Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Das Leben im Dreieck"

Ali Cem Deniz

Das Alltagsmikroskop

8. 11. 2014 - 15:10

Das Leben im Dreieck

"Die juristische Unschärfe einer Ehe." Ein Roman über Grenzüberschreitungen.

Jonoun lebt das Klischee einer Hipsterin. Nach einer Phase als Punk und einer gescheiterten Ehe mit ihrem Professor verlässt sie die USA. In Berlin kellnert sie in einem Café, aber hauptberuflich macht sie „irgendwas mit Kunst.“

Im Café verliebt sich Jonoun zum ersten Mal in eine Frau. Leyla heißt die und auch ist ebenfalls eine Fremde in Berlin. Sie kommt aus Baku und ihre Schönheit ist übernatürlich. Leyla ist Balletttänzerin und die Überwindung ihrer eigenen Natur ihre Lebensaufgabe. Wenn sie beim Ballett alle Grenzen ihres Körpers überschritten hat, steigt sie in getunte Autos und fährt in Baku bei nächtlichen illegalen Straßenrennen mit.

Zweckehe mit Vorteilen

Cover "Die juristische Unschärfe einer Ehe"

Carl Hanser Verlag

„Leylas bisheriger Erfahrung nach resultierte Liebe aus Leistung, und sie hatte früh begriffen, dass sie tanzen muss, um geliebt zu werden.“ Jonoun hingegen ist eine Anti-Leyla. Eine leichte Fettschicht umhüllt immer ihren Bauch. Sie isst, trinkt und raucht alles was sie finden kann. Außerdem ist sie schmutzig und unorganisiert. Dennoch werden die beiden ein Paar. Allerdings gibt es da ein Hindernis.

Leyla führt mit dem Psychiater Altay jene "juristisch unscharfe" Ehe, die dem Roman seinen Namen gibt. Kennengelernt hatten sich die beiden in Baku, und bevor sie nach Berlin kamen, lebten sie einige Zeit in Moskau. Dort hatte die Ehe durchaus ihre Vorteile, denn Leyla ist lesbisch und Altay schwul. In einer Gesellschaft, wo sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Repressionen fürchten müssen, war ihre Beziehung ein einzigartiger Freiraum, ein Schutzschild für beide. Nach außen konnten sie das bürgerliche, heterosexuelle Paar geben. Doch in Berlin, wo das nicht mehr nötig ist, werden die Dinge komplizierter.

Leben und Leiden in Berlin

Altay ist zwar nur der Scheinehemann, aber von seinen Eigenschaften her ähnelt er Leyla viel mehr als Jonoun. Sie sind beide diszipliniert, ehrgeizig, genießen Klassische Musik und das Ballett. Als Jonoun „für zwei Wochen“, die sich schon bald in Monate verwandeln, beim Ehepaar einzieht, dauert es nicht lange, bis die ersten Konflikte zwischen Altay und Jonoun entstehen.

In Berlin leben die Protagonisten in ihrer stets angespannten Dreiecksbeziehung. Sie machen das, was Mittzwanziger in Berlin eben so machen: Partys, Drogen und Sex. Zwischen wildem Nachtleben anstrengendem Alltag in der Dreier-WG entwickelt sich die Beziehung zwischen Altay und Leyla auf unkontrollierbare Art. „Leyla wusste, dass Altay sie an sich binden wollte, er konnte es nicht ertragen alleine zu sein. Zugleich wollte er sie besitzen, und das konnte sie nicht akzeptieren.“

Einzigartige Zufälle

Olga Grjasnowa ist am 11. November im Wiener Literaturhaus zu Gast und liest aus ihrem Roman.

Als die Ehe zwischen Altay und Leyla immer unschärfer wird, beschließt sie, mit Jonoun durch den Kaukasus zu reisen. Die Reise durch mysteriöse Gebirgsländer ist das Highlight des Romans. Immer wieder streut die Autorin kritische Beobachtungen zur postsowjetischen Realität ein, die aber teils sehr banal bleiben. Insgesamt leidet der Roman vor allem an den Biografien der Protagonisten, die überladen sind mit "einzigartigen" Ereignissen und Zufällen.

So schläft die jüdische Jonoun mit einem namenlosen Österreicher, bei dem sich später herausstellt, dass er ein Großneffe des Schlächters von Vilnius ist. So krasse Lebensgeschichten alleine reichen nicht aus, um aus der Geschichte mehr zu machen als eine sprachlich gelungene Erzählung über die Lieb- und Leidenschaften zeitgenössischer Mittzwanziger.