährten. Mouse on Mars sind unser Artist of the Week.

Artist Of The Week

Musikempfehlungen aus der FM4 Redaktion

Aus gegebenem Anlass darf ein Act, der den schon im eigenen Projektnamen manifestierten Wunsch nach Zukunftsforschung an den äußeren Rändern unserer Wahrnehmung seit Jahr und Tag in seiner Musik eindrucksvoll hörbar macht und erfüllt, ausnahmsweise auch einmal in der eigenen Vergangenheit bohren.

Und sich ein bisschen selbst feiern. Das deutsche Elektronik-Duo Mouse on Mars ist dieses Jahr 21 Jahre alt geworden und schenkt sich und der Welt zu diesem wichtigen Lebenseinschnitt einen dicken Kuchen. Zwar haben die Herren Andi Toma und Jan St. Werner in den eigenen Archiven gestöbert, nachgehört und ausgemistet, weil man ja aber die eigene Musealisierung nicht über die Maßen vorantreiben und nicht ständig im Gestern leben will, bringt der unrunde Geburtstag vor allem eine Doppel-CD bzw. ein Box-Set mit neuem, exklusivem Material von Mouse on Mars. In Zusammenarbeit und musikalischem Austausch mit langjährigen Freunden und Weggefährten ist so die Platte namens "21 Again" entstanden: Ein gehöriges Potpourri voller komischer Ideen.

Mouse on Mars

Mouse on Mars

Jan St. Werner, Andi Toma

Der Einfluss von Mouse on Mars auf den Lauf der Musik in den letzten zwei Jahrzehnten ist schwer zu überschätzen: St. Werner und Toma haben den Krautrock von der legendären Achse Düsseldorf-Köln in funky stolpernde Elektronika übersetzt, die mancherorts sicher gerne unter dem Label "Intelligent Dance Music" geführt wird, neben der Intelligenz aber eben immer auch Platz hat für Quatsch und Schabernack. "Mouse on Mars" ist nicht zuletzt auch der Name eines Cartoons.

Die Musik von Mouse on Mars ist schlau gebaut, anspielungsreich und vertrackt, lebt aber immer auch von einer Naivität und Unmittelbarkeit. Mouse on Mars haben den Jungle seines Aggressionspotenzials beraubt und ihn als quietschvergnügte Spielzeugmusik inszeniert. Sie haben Dub mit Exotika und freundlich bimmelnder Loungemusik gekoppelt. Zwischen Ambient Music, putziger Wald- und Wiesen-Elektronik, digitalem Krach, schief aus der Bahn schlitterndem Dubstep und Bass Musik verschlungene Verbindungslinien installiert. Dabei haben sie immer wie Mouse on Mars geklungen.

Mouse on Mars Cover

Monkeytown

"21 Again" von Mouse on Mars ist bei Monkeytown erschienen.

Je nach Zählart, ob man nun eine Live-Album oder ein Mini-Album mitrechnen möchte oder nicht, ist "21 Again" so ziemlich genau das schon dreizehnte Album von Mouse on Mars. Viele, viele Kolleginnen und Kollegen sind gekommen, um hierfür gemeinschaftlich mit und für Mouse on Mars neue Musik zu ertüfteln. 23 Kollaborationen gibt es auf "21 Again" zu hören, dazwischen schicken Menschen wie Mark E. Smith von The Fall, DJ Scotch Egg, Prefuse 73 oder Antje Greie und Vladislav Delay in Form von Interludes kurze Wortwidmungen, Geburtstagsgrüße oder kleine musikalische Vignetten Richtung Mouse on Mars. Das Ergebnis ist ein wild wucherndes Biotop; das passt alles nicht so recht zueinander und ganz genau so passt es.

Gemeinsam mit Tortoise erwecken Mouse on Mars ein weich flackerndes Stück zum Leben, das wieder einmal die Zusammenhänge zwischen Kraut, Postrock und Labor-Elektronik neu ausleuchtet, zusammen mit Modeselektor und den Puppetmastaz wird schrill überdrehter Krawall-HipHop für den Club abgefeuert, inklusive alberner Stimmverfremdung. Mit den Junior Boys haben Mouse on Mars einen R'n'B-Schmachter gegossen, mit Eric D. Clark of Whirlpool Productions Fame einen Disco-Hit, mit Laetitia Sadier von Stereolab bauen sie einen polkadot-melancholischen 60ies-Pop-Song, der dem oft öden Wort "Easy Listening" würdigen Glanz verleiht.

Davor, dazwischen und danach: Minimalistisches Geklackere und Geblubber, Clicks'n'Cuts, grobe Sandkörner, lateinamerikanische Musiken, Digital-Folklore, Rascheln, Rauschen. Matthew Herbert, Funkstörung, Schlammpeitziger, Machinedrum, Atom TM, Siriusmo, Oval. Nicht alles hier ist Hit und "21 Again" scheint sich auch gar nicht zu mühen, unbedingt ein großes Meisterwerk, gar ein Vermächtnis stemmen zu müssen. Es ist ein Familienalbum mit merkwürdigen Soundeinfällen, echten Liedern, sensationell die Treppe hinuntertorkelnden Beats und einigem Skizzenhaften, mit Zerfasertem, mit Absicht Rudimentärem und in Auflösung Befindlichem.

So entsteht ein zuckendes Wimmelbild, in dem gar nicht mehr genau auszumachen ist, wie Mouse on Mars hier mit wem in Beziehung stehen. Es ist ein fließender Entwurf, in dem Einheit signalisiert wird. Wer hier nämlich was zu den einzelnen Tracks beigesteuert hat, ist oft nur schwer auszumachen: Wurde hier tatsächlich gemeinsam "musiziert"? Wurden nur Files hin- und hergeschickt? Hat die eine Partei bloß mit vorgegebenen Parts der anderen jongliert? Haben wir es mit Remixen zu tun? Wie immer wird alles dazwischen und mehr der Wahrheit entsprechen. Es ist Musik, die eben nicht den eigenen Geniekult betreibt, sondern eine abenteuerliche Welt, vielleicht gar eine Philosophie abbildet. Eine weirde Musik ist möglich, Mouse on Mars verwalten nicht das Alter, sondern sind wieder, nach wie vor, jung.