Erstellt am: 15. 11. 2014 - 03:07 Uhr
Schwedisches Spielewunder
Mehr Videospielkultur auf
fm4.ORF.at/games
Wenn von Mobile Games die Rede ist, fletschen "echte Gamer" gewohnheitsmäßig verächtlich die Zähne. Der Erfolg des wuchernden Mobile Gamings wird gerne für einen vermeintlichen Niedergang des Spielens verantwortlich gemacht. Dabei ist Mobile Games etwas geradezu Spektakuläres gelungen: Fast jeder besitzt heutzutage selbstverständlich ein Spielgerät - nie war die Einstiegshürde ins digitale Spiel so niedrig wie heute. Und zunehmend verwandeln Pioniere mit frischen Ideen die Besonderheiten dieser auf den ersten Blick eingeschränkten Plattformen zu ganz neuen Spielideen.
Simogo
Aus Malmö auf die große Bühne
Zu sagen, dass das schwedische Duo Simogo Spezialist für originelle Mobile-Spiele ist, ist eine sträfliche Untertreibung. Simon Flesser und Magnus "Gordon" Gardebäck aus dem südschwedischen Malmö beweisen seit einiger Zeit mit jedem neuen Spiel nicht nur, dass Mobile Games viel mehr sein können als suchtfördernder Zeitvertreib ohne Anspruch, sondern sie reizen wie wenige andere Spielemacher die Grenzen ihrer Spielgeräte und ihres Mediums aus. Mit "The Sailor's Dream" ist aktuell ihr sechstes Spiel erschienen, doch auch die Vorgänger sind eine Würdigung wert.
Vorsicht, Text: Über "Year Walk" habe ich gemeinsam mit dem Schweizer Kollegen Christof Zurschmitten bereits 2013 einige tausend Worte in einem Briefwechsel verloren.
Mit "Kosmo Spin", "The Bumpy Road" und "Beat Sneak Bandit" (2010, 2011, 2012 iOS) begann das Werk der Schweden relativ konventionell, doch schon "Year Walk" (iOS, Windows 2013) zeigte, dass Simogo mehr vorhaben. Das atmosphärische Puzzle-Adventure spielte gekonnt mit Motiven schwedischer Folklore, cleverem Meta-Gameplay und den ganz speziellen Eigenheiten der Touchscreen-Bedienung. In manchen Rätseln muss man Elemente gegen den Widerstand des Screens förmlich ins Bild zerren und die kostenlose "Companion App" versteckt als "Easter Egg" eine komplette Metastory, die sich ins eigentliche Spiel rückkoppelt. Das mit hohem Kritikerlob überschüttete Spiel zeigte vor allem eins: Spiele auf mobilen Plattformen müssen die Paradigmen der traditionellen Spielgeräte nicht übernehmen, sondern können mit etwas anderem punkten - zum Beispiel mit der Intimität, die ein nahe bei uns liegendes, durch Berührungen gesteuertes Spielgerät ausmacht.
Simogo
Ist das noch ein Spiel?
Nach diesem Achtungserfolg traf auch das darauf folgende "Device 6" (2013, iOS) einen Nerv. Das stylische, mit hinreißender Sixties-Optik und Sixties-Sound ausgestattete typografische Adventure mit mysteriös-surrealer Thrillerhandlung ging noch einen Schritt weiter und verstrickte seine Spieler in ein Abenteuer, das tatsächlich buchstäblich auf dem Touch-Bildschirm stattfand. Wie ein absurd metastasierendes Ebook führte das minimalistische Leseabenteuer seine Spieler durch viel Text und noch mehr originelle Ideen - manche euphorische Kritiker sahen in dem Experiment gar eine potenzielle revolutionäre Zukunft des Lesens realisiert.
Natürlich schlägt bei Experimenten dieser Art die Games-Polizei Alarm: Ist so etwas noch ein Spiel? Der innovationshungrigen Kritikerschaft war das Fehlen von Gegnern, traditionellem Gameplay und anderen klassischen Spielelementen allerdings egal: "Device 6" gewann heuer beim IGF einen Award für "Excellence in Audio Design", einen "Apple Design Award", einen "Best App Ever Award" von Pocket Gamer sowie verschiedene Nominierungen für die BAFTA Games Awards.
Interactive Experience vs. Games
Auch das soeben veröffentlichte "The Sailor's Dream" verzichtet auf klassisches Gameplay und geht sogar noch einen Schritt weiter: Während in "Year Walk" und "Device 6" zumindest in Puzzles teils knifflige spielerische Herausforderungen warteten, versetzt uns das neue Werk von Simogo durch unsere Touchscreens an einen atmosphärischen Ort, den wir traumgleich durchwandern und Stück für Stück erforschen können. Die Hauptrolle spielt dabei wieder, wie in "Year Walk" und "Device 6", die Story - und es ist höchst originell, wie diese "Leseerfahrung" durch Interaktivität und nicht zuletzt einen fantastisch atmosphärischen Soundtrack bereichert wird.
"The Sailor's Dream" ist vor kurzem für iOS (iPhone, iPod touch, iPad) erschienen; auch "Year Walk" und "Device 6" - beide mit mehr Gameplay-Elementen ausgestattet - sind nach wie vor jedermann uneingeschränkt zu empfehlen.
"The Sailor's Dream" ist seinen Machern zufolge eine "challenge-free experience", doch das bedeutet nicht, dass die Entdeckung und Erforschung seiner Welt nicht spannend und unterhaltsam ist. Simogo geht jenen Weg weiter, den innovative Spiele wie "Dear Esther", "Gone Home" oder auch "Journey" mit großem Erfolg vorangegangen sind: Spiele als Orte zu interpretieren, deren Erforschung und oft nur Durchquerung die Geschichte im Spieler selbst erst entstehen lässt.
"The Sailor's Dream" arbeitet weiter an Simogos mutigem Projekt, eigensinnig ein anderes Spielen voranzutreiben, das sowohl Spielern als auch jenen, die mit dem Medium bislang nichts anfangen konnten, wärmstens ans Herz gelegt werden kann. Wer sowohl auf Schubladen als auch (ausnahmsweise!) auf die Reflexe oder klassische Hirnakrobatik forderndes Gameplay verzichten kann, wird von diesem schwedischen Spielewunder aus Malmö an einen faszinierenden Ort geführt - und der Touchscreen wird zum Fenster dorthin.