Erstellt am: 10. 11. 2014 - 20:36 Uhr
Alles was Recht ist
Österreicher kämpft mit Kurden
Österreicher, die ins Ausland gehen und sich dem selbsternannten "Islamischen Staat" anschließen: Wenn diese Leute zurückkehren - auf welche Weise kann der Gesetzgeber in Österreich den Kampf im Ausland für djihadistische Terrororganisationen momentan ahnden?
Manfred Nowak: Natürlich hat das Strafrechtsgesetz die Möglichkeit, in diesem Fall zu sagen, dass das Österreicher sind, die sich einer terroristischen Organisation angeschlossen und sogar für diese gekämpft haben. Das ist auch dann ein Strafdelikt nach österreichischem Recht, wenn sich die konkrete Handlung im Ausland zugetragen hat. Es ist nach internationalem Strafrecht durchaus möglich, Gesetze zu machen, die nicht nur auf dem Territorium der Republik Österreich gelten, sondern in manchen Fällen auch nach dem aktiven Nationalitätsprinzip, also auch für Verbrechen, die Österreicher im Ausland begehen.
Die Innenministerin will eine Gesetzesnovelle, die allerdings das Staatsbürgerschaftsgesetz betrifft. Damit auch geahndet werden kann, wenn man Kampfverbänden beitritt, die nicht einem fremden Nationalstaat zuzuordnen sind – sodass man diesen Menschen die Staatsbürgerschaft entziehen könnte. Allerdings wäre so eine Bestimmung ja aus völkerrechtlichen Gründen nur auf Doppelstaatsbürger anwendbar. Wieso?
Manfred Nowak: An sich ist es ein traditionelles Prinzip des Staatsbürgerschaftsrechtes, dass Personen, die einer fremden Streitmacht beitreten, die österreichische Staatsangehörigkeit entzogen werden kann – weil man davon ausgeht, dass die damit auch in den Staatsdienst dieses anderen Landes eingetreten sind und daher auch die Staatsbürgerschaft dieses anderen Staates haben. Wenn es aber darum geht, dass sich Österreicher bewaffneten Verbänden eines nicht-staatlichen Akteurs – von Rebellengruppen etc. – anschließen, dann ist damit ja nicht der Genuss einer anderen Staatsbürgerschaft vorgesehen. Wenn die nicht Doppelstaatsbürger sind, dann besteht ein großes Risiko, dass sie staatenlos werden. Hier gibt es wiederum UNO-Konventionen (denen wir auch beigetreten sind) zur Verhinderung der Staatenlosigkeit. In diesem Fall muss man also genau beachten, dass der Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft dann nicht zur Staatenlosigkeit führt.
Wiki/Pstrahl
Wenn die Ministerin schon davon spricht, dass so eine Bestimmung in ihrer Verschärfung dann auch wieder nur auf Doppelstaatsbürger anwendbar wäre: Kann man dann nicht eher von einer Beruhigungsmaßnahme sprechen?
Manfred Nowak: Ich würde auch meinen, dass diese Novelle nicht sehr viel bringen wird. Aber natürlich gibt es auch solche Kämpfer – gerade auch Söldner – die gewohnt sind, im Rahmen ausländischer Streitkräfte zu dienen und möglicherweise dann auch mehrere Staatsangehörigkeiten haben. Für die würde diese Maßnahme zutreffen. Ich nehme aber einmal an, dass das nicht die große Mehrheit von Personen sind, die sich jetzt irgendeiner Rebellengruppe angeschlossen haben.
Im Zuge der Diskussion um den Vormarsch des sogenannten "IS" steht ja auch wieder die in der Türkei und vielen anderen Ländern verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK im Fokus. Die nordsyrischen Kurden, die entlang der Grenze zur Türkei gegen den "IS" kämpfen, gehören zum syrischen de-facto-Ableger der PKK. Manche fordern, die PKK von diversen Terrorlisten zu streichen. Wäre das eine Maßnahme mit diplomatischen und/oder rechtlichen Auswirkungen – wenn man diesen Leuten zum Beispiel als fremder Staat Unterstützung zukommen lassen möchte?
Manfred Nowak: Generell hat sich durch die jetzige Situation im Irak, aber auch in Syrien – Stichwort Kobane – natürlich im Hinblick auf die Kurdenpolitik einiges verändert. Die Kurden sind ja ein Volk, das in vier Staaten (Iran, Irak, Syrien, Türkei) wohnt, aber keinen Mutterstaat hat und daher natürlich immer schon für einen eigenen Staat gekämpft hat – was ja von allen vier Staaten, aber insbesondere von der Türkei gegenüber der PKK immer massiv bekämpft wurde. Jetzt verändert sich da einiges, weil ja zum Beispiel auch schon die Türkei eng mit den Peschmerga und generell mit den Kurdenorganisationen im Norden des Irak (unter Barzani) kooperiert, die ja auch Öl in die Türkei importieren usw.
Die Peschmerga-Kämpfer wurden ja sogar durch die Türkei durchgelassen, um Kobane mitverteidigen zu können. Ein bisschen hat die türkische Regierung hier glaube ich das Kalkül gehabt, dass die (die nordsyrischen PKK-nahen YPG-Einheiten und irakische Peschmerga-Kämpfer, Anm.) dann gegeneinander arbeiten werden und eigentlich haben die gezeigt, dass sie sehr miteinander arbeiten. Ich würde von Seiten Österreichs oder auch anderer Staaten im Moment sehr aufpassen, zu sagen, "manche Kurdenorganisationen sind terroristische, andere sind nicht-terroristische". Das heißt, ich würde auch sehr aufpassen, zu sagen, "wenn sich jemand jetzt konkret in Syrien einer Kurdenorganisation anschließt, die die Stadt Kobane oder auch andere Städte gegen den Islamischen Staat verteidigen, ist das auch Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung". Das muss man glaube ich sehr genau überdenken.
The US Army
Beim "Islamischen Staat" besteht überhaupt keine Frage: das sind Djihadisten, das ist eine extrem fundamentalistische und terroristische Organisation – wo ja auch die internationale Staatengemeinschaft derzeit durch Luftschläge usw. daran beteiligt ist, diese zu bekämpfen, weil sie derzeit die größte Gefahr in der gesamten Region (nämlich nicht nur in Syrien, sondern auch im Irak und wahrscheinlich darüber hinaus, Libanon usw.) darstellen. Aber man darf jetzt nicht das Kind mit dem Bad ausschütten und sagen, "aber alle anderen Organisationen sind eigentlich auch terroristisch und wer immer jetzt auf deren Seite aktiv in Kämpfe verwickelt ist, begeht die gleiche terroristische Straftat nach österreichischem Recht. Davor würde ich sehr warnen.
Sehen Sie eigentlich Chancen für das was die Kurden in Kobane seit Wochen fordern – einen humanitären Korridor? Damit die Zivilisten, von denen man mittlerweile wirklich weiß, dass sie noch in der Stadt sind, und verwundete Kämpfer hinauskönnen? Es gibt ja mittlerweile schon Amnesty-Berichte, zig Reportagen und die Aussagen von Menschen, die sagen, dass verletzte Kämpfer je nach Gutdünken hinausgelassen werden oder eben nicht; andere sind an der Grenze verblutet. Denken Sie, dass das noch eine Priorität der USA ist?
Manfred Nowak: Natürlich, das ist überhaupt keine Frage. Es geht darum, zu verhindern, dass der IS die gesamte Stadt Kobane einnimmt und unter seine Kontrolle bringt – mit all den Auswirkungen, die wir bereits im Irak gegenüber den Jesiden und anderen (religiösen) Gruppen gesehen haben. Das wichtigste ist, zu verhindern, dass es dort zu Massakern bis hin zum Völkermord an der kurdischen Bevölkerung kommt, und das geht nur, wenn man den Angriff auf Kobane generell zurückschlägt und die IS-Kämpfer wieder aus der Stadt vertreibt, und solange das nicht gelingt, einen humanitären Korridor eröffnet, wo die Zivilbevölkerung, aber auch verwundete Kämpfer etc. die Stadt in Richtung Türkei verlassen können, um dort in Sicherheit gebracht zu werden. Das ist ein ganz wichtiges Anliegen, und hier gibt es natürlich auch gewisse Verpflichtungen nach internationalem Recht, diesen Menschen zu helfen, die ja wirklich in einer sehr ausweglosen Situation sind.
Es gibt ja nicht nur den terroristischen Kampf im Ausland, sondern auch andere bzw. anders einzuordnende Formen der Beteiligung an Kampfhandlungen im Ausland. Worin besteht aus der rechtlichen und völkerrechtlichen Perspektive der Unterschied zwischen dem Militärdienst für einen fremden Nationalstaat, dem Söldnertum und eben dem freiwilligen Kampf für eine wie auch immer geartete Gruppe?
Manfred Nowak: Das eine ist, wenn ich wirklich in die Armee eines fremden Staates eintrete. Dann verwirke ich meine Staatsangehörigkeit – das ist klassisches Völkerrecht – und trete in einen anderen Staatsdienst ein.
Zweitens gab und gibt es natürlich immer Private, die aus ökonomischen (oder ideologischen) Motiven gesagt haben, "wir wollen nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen beitreten und kämpfen hier als Söldner". Söldner gab es in der Geschichte immer: Leute, die gegen Geld in den Kriegsdienst eingetreten sind – das gibt es bis in die jüngste Vergangenheit – in Afrika etwa, ob in Angola oder in Sierra Leone. Auch in Ex-Jugoslawien gab es viele Söldner auf allen Seiten, auch Österreicher und Deutsche.
Söldnertum ist an sich völkerrechtlich verpönt – es gibt eine eigene Konvention – aber nicht absolut verboten. Söldner haben dann nicht die Vorteile, die Kombattanten, also Kämpfer in einer regulären Armee, haben, etwa, wenn sie gefangen genommen werden etc. In der jüngeren Zeit setzen sich statt Söldnern zunehmend private Militärfirmen durch, denken Sie nur an Blackwater oder CACI: Im Irak waren fast die Hälfte aller Kämpfer auf amerikanischer Seite nicht Militärs sondern private Militärfirmen. Das ist meines Erachtens eine sehr, sehr gefährliche Entwicklung: die Privatisierung des Krieges. Viele haben den Irakkrieg als den wirklich ersten privaten Krieg bezeichnet, weil die Lobbyinginstitutionen dieser privaten Militärfirmen einen sehr starken Einfluss auf den US-Kongress und die Regierung Bush gehabt haben. Dick Cheney als US-Vizepräsident hat hier sehr starke ökonomische Interessen gehabt, weil er im Aufsichtsrat vieler dieser Firmen gesessen ist.
Es gibt auch UNO-Bestrebungen, das zu verbieten bzw. sehr stark einzuschränken (sodass diese privaten Militärfirmen nicht direkt in Kampfhandlungen verwickelt sein dürfen, sondern nur "supportive", unterstützende Funktionen haben dürfen). Hier gibt es viele Entwicklungen, bis hin zum sogenannten Montreux-Prozess, den die westlichen Staaten eher wollen: nicht zu sehr reglementieren, nicht zu sehr verbieten -– was ich bedenklich finde.
Das sind private Firmen, das heißt, die wollen Profite machen und machen ja gerade in Afrika, aber auch in anderen bewaffneten Konflikten, sehr große Profite – in Russland gibt es ich weiß nicht wie viele solcher privaten Militärfirmen.
Dann gibt es drittens Leute, die je nach Konflikt aus weltanschaulichen oder religiösen Gründen auch ohne diesen finanziellen Anreiz sagen, "ich möchte wem immer aus Überzeugung helfen und deswegen gehe ich in diesen Krieg." Der "Islamische Staat" gilt als "die" Jihadisten-Gruppe, aber es gibt auch die Al-Nusra-Front wir kenne das auch schon von vorher von den Taliban und so weiter, die sehr viele Private angezogen haben und zum Teil auch (halb) zwangsrekrutiert haben.
Wenn das wirklich freiwillig und unentgeltlich ist, sind das keine Söldner, sondern eben Kämpfer – dann muss man sich anschauen: Ist das eine verbotene Organisation, vor allem eine terroristische Organisation? Wenn ich dort kämpfe, bin ich Mitglied einer (vor allem auch von der UNO) verbotenen terroristischen Organisation. Wenn ich mich heute Al-Quaida oder den Taliban anschließe, dann begehe ich eine Straftat. Das gleiche gilt für den "Islamischen Staat", aber nicht für jede Rebellengruppe, die irgendwo gegen ein Unterdrückungsregime kämpft. Man muss sehr genau unterscheiden, aus welchen Gründen und welcher Organisation ich mich konkret anschließe. Nicht alles ist hier strafrechtlich relevant.
DVIDSHUB
Weil sie kurz auf die Privatisierung des Gewaltmonopols in globalisierten Zeiten gekommen sind – wo es oft um ökonomische Interessen im Ausland geht: Könnte man das als spiegelbildliche Entwicklung zum wachsenden Misstrauen oder sogar Legitimationsverlust der repräsentativen Demokratie in den Augen vieler Menschen sehen – sozusagen als Begleiteffekt von jenem Phänomen, das manche Politologen als "Postdemokratie" bezeichnen?
Manfred Nowak: Völlig richtig. Es ist der Neoliberalismus, wie er sich in den Achtziger Jahren unter Margaret Thatcher und Reagan zum ersten Mal wirklich massiv entwickelt hat. Der Washington Consensus 1989 für Weltbank und Internationalen Währungsfonds hat sehr stark zu einer Privatisierung und Deregulierung vieler Märkte – auch der Finanzmärkte – geführt, aber auch zu einer Entstaatlichung. Viele Funktionen wurden durch Privatisierung ausgelagert, auch in Österreich: Gerade unter der Regierung Schüssel (aber auch schon vorher) wurde unendlich viel privatisiert – wobei man aufpassen muss: in vielen Bereichen ist das durchaus gerechtfertigt.
Aber wenn es um die Kernfunktionen des Staates geht, wird es gefährlich. Auch der Österreichische Verfassungsgerichtshof hat schon gesagt: die innere und die äußere Sicherheit sind Kernfunktionen des Staates. Man kann also nicht einfach kommen und sagen, "die Polizei, die Gefängnisse werden privatisiert und das Militär privatisieren wir auch gleich". Hier gibt es nach österreichischem Verfassungsverständnis eine klare Grenze, aber in anderen Staaten – in den USA und in Großbritannien zum Beispiel – sind heute viele Gefängnisse privatisiert. Leider beginnt das auch schon in Österreich: wenn das Innenministerium heute eine Schubhafteinrichtung in Vordernberg an G4S (die weltweit größte Sicherheitsfirma) outsourct, wie das so schön heißt, also delegiert, und dort dann nur mehr ein paar Polizisten hat, ist das eine falsche Entwicklung, weil sie eben in Richtung der Auflösung des Gewaltmonopols führt.
Was sind die Konsequenzen, wenn ich die Polizei zunehmend privatisiere? Dass sich dann die Bürger selbst bewaffnen und verteidigen. Sie sehen ja auch schon, wenn Sie zum Beispiel in die Wiener Innenstadt schauen, viel mehr privates Sicherheitspersonal, das nicht nur Geschäfte, sondern auch private Häuser bewacht. Das ist eine allmähliche, schleichende Untergrabung des staatlichen Gewaltmonopols, wobei wir sehr aufpassen müssen, denn das ist der Weg in einen fragilen, fehlenden Staat. Als UNO-Sonderberichterstatter für Folter war ich etwa in Papua-Neuguinea, wo eine einzige, dieselbe Sicherheitsfirma (G4S) viermal so viele Sicherheitskräfte hatte wie die gesamte Polizei in diesem Land und sich die Polizei in viele Bereiche überhaupt nicht mehr hineintraut. Damit gibt der Staat aber eine seiner ganz wesentlichen Legitimationsgrundlagen ab – die gehen zurück nicht nur auf Max Weber, sondern eigentlich auf die Gründung des modernen Staates. Das Gewaltmonopol muss beim Staat bleiben, sonst haben wir vorrechtsstaatliche und vorstaatliche Zustände, wo jeder die Durchsetzung des Rechts selbst in die Hand nimmt, mit Blutrache etc. Das sollten wir im 21. Jahrhundert nicht wollen, sondern uns eigentlich darauf stützen, dass es eine Errungenschaft der Zivilisation ist, dass wir funktionierende demokratische Rechtsstaaten haben – aber dann müssen gewisse Funktionen auch staatliche Funktionen bleiben.
Gerade wenn man sich den Ukraine-Konflikt ansieht, wo auch auf Seiten der souveränen Ukraine vielfach Freiwilligen-Bataillons kämpfen, wobei man von außen eigentlich gar nicht mehr genau sagen kann, wer die eigentlich finanziert – muss man sich dann eigentlich nicht sogar auch fürchten: wem gehorchen diese Kommandos in letzter Konsequenz?
Manfred Nowak: Zum Teil ist völlig unklar, wer dahinter steckt. Das sind zum Teil Waffenlobbies, also wirklich "big business". Leute, die Waffen dorthin liefern und sehr viel Geld mit dem Leid anderer machen. Gleichzeitig gibt es auch Gruppen, die für "gute Ziele" kämpfen, aber in Wirklichkeit von transnationalen Konzernen sehr oft wirklich aus Gründen der Profite instrumentalisiert werden. Das ist das, was wir unter dem Stichwort "Privatisierung des Krieges" bezeichnen – sehr gefährliche Tendenzen, weil sie wirklich zum Zerfall der Staatenwelt führen, wie wir sie seit vielen Jahrhunderten aufgebaut haben.
Der Staat kann zur Zeit der Globalisierung natürlich gewisse Funktionen an internationale oder supranationale Organisationen wie die EU (oder etwa an die NATO wie in gewissen Verteidigungsfragen) übertragen. Aber wir sollten sehr aufpassen, nicht allzu viel Macht an transnationale Konzerne – und gerade an die privaten Militär- und Sicherheitsfirmen, die ja vor allem in den USA, in Großbritannien, in Südafrika bzw. in Russland beheimatet sind – zu übertragen. Denn die sind nicht demokratisch legitimiert und nur profitorientiert und wollen daher natürlich auch besonders viele bewaffnete Konflikte, denn daran verdienen sie. Wir haben mit der Satzung der Vereinten Nationen zum ersten Mal ein Gewaltverbot: Das Verbot des Krieges mit nur ganz wenigen Ausnahmen, nämlich Selbstverteidigung bzw. wenn der Sicherheitsrat Gewalt autorisiert. In Wirklichkeit sehen wir aber eine Zunahme an bewaffneten Konflikten, insbesondere nicht-staatliche, die mir sehr große Sorgen machen, und die sehr wohl auch mit der Privatisierung in Zeiten der Globalisierung zu tun haben.
Eine amerikansiche TV-Doku schildert ein Beispiel: Überfall auf einen Konvoi, der von privaten Sicherheitskräften geführt wird. Die sind dort deshalb nicht entsprechend schnell rausgekommen, weil sie die Funkdaten der US Army nicht mitbenützen dürfen.
Manfred Nowak: Ja. Gerade in Bagdad gab es sehr gefährliche Fälle, wo zwar an den wirklichen Kampfhandlungen selbst nur US-Militärs beteiligt waren, aber der gesamte Nachschub von privaten Sicherheitsfirmen organisiert war. Ab einem gewissen Zeitpunkt wurde es gerade im Norden von Bagdad wahnsinnig gefährlich. Das Militär muss gehorchen, wenn der Oberbefehlshaber sagt, "jetzt müssen wir diesen Kampf führen" – das ist eben die Aufgabe des Militärs – während die privaten Sicherheitsfirmen plötzlich gesagt haben, "das ist uns zu heiß". Die haben den Nachschub abgeschnitten, sind einfach geflohen und haben die US-Soldaten im Regen stehen gelassen. Auch das sind Probleme, die sich daraus ergeben.
Außerdem sind Militärs, wenn sie wirkliche Kriegsverbrechen begehen, auch nach amerikanischem Recht strafbar, während unter der Bush-Regierung ausdrücklich ausverhandelt wurde, dass die privaten Militärfirmen nicht unter irakisches, aber auch nicht unter amerikanisches Recht fallen. Die konnten dort also wirklich ohne irgendeine rechtliche Verantwortung agieren. Ich habe selbst als UNO-Sonderberichterstatter für Folter viele Opfer von Folterungen in Abu Ghraib interviewt. Die Opfer haben mir sehr überzeugend berichtet, dass das US-Militär – und das sind die einzigen, die dann zur Verantwortung gezogen wurden – hinsichtlich der Folterungen noch mit Abstand am wenigsten grausamen waren. An zweiter Stelle stand die CIA – hier ist niemand zur Verantwortung gezogen worden – und an dritter Stelle standen die privaten Sicherheits- und Militärfirmen: Die haben am brutalsten gefoltert, weil sie auch überhaupt keine Angst haben mussten, irgendwann einmal zur Verantwortung gezogen zu werden. Das sind sehr, sehr gefährliche Entwicklungen, wo wir eigentlich wieder einen gegenläufigen Trend beginnen müssten, weil wir uns so nicht weiter entwickeln können, denn das führt zu einem wirklichen Zerfall der Staatlichkeit, der aber nicht gleichzeitig durch eine Weltregierung aufgefangen wird. Dann käme es wirklich zu einer Regierung der internationalen Finanzmärkte und der organisierten Kriminalität.
Wenn ich als Österreicher/in für eine private Militär-/Sicherheitsfirma wie Blackwater irgendwo hingehe und Gewalthandlungen setze, wie könnte ich dann in Österreich zur Verantwortung gezogen werden? Würde das wieder nach dem Strafrecht und den Gesetzen zur Terrorismusprävention behandelt werden?
Manfred Nowak: Für die meisten Verbrechen (von einem österreichischen Gericht) gar nicht, aber es gibt dann – das ist relativ kompliziert – im internationalen und auch im österreichischen Strafrecht gewisse Verbrechen, die so schwer sind, dass sie internationale Verbrechen sind. Dann haben alle Staaten der Welt – insbesondere Österreich als Heimatstaat – eine Verpflichtung. Das beginnt schon bei Folter. Hier haben wir aufgrund der UNO-Konvention gegen die Folter eine Verpflichtung, dass wir nicht nur Folter in Österreich strafbar machen, sondern jegliche Folter, die ein Österreicher irgendwo auf der Welt begangen hat. Aber sogar darüber hinaus: das sogenannte Weltstrafrechtsprinzip: auch wenn ein Iraker im Irak Menschen foltert und dann nach Österreich kommt, müsste er in Österreich festgenommen und vor Gericht gestellt werden. Man will also keinen sicheren Hafen für Folterer. Das gilt natürlich auch für schwere Kriegsverbrecher, für Personen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, d.h. systematische Ermordungen, Verschleppungen etc.: österreichische Gerichte sollten das auch aktiv wahrnehmen. In der Realität wird das leider sehr oft nicht gemacht.
US Army
Weil es ja derzeit nicht nur Österreicher gibt, die sich dem IS anschließen, sondern eben jetzt auch einen auf Seiten der Kurden, und es in der Vergangenheit immer wieder Menschen aus Österreich oder hier Ansässige (auch ohne österreichische Staatsbürgerschaft) gegeben hat, die sich im Ausland an Kampfhandlungen beteiligt haben: was gab es denn noch vor dem Jugoslawienkrieg alles in der jüngeren Geschichte?
Manfred Nowak: Söldner oder auch Freiwillige die woanders mitgekämpft haben, gab es historisch immer. Denken Sie an die französische Fremdenlegion, an die kolonialen Kriege: die Fremdenlegion, die in Algerien gegen den dortigen Aufstand gegen die französische Kolonialherrschaft gekämpft hat. Auch auf der Seite der – wie immer Sie es jetzt bezeichnen wollen: die Staaten haben sie als Terroristen bezeichnet, die andere Seite als Freiheitskämpfer. Auch Nelson Mandela war ein Freiheitskämpfer und natürlich haben sich auch andere Menschen dem African National Congress angeschlossen, um gegen das Apartheid-Regime im südlichen Afrika zu kämpfen. Denken Sie an die Befreiungsbewegungen in den Sechtziger, Siebziger Jahren in Lateinamerika, Stichwort Che Guevara und andere. Das waren natürlich Freiheitskämpfer gegen die Unterdrückung durch die USA und Militärdiktaturen. Andere haben gesagt, das sind Stadtguerillas und Terroristen. Dort haben viele Leute nicht aus finanziellen Interessen gekämpft, sondern, so wie auch im Spanischen Bürgerkrieg, aus ideologischer, kommunistischer oder wie auch immer gearteter Überzeugung.
Das ist also kein neues Phänomen. Was neu ist, ist, dass das Profitstreben am Krieg mehr oder weniger salonfähig gemacht wurde – dadurch, dass die Personen jetzt nicht mehr Söldner genannt werden, sondern "ganz normale" Sicherheitsangestellte von privaten Sicherheits- und Militärfirmen. Das finde ich das gefährliche: Wenn Staaten diese Söldner mehr oder weniger als eine notwendige Erscheinungsform der Globalisierung ansehen und sich (insbesondere die USA und Großbritannien) massiv für deren Interessen einsetzen, während andere Staaten, vor allem lateinamerikansiche, diese neue Form der Privatisierung des Krieges verhindern und verbieten wollen.
Es gibt wirklich politische Bestrebungen, dem gesetzlich einen Riegel vorzuschieben?
Manfred Nowak: Ja, die gibt es. Im UNO-Menschenrechtsrat gibt es eine eigene Arbeitsgruppe, die sehr stark von Lateinamerika und vom globalen Süden bestimmt wird – Vorsitzender ist der südafrikanische Botschafter – die versucht, ein Verbot [zu erwirken], vor allem dort, wo es um die Kernfunktionen des Staates geht. Natürlich kann man auch im Militär die Küche an eine private Firma auslagern – aber eben nicht etwas, das direkt ursächlich mit den Streitkräften, also mit der Funktion des Kriegsführens zusammenhängt.
Auf der anderen Seite gibt es den von westlichen Staaten vorangetriebenen Montreux-Prozess, der versucht, sich auf einer eher unverbindlicheren Ebene – mit einem code of conduct, einem Verhaltenskodex – mit den Firmen zusammenzusetzen und zu sagen, "gewisse Verbrechen sollst du nicht begehen". Dieser Prozess hat den Nachteil, dass er moderne Söldner, und das sind private Militärfirmen, legitimiert. Das ist das Gefährliche, wo die westlichen Staaten meines Erachtens den falschen Weg eingeschlagen haben.
Mehr
- Österreicher kämpft mit Kurden: Markus L. hat sich kurdischen Truppen in Nordsyrien angeschlossen
- G4S in Aktion: Im Wiener Burgtheater und im steirischen Schubhaftzentrum Vordernberg
- Manfred Nowaks Buch "Folter"
- PBS Frontline Dokumentation: "Private Warriors"