Erstellt am: 7. 11. 2014 - 13:51 Uhr
Vlog #8: Mit dem Pferd in den Sonnenuntergang
Eine Stadt verlässt das Kino. Die Mägen werden lange keine Dragée-Keksi mehr zu sehen bekommen, und eine vernünftige Ruhe kehrt wieder in die Gedanken ein. Wenn ich mich über Filme aufrege, die ich versäume, dann beruhige ich mich mit der Gewissheit, dass ich sie mir im echten Leben eh nie angeschaut hätte. Zumindest nicht, bevor ich nicht jeden einzelnen John Ford-Film gesehen habe.
Parabolini
Spät in der Nacht, nach irgendeinem letzten Film, beschreibt L., eine Festivalbesucherin, deren freundliches Gesicht ich vom Slash-Festival kenne, ihre Erfahrung bei Abel Ferraras Pasolini als “dunkles Wasser, in dem ich untergehe”. Oder spricht sie vielleicht eigentlich von der Viennale?
Nein, sie redet wirklich vom Pasolini-Film, und ich finde ihre Beschreibung super.
Viennale
Abel Ferraras Film ist tatsächlich sehr dunkel, wie der Boden eines Ozeans zieht er einen hinab in eine seltsame Traumwelt und reist durch die zusammengestückelten letzten Tage des großen Filmemachers und Schriftstellers. Für meine persönliche Viennale-Filmographie bildet er eine schöne Einheit mit dem Dokumentarfilm “12 dicembre”.
Pasolini selbst, gespielt von Willem Dafoe (der immer ausschaut wie Pasolini, auch wenn er keine Brille trägt), sagt zu Beginn des Films zwei wichtige Dinge: “Mein Leben ist eine Parabel” und “Alles ist politisch” - das sind die einzigen Anhaltspunkte des Films. Dazwischen gibt es rätselhafte Szenen, in denen Pasolini das Wort eigentlich an seine Freunde weitergibt - ich kenne mich zu wenig mit seiner Biographie aus, um zu wissen, was es z.B. mit dieser Szene auf sich hat, in der eine Freundin Pasolinis bei einem Abendessen die Aufmerksamkeit des Films an sich reißt, indem sie über Kommunismus und Kunst in Jugoslawien redet. Das sind einfach gute filmische Momente. Auch werden Fragmente aus Pasolinis Werk fragmentarisch nacherzählt oder gezeigt - Abel Ferrara dreht sozusagen einen Ferrara-Pasolini-Film, um sich so an Pasolini anzunähern.
Euro Pictures
Pasolini ist also weniger Biographie als politisches Werk. Vor allem die brutale und fast romantische (oder religiöse?) Darstellung von Pasolinis Tod, die man als unpolitisch missdeuten könnte, da dieser nicht von der Regierung verübt wird, ist besonders politisch: Ferrara ignoriert jegliche politische Verschwörungstheorie und zeigt einen (absurd poetischen) Mord durch Stricherjungen und Jugendliche, während wir alle nach dem Film wissen, dass es genauso gut die Regierung hätte sein können. Ferrara beharrt zwar auf Pasolinis Ermordung als arbiträre Grausamkeit, schließt jedoch andere, düsterere Maschinerien der Zeitgeschichte nicht aus.
“Wir sind alle gefährdet”, sagt Pasolini in einem Gespräch. Ferrara, dessen mir sehr sympathische Riesenpersönlichkeit fast zu groß für die Gartenbaukinobühne ist, erwähnt das katastrophale Resultat der soeben abgehaltenen “Midterm Elections” in den U.S.A. - wir sind noch immer alle gefährdet.
16 mm Programm
Dann schaue ich mir noch zwei Programme der “Revolutionen in 16 mm”-Reihe an. (Karten zu erwischen ist ein Kampf, bei einem so winzigen Saal, wie der Eric Pleskow-Saal leider einer ist - und der interessanterweise an einen regelrechten Ballsaal grenzt, in dem sich außer einer kleinen Installation einfach nichts befindet. Mysteriös!)
Amateurfilm und Heimkino ist das eine Programm - eine harte, fast ungeheuerliche Zusammenstellung: die Filmaufnahmen von “Heart Mountain Relocation Center in Wyoming” sind die ersten Farbbilder, die ich überhaupt je von der Japanisch-Amerikanischen Bevölkerung in diesen Lagern gesehen habe. Fällt dieser Film in die Kategorie Amateurfilm oder Heimkino?
Heimkino bedeutet auch das Ausleben von Fetisch und den abstrusen Dingen, die getan werden, wenn sich Menschen im geschützten privaten Bereich befinden. In “Hunting Deer and ...” spielt eine Gruppe Jäger mit dem von ihnen erlegten Wild und dann miteinander. Es ist nicht ganz klar, ob es sich hier um besoffenen Klamauk oder Vergewaltigung handelt.
In einem anderen Film sehen wir ein gutes Dutzend Einläufe, die als Ritual feierlich durchgeführt werden.
Auch gut: Aufnahmen von Joan Crawfords seltsam “normalem” Privateleben - in einem Kanu, am Lagerfeuer, auf der Jagd. Dann die Aufnahmen jenes berühmten blonden Babys, das man mit etwas Unbehagen als Christina aus “Mommy Dearest” (1981) wiedererkennt. Beim Beobachten so privater Dinge ist es dann um so seltsamer, als Voyeur eigentlich in der Öffentlichkeit zu sitzen - nicht einfach nur im Kino, sondern bei der Viennale.
Viennale
Bei “Sex auf 16 mm”, für das ich die allerletzte Karte ergattere, werden erotische Filme und Pornos aus dem frühen 20. Jahrhundert gezeigt - manchmal amüsant und absurd, manchmal gar nicht so anders als das, was wir uns heute im Internet anschauen. Besonders gut: “Mermaid’s Boudoir”, der schönste, kürzeste Kurzfilm aller Zeiten.
Zunehmende Unvernunft
Es sind eben die letzten Tage der Viennale, und mein Hirn ist schon ein bisschen gebraten. So passiert es, dass ich mir “The Duke of Burgundy” ein zweites Mal gebe: der Film wirkt jetzt umso schneller und vergänglicher, und je mehr ich hinschau’, umso weniger kann ich den Film festhalten. So ist das halt mit der Filmliebe! Sie tut einfach immer ein bisschen weh. Beim Publikumsgespräch möchte ich am liebsten Peter Strickland meine Bewunderung zurufen, bin dann aber doch zu gschamig.
Ich warte so lange in meinem Kinosessel, bis es zu spät ist, vom Künstlerhaus zur Urania und “Whiplash” zu radeln - “Time Lapse” im Gartenbaukino geht sich aber gerade noch aus, was dann vielleicht die schlimmste Entscheidung meiner gesamten Viennale ist.
Viennale
Den ganzen Film über beschäftigt mich die Frage, warum es nicht möglich war, “Trudno byt’ Bogom” auch im Gartenbaukino zu zeigen - anstelle von “Time Lapse”, nur so als Vorschlag, verdammt.
Beim Heimradeln mit meinen Freunden brüllen sich alle zu, wie großartig, bombastisch, kinematisch und aufregend “Whiplash” nicht war, und ich hasse alles und jeden, weil ich das verpasst habe.
Pferdeabend
Zum Abschluss dieser sehr, wie soll man sagen, pferdigen Viennale gehe ich in gleich drei “Pferdefilme”: “Jauja”, “The Homesman” und “Von Mädchen und Pferden”.
Viennale
“Jauja” ist umwerfend schön, angesiedelt in einer Traumlandschaft im tiefen Patagonien. Der Film verfügt auch über ein kleines Time Lapse und erinnert mich ein wenig (ein klein, klein wenig) an “El Topo”. Vor allem mag ich Viggo Mortensen und seine dänische Sprache.
Während “The Homesman”, der mich so wütend macht, dass ich kein Wort mehr darüber verlieren will, erhalte ich folgende bezeichnende SMS aus der Viennale-Abschlussgala von einer sonst sehr gutmütigen Person, die hier anonym bleiben wird:
“ Oh Gott, die Abschlussgala ist NOCH SCHLIMMER als die Eröffnung. Ich kotz gleich. Ich geh nie wieder auf eine Viennale-Veranstaltung. Ich geh gar nicht mehr auf die Viennale! Wäh! Die können mich alle einmal! Ich hasse sie (sic)!”
Da ist also sehr viel Zorn in der Luft. Immer wieder muss ich wegen “The Homesman” innerlich fluchen, wo ich den Tommy Lee Jones doch sonst eh gern hab.
Viennale
Mein Abschlussfilm ist dann aber wieder sehr beruhigend. In Monika Treuts lieblichem Werk gibt es keine allzu großen Katastrophen, keine Konflikte, nur gemächliche Dialoge und sehr, sehr viele Bilder von Mädchen und Pferden sowie Mädchen auf Pferden. Ein sanfter Tagtraum von einem Film und genau das, was ich brauche. Ich finde mich den ganzen Film über sogar in so einen Zustand des Glücks getaucht, den ich vielleicht ohne den Ärger von davor nicht erreicht hätte.
Danach versuche ich es gar nicht mehr, mit “Turist” irgendetwas herauszufordern. Man erzählt mir, der Film sei sehr gut, aber irgendwann ist auch einmal Schluss: ich brauche ein Glas Wein und eine Zigarette, den Anblick von lebenden Menschen und Nachtluft.
Hier endet mein Viennaletagebuch, auch wenn ich mir heute Abend gleich wieder John Ford geben werde. Vielen Dank für das Lesen, vielen Dank für die Unterstützung, vielen Dank an all die anderen Leute im Dunkeln. Es war mir ein Volksfest mit “my ten-gallon hat and my six-shooter.”