Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "25 Jahre Mauerfall und ein rotierender Dönerspieß"

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

9. 11. 2014 - 12:43

25 Jahre Mauerfall und ein rotierender Dönerspieß

Der Berliner Zeitzeugin kommt in diesen Tagen die eigene Erinnerung fast abhanden.

Nun ist also soweit, das große 9.-November-Mauerfall-Jubiläumsevent, auf das sich Berlin seit Wochen vorbereitet hat, findet heute statt. Sämtliche Mauerbau-Mauerfall-DDR-Stasi-Aufarbeitungs-Dokumentationen wurden in den letzten Wochen auf allen Programmen versendet. Alle greifbaren Augenzeugen, wachhabenden Volkspolizisten, Lokal- und Großpolitiker von damals wurden befragt, natürlich auch die über Ungarn geflüchteten und die in der Prager Botschaft schutzsuchenden damaligen DDR-Bürger. Dazu gab es die Geschichte der Teilung und Wiedervereinigung als Feature, Fernsehserie, Drama, Komödie: Das Leben der Anderen, Weißensee, Sonnenallee, Goodbye Lenin, Bornholmer Straße und so weiter.

Der Berliner Zeitzeugin kommt in diesen Tagen die eigene Erinnerung fast abhanden: Wenn die immer gleichen Bilder im Fernsehen laufen, traut man den eigenen 25 Jahre alten Bildern gar nicht mehr so richtig. Haben wir wirklich am 9. November 1989 in der Berliner Abendschau diese seltsame Pressekonferenz gesehen und dann Aufnahmen der ersten Ostberliner, die noch unsicher, aber zielstrebig zu den Brücken und Grenzübergängen kamen?

Oberbaumbrücke mit Lichtgrenze

Kulturprojekte Berlin / Foto: Alexander Rentsch

Ja, es war so. Schließlich sind wir auch raus, zum Rentnerübergang an der Kreuzberger Oberbaumbrücke; die sonst gesperrte Brücke war voll von Menschen, lachend, weinend, mit Koffern in der Hand kamen sie über die Brücke, einer rief mit Blick auf die rostige Hochbahn: „Hier sieht et ja jenauso beschissen aus wie bei uns!“ Ich weiß noch, wie sehr ich mich damals wunderte, dass alle nach wenigen Schritten im Westen ausgerechnet vor der Glasfassade eines leicht schmierigen Döner-Imbiss am Schlesischen Tor stehen blieben, und eine immer größer werdende Menschentraube fasziniert den langsam rotierenden Dönerspieß beobachtete.

Große Euphorie, Gehupe, Trabbigeklopfe herrschte in dieser Nacht – im Radio liefen sämtliche Berlinsongs von Ideal über Fischer Z. bis zu den Gropiuslerchen: Berlin, Berlin, dein Herz kennt keine Mauern Schleife.
Aber weil der Berliner nun mal zur Nörgelei neigt, waren die Westberliner erstaunlich schnell, etwa nach drei Tagen, genervt von ihren alten, neuen Nachbarn, von dem Gedränge an den Schaufenstern und in den Läden, den langen Schlangen der Begrüßungsgeldabholer an den Sparkassen, den vollen U- und S-Bahnen. So war das damals.

Lichtgrenze durch den Mauerpark

Kulturprojekte Berlin / Foto: Alexander Rentsch

Die heutigen Feierlichkeiten scheinen im Vergleich zur medialen Aufarbeitung fast unspektakulär. Aber was will man denn auch alle 5 Jahre beim Gedenken groß anders machen?

Zum 20. waren ja schon Bush, Gorbatschow und Kohl und 18 weitere Regierungschefs da, Bon Jovi hat gesungen, Kinder haben eine Mauer aus Dominosteinen eingerannt und die Technohymne We Are One von Paul von Dyk wurde uraufgeführt.

Dieses Mal durfte Wolf Biermann im Reichstag singen und randalieren, und es gibt eine Lichtinstallation entlang des ehemaligen Mauerverlaufs, natürlich als „Symbol der Hoffnung für eine Welt ohne Mauern“.
Aus Tausenden illuminierten und mit Helium gefüllten Luftballons soll eine Lichtgrenze entstehen, die 15 Kilometer durch die Innenstadt führt: Als Höhepunkt werden dann im Beisein von Ehrengästen und Zeitzeugen unter den Klängen der Ode an die Freude am Brandenburger Tor und an sechs weiteren Orten die weißen Ballons in die Lüfte steigen.
So soll der 25. Jahrestag mit spektakulären Bildern um die Welt gehen.

Die Lichtgrenze als poetisch schöne Vorstellung (Zita Bereuter)

Bei gutem Wetter wird die Licht-Installation sogar vom Weltraum aus zu sehen sein. Und Gorbi wird auch wieder dabei sein. Die Berlinerinnen sind aufgerufen zum ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie kommen, um sich bei ihm bedanken.

Plakat: Aufruf zum Dank an Gorbi

Christiane Rösinger

Allerdings bringt Gorbatschow auch eine wohl eher unwillkommene Botschaft mit: „Schuld der Ukrainekrise sind die USA“, wird er in einem Gespräch mit der Kanzlerin erklären. Der kalte Krieg lebt pünktlich zum Mauerfalljubiläum wieder auf.