Erstellt am: 10. 11. 2014 - 14:03 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 10-11-14.
The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.
#machtpolitik #demokratiepolitik
Teil 1
25 Jahre sind eine kurze Zeit, meint Jan Josef Liefers (der als 25-jähriger 5 Tage vor dem Mauerfall eine legendäre Rede am Alexanderplatz hielt) - nicht für ihn als Person, sondern das finale Geschichtsbild der damals untergegangenen DDR. Das sollte noch nicht vorschnell getrocknet werden, sondern feucht, veränderbar bleiben dürfen, um ein nuancierteres Bild abgeben zu können.
25 Jahre sind in der Tat kurz, wenn es um Aufarbeitung von allzu lange existenten und von einer Mehrheit getragenen Unrecht geht. Trotz des (durch die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts) gesicherten Wissens darüber, wie es funktionieren kann und wo die Fallstricke liegen.
In 25 Jahren haben es die Nachfolgeorganisationen der alten DDR-Einheitspartei SED (einem mit umfassender Macht und diktatorisch Durchgriffsrechten ausgestatteten Regime), hat es die PDS ebenso wie Die Linke verabsäumt sich mit klaren Bekenntnissen von den Untaten der Vergangenheit loszusagen. Stattdessen gab es eine Herrschaft der schwammigen Formulierung, die eine unmögliche Balance zwischen den Opfern und Tätern, zwischen ins-Exil-Gedrängten und den üblichen Es-war-nicht-alles-schlecht-Verdrängern suchte.
Letzten Freitag konnte sich eines der Opfer, der diffamierte, gequälte, vertriebene Widerständler Wolf Biermann nicht zurückhalten und gab Der Linken live im Bundestag Saures.
Am Wochenende rang sich die Partei dann zu einer vergleichsweise klaren Stellungnahme durch und nahm den zentralen Symbol-Begriff, den des Unrechtsstaats auf; ein Terminus, den man bis dorthin immer wieder mit feigen Einschränkungen umschifft hatte.
Um beim Bild des noch trocknenden Bildes zu bleiben: das Lavieren hatte auch einen entsprechenden Hintergrund. Diese verbale Fixierung, diese Festlegung ist eine heikle Sache. Denn - theoretisch, legistisch - herrschte auch in der DDR ein zumindest partiell demokratischer Rechtsstaat. Und: letztlich ist jeder Staat, der verfassungsmäßige Rechte missachtet ein Unrechtsstaat - und da kommen auch westliche Demokratien schon mal ins Rutschen. Es bedarf keiner allzu großen Spitzfindigkeit, um auch Deutschland oder Österreich (angesichts einzelner, aber klarer Vergehen) den Unrechtsstaat vorwerfen zu können.
Insofern ist eine allzu populistisch-vorschnelle und vor allem exklusive Verwendung des Begriffs "Unrechts-Staat" problematisch. Vor allem, weil es nach der Aufarbeitung des Nationalsozialismus nie einen derartigen Eifer gegeben hatte, das zwischen 33 und 45 begangene Unrecht in gleicher Weise aufzuarbeiten. Auch weil - rein personell - deutlich bruchloser vorgegangen wurde: Nazi-Richter, Nazi-Offiziere, Nazi-Schreibtischtäter, Nazi-Politiker blieben in einer erschreckenden Vielzahl in ihren Ämtern. Wenn sie den "Unrechtsstaat" quasi exklusiv über die alte DDR stülpt, macht sich die alte BRD, macht sich das neue Deutschland im Umkehrschluss zum Hort des vorbildlichen Rechtsstaats; was sie/es nicht war/ist.
Es galt nun abzuwägen, was bedeutender ist: ein heuchlerisches Geschichtsbild, das (in politischer Absicht) eindeutiger und exklusiver als es ihm zustehen würde, Unrecht zuweist oder die Befriedung der Opfer. Die noch junge Bundesrepublik entschied sich einst für die (im schnellen Kalten Krieg nötigen) Strukturen und gegen die Opfer. Die erfahrene Bundesrepublik entscheidet sich nun für die Opfer und gegen ein nuanciertes Geschichtsbild (und gegen Selbstkritik).
Andererseits: um an den 40 Jahren DDR allzu viel Nachweinenswertes zu finden, muss man schon ein wirklicher System-Profiteur gewesen sein. Das bisschen mehr an sexueller Freiheit, der etwas geringere Spießerfaktor wurde durch die flächendeckende Überwachung und die deterministische Unterdrückung aufgehoben; die wenigen Biotope des Besonderen waren nicht mehr als mit-Ablaufdatum-geduldete Nischen, Schein-Fluchten wie aus 1984.
Es ist also kompliziert; und eben erst 25 Jahre her.
Liefers ist heute doppelt so alt, sein damaliger Mit-Redner Gregor Gysi Aushängeschild der Nachfolgepartei der Nachfolgepartei und somit mittendrin in der Verantwortungs-Diskussion; die auch einen ganz banal machtpolitischen Hintergrund hat.
Es geht um die anstehende Koalition zwischen SPD, Grünen und der (von einem Wessi geführten) Linken in Thüringen; es geht um den massiven politischen, auch medialen Gegenwind, um ganz unverhohlene Meinungsmache (etwa hier im Kommentar ab 8 Minuten, es geht wieder einmal um die eigenwillige Instrumentalisierung der Mainstream-Medien.
Für den österreichischen Beobachter ist das eine in ihrer Komplexität als Anschauungs-Unterricht dienliche Debatte. Und es fällt auch ein Detail auf. Bei allen Definitions- und Rückzugs-Gefechten der Nachfolgepartei der Nachfolgepartei herrscht eine große Ernsthaftigkeit. es gibt kein kumpanistisches Augenzwinkern mit den Ewiggestrigen, die immer noch alles mit dem ostalgischen Blick anstarren. Gut, man könnte jetzt einwenden, dass das nicht notwendig ist, weil die DDR-Nachwinsler eh keine andere Möglichkeit der politischen Einflussnahme haben als die Linke zu wählen. Aber das ist, wie Teil 2 zeigen wird, nicht der Punkt.
In jedem Fall befindet sich Die Linke in einer entscheidenden Phase ihrer Ausbildung zu einer wahrhaft demokratischen Partei. Und es besteht noch Hoffnung.
Teil 2
Auch die FPÖ ist die Nachfolgepartei einer Nachfolgepartei, wenn auch einer implizierten. Im Gründungs-Trümmerjahr '45, bei den ersten freien Wahlen waren ehemalige NSdAP-Mitglieder nicht wahlberechtigt - weshalb die WdU, später VdU erst für die Wahlen '49 entstand (wo man gleich über 11% erzielte). Und 25 Jahre nach dem Ende des Nazi-Regimes, als die FPÖ die neue Kreisky-Regierung stützte, wurde sie von einem ehemaligen Waffen-SS-Obersturmführer geführt.
Die österreichische Lebenslüge als erstes Opfer des Nazismus enthob die nationale Partei damals allen Notwendigkeiten einer klaren Abgrenzung zum Unrechtsstaat der Nazis. Und genau deshalb war es möglich mit deutschtümelnden Phrasen, kaum versteckten und unverhohlenen Bezügen an jeglicher Aufarbeitung vorbei den Pool der Nazi-Nachwinsler anzuzapfen. Samt kumpanistisches Augenzwinkern mit den Ewiggestrigen, die immer noch alles mit dem führerverklärtem Blick anstarren.
Und auch 50 oder jetzt gar bald 70 Jahre nach 1945 findet sich weder eine deutliche Stellungnahme zur NS-Vergangenheit noch eine Distanzierung vom Unrechtsstaat der Nazis und vor allem kaum eine praxisnahe Verdeutlichung dieser Sonntagsreden-Haltung.
Ganz abgesehen von rein personeller Nähe zu Neonazi-Organisationen, Wehrsportverbänden und anderen Vorfeldern verehrt man öffentlichkeitswirksam Kriegsverbrecher, findet immer wieder etwas, was damals nicht so schlecht war und bedient sich immer wieder (und ganz bewusst) der Diktion einer Zeit, der man offiziell entwachsen sein möchte.
Es sind nicht nur (wie bei der Linken auch) die kleinen Funktionäre an der Basis, die sich mit ihren Verherrlichungen alter Themen und der Verwendung nazistischer Terminologie nicht zurückhalten können, es sind auch die regionalen Parteispitzen die ihren Sprechdurchfall dann auch mit Deckung der für ihre Dichtkunst bekannten Zentrale unternehmen müssen.
Der Unterschied zur Linken und deren Schwierigkeiten sich den Schatten der Vorvorgänger zu entziehen ist zum einen der, dass man glaubt sich mit den in Kreisen der ideologisch eindeutig punzierten (und nicht resozialisierbaren) Anhänger gut ankommenden Sprüchen brüsten zu müssen.
Zum anderen liegt er in den Jahren.
Nach 25 Jahren ist das Bild der DDR noch nicht trocken, da hat Liefers einfach recht. Wer 70 Jahre nach der industriell abgeführten Pervertierung von Rassismus und Xenophobie immer noch verbissen darum kämpft, seine Mit-Welt in Über- und Unter-, in Höhlen- und Christen-Menschen unterteilen zu dürfen, der hat sein Recht auf nuancierte Wahrnehmung verspielt.
Die FPÖ hat ihre (immer schon schleppend gelaufene) Ausbildung zu einer Partei, die nicht nur in ihren Sonntagsreden, sondern auch ihrer politischen Praxis in allen wesentlichen Bereichen (also auch jenen des Menschenrechts) demokratischen Grundsätzen folgt und sich von extremistischen Unter/Obertönen befreit, irgendwann abgebrochen, auf Eis gelegt. Und ich sehe keine große Chance auf eine Wiederaufnahme der Bemühungen.
Zu weit fortgeschritten ist die Aussicht, bald auch im Westen flächendeckende Autokratien nach dem Vorbild des offen bewunderten Putin-Regimes (und der heimlich bewunderten Vorbilder Orban und Erdogan) begrüßen zu dürfen. Und diesen Regimes ist der Sündenbock-Modus, die (gern rassistische) Ausgrenzung eingeschrieben.