Erstellt am: 11. 11. 2014 - 14:02 Uhr
"Papa hat sich erschossen"
"Ich weiß nicht, wieso es heißt, der Suizid eines geliebten Menschen lasse alles andere banal erscheinen, wenn es doch der Suizid ist, der selbst das Banale in eine Hölle verwandelt."
Damit beginnt Saskia Jungnikl ihr Buch "Papa hat sich erschossen". Sie erzählt vom tiefen Fall nach dem Suizid eines geliebten Menschen, der Suche nach Gründen, den Schuldgefühlen. Es ist aber auch ein gelungenes Buch über die schmerzhafte Trauer, das dennoch lebensbejahend ist. Nicht zuletzt durch das harmonische Familienleben, das sie in Rückblenden immer wieder erzählt und die Biographie ihres Vaters, Erhard Jungnikl, Musiker, Autor, Regisseur und Kameramann, Schafzüchter, evangelischer Lektor. Eine interessante, intelligente, wissensdurstige, kreative Persönlichkeit, gleichsam getrieben und immer suchend. Ein Mensch, der keine Grautöne kannte, sondern nur schwarz und weiß.
Ein Interview mit Saskia Jungnikl.
Zita Bereuter: "Papa hat sich erschossen" ist ein furchtbarer Satz. Du hast ihn 2008 am Telefon gehört. Deine Mama hat ihn zu dir gesagt. Im März 2013 ist ein Artikel mit diesem Titel von dir erschienen. Vor wenigen Tagen das gleichnamige Buch. "Papa hat sich erschossen." Verliert so ein Satz an der Wucht, wenn man ihn mehrmals hört? Wie geht es dir, wenn du den Satz heute hörst?
Saskia Jungnikl: Ich weiß nicht, ob er an Wucht verliert, er ist einfach ein unglaublich prägender Satz in meinem Leben. Er bringt alles auf den Punkt, was meine Welt erschüttert hat und verändert hat und ich glaube, deswegen habe ich ihn auch als Titel gewählt. Es gibt halt so ein paar Dinge, an die erinnert man sich sein Leben lang. Und an den Moment, als meine Mama mich angerufen hat und mir diesen Satz am Telefon gesagt hat – der hat alles verändert und an den erinnere ich mich immer.
Z. B.: Wie hat sich denn dein Leben geändert?
Rafaela Pröll
S. J.: Ich glaube, dass Eltern das Fundament sind im Leben. Und wenn einer dieser Personen, die einen so definiert haben und geprägt haben, auf einmal beschließt zu sterben, und sein Leben nicht mehr mit dir teilen will, dann entzieht dir das den Boden.
Bei mir war das wirklich ein Fall ins Nichts. Meine ganze Welt war auf einmal nicht mehr wie vorher. Es ist irgendwie so eine Annahme, die wir alle haben, dass die Menschen um uns herum leben wollen. Und nicht sterben. Und wenn jetzt jemand in deiner Welt, den du wirklich liebst, lieber sterben will, und du hast das nicht mitgekriegt, und er stirbt einfach – das dreht alles irgendwie um. Es wird alles auf den Kopf gestellt. Und ich hab extrem an Selbstsicherheit verloren, an Selbstbewusstsein, ich musste erst wieder irgendwie lernen, meine Gefühle neu zu deuten und wieder Vertrauen zu fassen zu mir selber und zu dem, was ich von andern halte und erwarte.
Z. B.: In dem Buch schreibst du sehr persönlich und sehr intim über die Geschehnisse nach dem Suizid deines Vaters. Auch die schmerzhafte Suche nach den Gründen. Riesige Schuldgefühle kommen dazu. Hat diese Suche für dich mit dem Schreiben jetzt ein bisschen auch aufgehört?
S. J.: Ich denk, die Suche hat schon vor dem Schreiben aufgehört. Das Schreiben war dann irgendwie so ein Losschreiben für mich, ein Loswerden von den Dingen, die ich in diesen Jahren gesammelt und erfahren habe. Und als Resümee habe ich es niedergeschrieben. Ich glaube, es ist Teil meiner Geschichte und das wird es immer blieben und daran ändert auch das Schreiben nichts. Aber jetzt ist es irgendwie eher so, als hätte ich es wie in eine Schublade gepackt und wenn ich möchte, dann kann ich sie aufmachen und ab und zu kommt es auch von selbst wieder. Aber es ist nicht so, dass all die Gefühle und Fragen und Gedanken ständig in mir und um mich herum sind.
Z. B.: Du beschreibst in deinem Buch "Papa hat sich erschossen" einerseits, wie es einem geht nach dem Suizid eines Elternteils oder eines geliebten Menschen. Es ist auch ein Buch über das Trauern. Und es gibt auch eine Biographie von deinem Vater. In Rückblenden beschreibst du ihn. Eine interessante, intelligente, wissensdurstige, kreative Persönlichkeit, gleichsam getrieben und immer suchend. Ein Mensch, der keine Grautöne kannte, sondern nur schwarz und weiß. Du gibst in all diesen Beschreibungen sehr viel von dir und deiner Familie preis. Hast du dich dadurch verletzbar gemacht oder gibt dir das Kraft?
S. J.: Ich glaube, wenn man offen und ehrlich ist, dann macht man sich nicht verletzbar.
Das ist irgendwie der große Trugschluss, den wir haben in unserer Gesellschaft, dass, je ehrlicher wir sind und je offener wir über uns und unsere Gefühle reden, desto angreifbarer machen wir uns. Ich sehe das nicht so. Es hilft anderen Menschen vielleicht, die sehen, es ist keine Schande und es gibt keine Scham, offen zu dem zu stehen, was auch einen in schmerzlichen Momenten ausmacht.
Saskia Jungnikl im Rahmen der Buch Wien:
Di., 11.11.
19:00 Hauptbücherei
Do., 13.11.
11:30 FM4 Bühne
und
14:45 Literaturcafé
So., 16.11.
14:00 3sat Lounge
Z. B.: Suizid ist in unserer Gesellschaft ein riesiges Tabuthema. Es wird kaum darüber geredet. Kannst du mit deinem Buch etwas daran ändern?
S. J.: Das hoffe ich. Das hoffe ich, das war der Grund, warum ich es veröffentlicht habe. Weil geschrieben habe ich es für mich. Veröffentlicht habe ich es, weil ich in den Jahren nach dem Tod meines Vaters oft das Gefühl hatte, ich bin völlig allein und es gibt niemanden, der mich versteht. Der versteht, was dieser Suizid für mich bedeutet. Ich kann mit niemandem wirklich drüber reden.
Und es heißt, dass jeder Suizidtote drei bis fünf enge Angehörige hinterlässt. Wenn man das hochrechnet, dann sind das in Österreich in den letzten zehn Jahren zwischen 42.000 und 70.000 Menschen. Das heißt, es gibt diese Menschen und die fühlen sich genauso alleine wie ich zum Teil. Und denen will ich eine Stimme geben und ich will zeigen, dass es die Menschen gibt und dass es in Ordnung ist darüber zu reden und das zum Thema zu machen. Denn es ist ein Thema.
Z. B.: Man weiß häufig nicht, wie man Trauernden helfen kann nach einem Suizidfall. Man weiß nicht, soll man die jetzt ansprechen oder besser nicht? Was empfiehlst du aus deiner Erfahrung?
S. J.: Ich weiß, dass das, was mir am meisten geholfen hat, das darüber reden war. Ich glaube, dass die meisten Menschen, denen was Schreckliches passiert, darüber reden wollen. Deswegen glaube ich, dass es am besten ist, einfach jemanden zu fragen.
Es ist ganz egal, was gefragt wird. Und es ist leichter für mich, wenn jemand zu mir kommt und sagt: "Wie geht’s dir und willst du darüber reden?" Als wenn ich zu jemandem gehen muss und sagen muss "Ich möchte gern darüber reden, dass mein Papa tot ist."
Z. B.: Ich nehme an, dass du nach dem Erscheinen deines Artikels "Papa hat sich erschossen" sehr viele Reaktionen bekommen hast. Was waren denn die häufigsten Reaktionen?
Fischer Verlag
S. J.: Das häufigste waren zwei Arten von Reaktionen. Beide sehr schön. Das eine waren ältere Männer, die mir geschrieben haben, sie haben sich diese Art des Todes auch im Hinterkopf behalten oder für sich vorbehalten. Und haben eigentlich nie darüber nachgedacht, wie das für ihre Kinder sein würde. Sondern, dass die halt vielleicht mal kurz traurig wären, aber dann würde sich das wieder einrenken. Und jetzt, wo sie das gelesen haben, sie sich überlegen, das nicht zu tun und sich Hilfe holen.
Und das andere sind Reaktionen eher von Frauen, die ähnliches erlebt haben. Die entweder schreiben, sie konnten nicht darüber reden bisher und mir danken dafür, dass sie sich selbst auch ein bisschen wiederfinden in dem Text.
Und auf der anderen Seite, ein paar haben geschrieben - und das fand ich auch sehr schön - "Danke, dass Sie es in den Worten erklärt haben, die auch meine Freunde verstehen. Und dadurch mich selber ein bisschen begreifbarer gemacht haben und was ich durchmachen muss."<<
Beratungsangebote für Suizidgefährdete:
- Rat und Hilfe im Krisenfall bietet die Psychiatrische Soforthilfe: 01-313 30 (täglich 0–24 Uhr)
- Kriseninterventionszentrum: 01-406 95 95 (Mo–Fr 10–17 Uhr)
- Die Boje, Hilfe für Kinder und Jugendliche: 01-406 66 02 (Mo–Fr 9–14 Uhr)
- Rat und Hilfe bei Suizidgefahr: 08 10-97 71 55
- Sozialpsychiatrischer Notdienst: 01-310 87 79 oder 01-310 87 80
- Österreichweite Telefonseelsorge (täglich 0–24 Uhr): 142
Selbsthilfe für Hinterbliebene nach Suizid eines Angehörigen:
- Niederösterreich 06 50-462 08 16
- Oberösterreich 06 80-134 23 82
- Tirol 06 50-8 80 48 18
- Vorarlberg 06 99-10 62 41 44
- Wien 06 99-10 95 19 65