Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "He Said, She Said"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

6. 11. 2014 - 18:31

He Said, She Said

Gefährliche Liebschaften, das Salz auf unseren Schenkeln: Die US-Serie "The Affair".

Weiterschauen

Kritiken und Empfehlungen von TV-Serien auf

Das, was uns der Bildschirm zeigt, ist nicht die Realität. Die neue Showtime-Serie "The Affair" hat seine Struktur am Konzept des unzuverlässigen Erzählers aufgehängt und erzählt eine Geschichte aus zwei unterschiedlichen Perspektiven - mit variierenden Wahrnehmungen, kleinen voneinander abweichenden Details, unterschiedlichen Einschätzungen.

Zwei Personen berichten vom selben Ereignis zwei Wahrheiten, resultierend aus verschwommener Erinnerung, Selbstbetrug oder bloßer blanker Lüge. Man kennt diesen Kniff vor allem als den "Rashomon-Effekt", benannt nach Akira Kurosawas Klassiker "Rashomon" aus dem Jahr 1950: Ein Film, in dem vier Figuren vier verschiedene Versionen eines Verbrechens schildern - jede der vier präsentierten Versionen kann dem Zuschauer als die objektive Realität des Films erscheinen.

The Affair

Showtime

In der vor vier Wochen gestarteten Show "The Affair" sehen wir die gute, alte Geschichte von der verhängnisvollen Affäre einmal aus männlichem, einmal aus weiblichem Blickwinkel. Nicht wild aneinandergeschnitten, sondern kapitelhaft voneinander getrennt, mit kurzer, neuer Titlecard in der Mitte jeder Episode. Chapter 1: Noah. Chapter 2: Alison. Dominic West gibt den New Yorker Lehrer und mittelprächtig erfolgreichen Debüt-Autoren Noah Solloway, doch recht glücklich verheiratet und Vater von vier Kindern. Die gesamte Familie fährt zur Sommerfrische in ein pittoreskes Fischerdörfchen auf Long Island - ins Anwesen der wohlhabenden Schwiegereltern. In einem Diner trifft Noah auf die Kellnerin Alison (Ruth Wilson, "Luther" u.a.), ebenfalls verheiratet. Der Magnetismus zwischen den beiden bringt die Luft zum Zittern.

Wir erfahren, dass der Großteil der Show in Rückblenden erzählt ist: Alison und Noah werden - getrennt voneinander - von einem Detective zu einem mysteriösen Kriminalfall befragt, der sich im Sommer ihres ersten Treffens zugetragen haben soll. Viele Szenen sind also doppelt ins Bild gesetzt: In Noahs Schilderungen ist er ganz der charmante Galan, seiner Ehefrau ergeben, der von der sexy Verführerin Alison fast schon ohne eigenes Verschulden in die Affäre gelockt wurde. In Alisons Erzählung ist Noah eher der ranschmeißerische Aufreißer, der um seiner Wirkung auf Frauen weiß, und sie die reserviertere Partei.

Die gegenseitige Anziehung leugnen beide nicht. Es sind oft winzige Unterschiede: Wer hat wem eine Zigarette angeboten? War in Noahs Nacherzählung Alisons Rock nicht deutlich kürzer? Hat sie nicht eigentlich Hosen getragen? Die Grenzen zwischen kleinen Notlügen, Niedertracht und ehrlichem Falsch-Erinnern verschwimmen.

the Affair

Showtime

"The Affair" dehnt auf beiden Ebenen, der des Kriminalfalls und der der Affäre, die Anspannung aufs Höchste: Was in jenem Sommer überhaupt Polizeirelevantes geschehen sein soll, ist nach vier Episoden noch nicht angesprochen, es dürfte ein Mord gewesen sein. Bis die Affäre zwischen Alison und Noah so richtig im Bett besiegelt wird, vergeht ebenfalls viel, viel Zeit. Kurze Blicke, ein Hin und Her, Gewissensbisse, moralische Bedenken, ein gefährliches Tänzchen. Das ist oft frustrierend, im besten Sinne unangenehm.

Auch ist das Verhältnis zwischen diesen beiden Charakteren kaum durch irgendwelche romantischen Blümchengerüche legitimiert, sondern scheint einzig durch körperliche Anziehungskraft bedingt. Die Konstruktion der Show sorgt dafür, dass West und Wilson in ihren Figuren oft als zuverlässig unsympathisch daherkommen.

Eine kleine, witzige Fußnote bezüglich der Verbiegung der Realität ist in Epsiode 4 die Erkenntnis, dass auch der verhörende Polizist - in einer casual Pause des Verhörs - ebenfalls mit jeweils von einander abweichenden Wahrheiten über sein eigenes Familienleben bei Alison und Noah Sympathien zu erspielen versucht. "The Affair" nimmt keine Wertungen vor, sondern legt unterschiedliche Motivationen als plausibel dar. In einer Szene meint Alison, sie glaube nicht an die Idee vom "guten Menschen". Es versuche bloß eben jeder so gut durch- und weiterzukommen, wie es eben gerade gehe.

"The Affair" bohrt tief in der Psyche seiner beiden Hauptfiguren, die Nebenfiguren stehen bislang tatsächlich noch wenig ausgeleuchtet am äußersten Rande: Noahs Ehefrau Helen (Maura Tierney), Alisons Ehemann Cole (Joshua Jackson), die Noah herablassend belächelnden Schwiegereltern, die wohl mit voller Absicht nervtötenden Kinder. Episode 3 thematisiert zwar als etwas größer angelegtes Panorama die wirtschaftlichen Nöte eines kleines Stranddörfchens, das vor allem von den Summer People lebt, den urlaubenden Städtern, die die Unverbildetheit der Provinz suchen - meist ist "The Affair" aber ganz eng, fast schon kammerspielhaft einzig auf Alison und Noah fokussiert.

Bald muss etwas geschehen, lange kann die Verschleppung und die Zurückhaltung von Information nicht mehr gutgehen, demnächst explodiert der Luftdruckkessel. Klaustrophobischer Suspense, Postkarten-Ausblick mit Leuchtturm, ein bisschen fernsehfilmhaftes Schablonenspiel, heiße Tropfen auf heißer Haut, psychologische Versuchsanordnung: Warum tun wir was wir tun? Und wie tun wir das? Wer wir sind, ist bekanntlich gut an unseren Taten ablesbar, davon berichten kann vielleicht ein anderer besser als wir selbst.