Erstellt am: 7. 11. 2014 - 18:12 Uhr
The daily Blumenau. Friday Edition, 07-11-14.
The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.
Siehe auch Das Geschäft mit den Jubelpostern und Erich Möchels Bericht über die neuen Entwicklungen bei Russia Today.
#netzpolitik #medienpolitik #machtpolitik
1
Gestern habe ich, in einem Anfall von Genervtheit, die Vorzüge der Selbstermächtigung, die die allgemeine Zugänglichkeit des Internet so nach sich gezogen hat, ausgestellt.
Wohl dem, der auch immer die Schattenseiten jeder erfreulichen Entwicklung (und dass jeder der mag, die Möglichkeit hat Bilder zu machen, die sein Leben darstellen, und nicht nur eine Elite, ist eine) im Blickfeld hat.
Bei FM4, das sich für österreichische Verhältnisse verdammt früh im Netz schon recht zweinullmäßig unterwegs/präsent zeigte, war das eine der ersten Lehren: nicht alles, was einem an Reaktion entgegenschlug, nicht alles, was den Schein des Austausches und des Interesses hatte, war auch tatsächlich individuell Gedachtes und Gesagtes. Einiges ließ sich rasch als bewusstes Campaigning von ideologischen Verführern, als schnelle Instrumentalisierung von Konsumismus-Vertretern enttarnen. Und in den letzten 20 Jahren ist man immer wieder (über Fama-Umwege, aber auch über private Kontakte) über Beispiele von kampagnisierten Fake-Profilen/Postern gestolpert; egal in welchem Bereich.
Es ist also allen klar, dass das, was Stefan Apfl (auch einer aus dieser FM4-Umfeld-Netz-Vergangenheit) im Datum jetzt aufgedeckt und belegt hat, seit geraumer Zeit und in großem Umfang existiert. Dass es Agenturen im PR-Bereich gibt, die darauf spezialisiert sind, ihren Kunden (Firmen, aber auch Parteien) gesteuerte Netz-Unterstützung anzubieten - weil ihre Mitarbeiter seit Jahren gezielt für den entsprechenden Betrug angelegte Fake-Profile (im fünfstelligen Bereich) betreiben.
Dabei geht es um schiere Imagebegradigung (für die ÖBB oder die ÖVP durchaus wichtig) aber auch um brutale Bauernfängerei mittels scheinbar privater Forums-Empfehlungen bei Kauf-/Lebensentscheidungen. Im Fall von manipulierten Spielsucht-Foren etwa, die eine heile Welt ganz im Sinn der Glücksspiel-Unternehmen betreiben, kann ich die Grenze zum kriminellen Verhalten kaum noch erkennen.
All das ist wie gesagt, dann wenn man die Augen in der lustigen digitalen Welt offen hält, keine wirkliche Enthüllung. Und da die DATUM-Entdeckung wohl eher nur ein Teil aus einem deutlich größeren Eisberg sein wird, lässt sich auch schwerlich über falsch eingeschätze Umfänge diskutieren.
2
Heute bin ich bei Twitter zufällig über diesen Video-Link gestolpert. Da interviewt das Nummer-1-Propaganda-Medium Putins, Russia Today, einen deutschen Journalisten, der ein anklagendes Buch über seine (unsere) Branche geschrieben hat. Udo Ulfkotte gibt den Aussteiger aus einem korrupten System der deutschen Leitmedien, die einer Art direkten Leitkontrolle den USA, den Geheimdiensten und der deutschen Regierung unterstünden.
Ulfkottes Buch ist von dem im Buch als positives Beispiel hervorgehobenen Stefan Niggemeier untersucht und in seine Einzelteile zerlegt worden - hier bei Krautreporter.
Das war nicht schwer: Ulfkotte gilt als schwammiger Formulierer, schwacher Zitierer und wehleidiger Zusammenwerfer. Niggemeier nennt ihn "weder einen verlässlichen Zeugen noch einen brauchbaren Chronisten". Dass er im Jahr der von Putins Propagandamaschine losgetretenen Kritik an den deutschen Leitmedien sein Glück mit einem scheinbaren Enthüllungsbuch versucht, das nichts anderes tut als die vielen Vorbehalte recht billig und flapsig zu bestätigen, spricht - rein vom Timing her - auch nicht gerade für große Unabhängigkeit.
Niggemeier sagt in seinem nicht komplett vernichtenden Fazit dann (mit der Einschränkung "bei aller berechtigten Kritik am Zustand des deutschen Journalismus") folgendes: "Journalisten tricksen, täuschen und missverstehen; sie schreiben voneinander ab, lassen sich instrumentalisieren und verschleiern Interessenskonflikte. Tatsächliches journalistisches Versagen, Einzelfälle und systematische Missstände, bereiten den Boden, auf dem dann auch die wilden Theorien von Ulfkotte und anderen Kritikern wuchern."
Auch das ist (wie in Part 1) genau gar nichts Neues. Es ist nur wichtig, das in Zusammenhang mit der aktuellen, deutlich instrumentalisierten Haudrauf-Kritik am deutschen Mainstream-Journalismus auch einmal klar festzuhalten.
Im deutlich kleinkorruptionsanfälligeren Österreich, wo sich die Hände noch viel schneller und sorgloser gegenseitig waschen, ist der von Niggemeier beschriebene Status Quo Alltag, seit ich diesbezüglich denken kann. Die von Ulfkotte beschriebenen Schwergewichte, die das, was blattpolitisch nicht opportun erscheint, be- und verhindern, kommen mir sogar wie eine österreichische Erfindung vor.
3
Dass es weltweit Steuerparadiese gibt, die einander gegenseitig zu unterbieten versuchen, um an Schwarz-/Schongelder zu kommen, die multinationale Konzerne und Individual-Verbrecher steuerschonend parken wollen, ist kein Geheimnis. Das sind nicht nur obskure Inselparadiese: auch ein US-Bundesstaat lebt gut von diesem Schmäh; und die europäischen Schurkenstaaten sind amtsbekannt. Einige (auch Österreich) haben sich jüngst ein wenig mehr der Verantwortung gestellt (Austro-Stichwort: Bankgeheimnis), andere nicht. Dass jetzt Luxemburg am Pranger steht, ist angesichts der grotesken Position von JC Juncker ein echter Treppenwitz. Aber nichts Neues, keine bislang unbekannte Entwicklung, sondern ganz im Gegenteil nur folgerichtig.
4
In der am Mittwoch im ORF ausgestrahlten Folge von House of Cards begegnen Frank und Claire Underwood einer von ihrem aktuellen Erzfeind ausgelösten schlimmen Krise unter anderen mit einem Dialog darüber, ob es jetzt angebracht sei Wut, Ärger oder ähnliches zu äußern. Nach ein paar Sekunden haben sie sich drauf geeinigt, dass es verschwendete Energie wäre; genau das, was das Böse in dieser Situation will. Stattdessen konzentrieren sie sich auf ihre nächsten Moves.
Nicht dass diese Charaktere meine Lebensvorbilder wären (sind sie in nearly no respect): aber in diesem Fall fahren sie die einzig mögliche Strategie.
Sich in Empörung darüber zu verlieren, dass der Bär so viel und gern in den Wald scheißt und dass der Papst immer katholisch ist, zieht tatsächlich ausschließlich anderswo brauchbare Energie ab. Und viel mehr als diese ziellose Empörung ist auch in den angesprochenen aktuellen drei Fällen gar nicht möglich.
Die Energie müsste anderswohin fließen: in endlosen Druck auf die politisch Verantwortlichen, den globalen Playern zumindest innerhalb der politischen Units (also der EU) die Steuerflucht-Möglichkeit zu entziehen. In endlosen politischen Druck auf die zuständige Regierung, endlich Ansätze einer konstruktiven Medienpolitik zu zeigen oder in massiven Druck auf die Transparenz der PR-Auftragsvergabe zumindest staatsnaher Betriebe.
5
Meine traurige Erkenntnis dabei ist, dass man in punkto Steuerflucht oder betreffs Klarnamen-Posting-Kultur einer Lösung deutlich näher ist als im Bereich der Ethik des Journalismus.
Klar wird die kriminelle Energie, die hinter den Modellen der Schurken-Staaten und den Finessen der PR-Industrie steckt, immer größer sein als die im Medien-Bereich - die Wehrhaftigkeit der Gesellschaft bleibt aber geringer; auch weil Ethik ein zunehmend weniger fassbarer Begriff ist/wird, und immer weniger Menschen immer weniger bedeutet; und so zu einem elitären Totem wird.
Will sagen: ich halte eher Steuergerechtigkeit und einhaltbare Foren/Postingregeln für möglich als einen in weiten Teilen uninstrumentalisierbaren Journalismus. Der wird weiter der Bär bleiben, der am kräftigsten in den Wald scheißt.