Erstellt am: 12. 11. 2014 - 16:00 Uhr
Kellerkind, neugeboren
Ed McMillen
Unterirdische Gewölbe, in denen man schreckliche Ungeheuer bekämpft, sind in Computerspielen eigentlich alltäglich. Wenn man in diesen Kerkern allerdings mit einem nackten Kind unterwegs ist, das mit seinen Tränen gegen mutierte Kothaufen, Schmeißfliegen, seine ungeborenen Geschwisterchen und die religiös fanatische Mutter kämpft, ist das schon etwas ganz Besonderes. "The Binding of Isaac" entführt seit bereits drei Jahren seine Spieler in einen niedlich grotesken Albtraum, in dem schlechter Geschmack und Grenzüberschreitung Programm sind. Das kleine, gemeine Kultspiel des Indie-Entwicklers Ed McMillen fesselt seit 2011 Spielerinnen und Spieler an die Bildschirme. Jetzt ist mit "The Binding of Isaac: Rebirth" sozusagen die definitive Version des Titels erschienen.
Schon die Ausgangssituation ist ziemlich speziell: Der kleine Isaac wird von seiner Mutter in den Keller unter dem Haus gesperrt, weil ihr das göttliche Stimmen aus dem Religions-TV befohlen haben. Der Weg in die Freiheit führt das kleine Cartoon-Kind immer weiter nach unten, wo nicht nur bösartige Monster lauern, sondern wir uns auch nach und nach mit bizarren Power-ups und Mutationen ausrüsten können, um im Kampf zu bestehen.
Schwarz und schwärzer
"The Binding of Isaac: Rebirth" ist für Windows, Mac, Linux und PS4/PS Vita erschienen.
McMillens dunkler Humor, aber auch seine ungesunde Faszination für das Ekelhafte ziehen sich durch das ganze Spiel. Die Geschmacklosigkeit als Programm bleibt nur durch den naiv-heiteren Comic-Stil erträglich und beschreitet den schmalen Grat zwischen Ekel und morbider Faszination. "The Binding of Isaac" zeigt in gewisser Weise die Albtraumwelt eines misshandelten Kindes; im Unterschied aber etwa zu "American McGee's Alice" bleibt in Isaacs Welt allerdings kein Platz für Subtilitäten.
"The Binding of Isaac" ist zwar im Kern ein rasanter und nicht selten gnadenloser Twin-Stick-Shooter, zählt aber zu den "Rogue-likes", in denen zufallsgenerierte Levels, eine absurde Anzahl an möglichen Gegenständen und sprichwörtliche Härte jedes neue Spiel zur Herausforderung werden lassen. Gemeinsam mit "Spelunky", "Rogue Legacy" und "FTL" kann man die bizarre Saga um das Kellerkind durchaus zu jenen Titeln zählen, die in den letzten Jahren das ehemals obskure Nischengenre mit dem endlosen Wiederspielwert populär gemacht haben.
Ed McMillen
Kunst? Hardcore!
Nicht alles ist neu besser: So muss absurderweise der jetzt verpixelter wirkende Stil des Remakes als nur halb gelungen bezeichnet werden. Dafür fühlt sich die Steuerung jetzt endlich grundsolide an, und - oh Freude - auch Gamepads dürfen endlich zum Einsatz kommen.
"Rebirth" ist in gewisser Weise tatsächlich eine Wiedergeburt und keine Fortsetzung. Weil das Originalspiel mit seiner wackelig gewordenen Flash-Engine nicht weiterentwickelt werden konnte, hat Ed McMillen seinen Titel quasi auf neue Beine gestellt und von Grund auf neu programmiert. Das jetzt erschienene Remake ist deshalb so etwas wie die ultimative Version des bizarren Kultspiels geworden und ist so auch für Kenner des Originals empfehlenswert. Viele neue Gegenstände, Gegner und sogar Leveldesigns lassen dem Spiel seinen schon legendären schwarzen Humor und bieten gleichzeitig mehr als zuvor.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Edmund McMillen produziert keine "Art Games", wenn damit, wie im Fall von Jason Rohrer oder Tale of Tales, die mehr oder weniger poetisch-abstrakte Umkreisung eines Themas im Medium Games gemeint ist. "The Binding of Isaac" ist bei allem Überbau, bei aller Möglichkeit zur Auslegung und bei aller künstlerischen Konsequenz genau wie McMillens "Super Meat Boy" ein Vollblut-Spiel (auch) für die Hardcore-Zielgruppe, mit Oberbossen, Geheimräumen, freispielbaren Gegenständen und einem eigenen Strategie-Wiki; es ist zuallererst ein Spiel und legt seine Themen mit den Mitteln des Mediums aus.
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Genau das macht die Arbeiten McMillens auch so interessant - vorausgesetzt, man ist provokationsresistent und hat Spaß am kalkuliert schlechten Geschmack.