Erstellt am: 10. 11. 2014 - 20:37 Uhr
Digitale Kampfzonen
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Nichts erschiene wohl unpassender, als den syrischen Bürgerkrieg mit einem Videospiel zu vergleichen – und doch scheint nicht zuletzt die Hochglanz-Selbstinszenierung der IS-Dschihadisten schon 3000 Europäer angelockt zu haben.
Alles, was Recht ist
"Ich tausche sie gegen eine Pistole"
Die Aufreger der letzten paar Tage: Der österreichische Dschihadist Mohamed M. (zuletzt aus türkischer Haft entlassen) posiert vor geschändeten Leichen. IS-Geisel John Cantlie muss wieder einmal als Propaganda-Botschafter vor die Kamera treten – diesmal in Kobane (oder auch nicht, darüber wird gestritten). Eine "Preisliste" für Sklaven taucht auf, ein weiteres Video illustriert die einschlägigen Gepflogenheiten am IS-"Sklavenmarkt". Es fallen Sätze wie "ich tausche sie gegen eine Pistole". Mit der "School of Jihad" verwirklicht der selbsternannte "Islamische Staat" seine Vorstellungen von "Schulpflicht". Ob IS-Chef und Kalifen-Darsteller "Abu Bakr al-Baghdadi" jüngst bei US-Luftschlägen umgekommen ist, bleibt unklar. Gleichzeitig mehren sich die Hinweise, dass der IS seine Fühler demnächst nach Pakistan ausstrecken könnte.
Hinter den Kulissen
Auf der anderen Seite bemühen sich Aktivisten, der professionalisierten Verharmlosung von Massenmord mit einem Blick hinter die Kulissen zu trotzen. Im IS-kontrollierten Raqqa dokumentiert eine Undercover-Gruppe den Alltag im angeblichen "Kalifat". 16 Mitglieder zählt das Widerstandskollektiv "Raqqa is Being Slaughtered Silently". Sie zeigen auf, wie die Bevölkerung hungert, während es sich hochrangige IS-Mitglieder gutgehen lassen, fotografieren und übersetzen Propaganda-Plakate entlang der Straßen und ringen sich trotz der lebensgefährlichen Situation den einen oder anderen Witz ab. Ein Mitglied der Gruppe wurde bereits enttarnt – Motaz Billah wurde öffentlich enthauptet.
*Wir haben Namen und Details, die die Identität des Österreichers verraten würden, verändert
Auch Kurden rekrutieren online... einen Österreicher
Zig Freiwillige aus aller Welt haben sich schon bei den kurdischen Volksschutzeinheiten "YPG" beworben, erzählt Markus L.*. Die wenigsten von ihnen seien tatsächlich kampftauglich. Markus hat keinen kurdischen Background, für ihn sei der Kampf gegen den IS eine Prinzipiensache. Der frühere Bundesheer-Soldat hat schon einmal im Ausland gekämpft – für ein Freiwilligen-Bataillon der Ukraine. Zwischendurch war Markus auch als Security tätig.
In mehreren Stellungnahmen hat die YPG bestätigt, dass über eine eigene Plattform Freiwillige aus aller Welt angeworben werden. Einige der dabei erwähnten Auslands-Rekruten finden sich bereits auf Gruppenfotos mit Markus. Auch ein früherer Arbeitgeber bestätigt seine Identität. Gut zwanzig Minuten habe ich Zeit, um mir selbst ein Bild zu machen. Markus steht am Dach eines Hauses in der Cezire, dem östlichen von drei Kurdenenklaven in Nordsyrien. Der Akku vom Handy seines Freundes ist schwach, daher müssen wir schnell machen.
Du warst zuvor [in Österreich] auch mal Security, ist das richtig?
Ich war vier Jahre lang beim Bundesheer und im Sommer 2012 kurzzeitig Security Officer in Afrika. Das war ein ein Schuss nach hinten - die Branche ist sehr dubios. Ich bin dann wieder zurück zum Bundesheer, war dort weitere zwei Jahre, bis eben im Sommer - ab September/Oktober war ich in der Ukraine.
Worin bestand deine Motivation, in die Ukraine zu gehen?
Ich war beim Bataillon Donbass, unser Haupteinsatzgebiet war in Donezk. Meine Motivation war, dass es total ungerechtfertigt war, was Russland und russische Terroristen und Separatisten dort gemacht haben. Europa hat natürlich nur zugeschaut - deshalb habe ich mich dort [dem Bataillon Donbass] angeschlossen.
Wie bist du dann auf die Idee gekommen, zur YPG zu gehen? Selbst hast du keinen kurdischen Background. Ist das demnach für dich eine Prinzipiensache?
Ja. Meine Mutter ist aus Tunesien, mein Vater aus Österreich.
Wie verständigt ihr euch?
Es gibt ein paar englischsprachige Kurden, die uns helfen.
Wie viele Freiwillige aus dem Ausland haben sich der YPG bereits angeschlossen?
Bis jetzt leider nur sechs. Der IS schafft es jede Woche, wahrscheinlich 30 oder 40 Leute aus Europa zu rekrutieren. Wir bis jetzt nur 6, aber in den nächsten Wochen kommen doch einige [dazu].
Wie ist die Ankunft abgelaufen?
Ganz einfach: [Ich wurde] vom Flughafen abgeholt und dann nach Rojava [das drei "Kantone" umfassende kurdische Siedlungsgebiet in Nordsyrien] gebracht. Das funktioniert alles tadellos. Die Leute sind sehr gastfreundlich und kümmern sich um alles. Ich musste meine ganze Ausrüstung in der Ukraine lassen. Ich bin von der Ukraine aus über Istanbul [in den Irak] geflogen. Die Türkei sieht das [die PKK-nahe YPG] ja als Terrororganisation an. Daher war es nicht möglich, Ausrüstung mitzubringen. Eine Woche zuvor war ein britischer Royal Marine in Istanbul gestoppt worden - der hatte seine gesamte Ausrüstung dabei, das war einfach zu auffällig.
Es ist unmöglich, über die Türkei nach Syrien [zu kommen]. Die ganze Grenze ist umkämpft und entweder vom türkischen Militär überwacht oder der IS hat es bis dorthin geschafft.
Innerhalb von Rojava ist es leichter, sich frei zu bewegen?
Es ist sehr unübersichtlich, es gibt überall Fleckchen, wo die YPG kontrolliert, zwischendurch der IS.
Markus
Hast du keine Angst?
Nein, nicht wirklich. Wir vertrauen uns alle ziemlich und der Tod ist hier nichts Unbekanntes. In IS' Hände kommt sicher keiner. Das ist schon immer wieder ein großes Thema. Jeder hier ist der Meinung, dass er sich davor selbst erschießt oder mit einer Handgranate in die Luft jagt.
Die PKK steht ja auf der EU-Terrorliste. Ist das ein Thema für dich, was wäre, wenn du zurückkommst?
Nein, das interessiert mich überhaupt nicht. Dass ich mich als österreichischer Staatsbürger dem Konflikt in der Ukraine und [jetzt] hier anschließe, kann zum Verlust der Staatsbürgerschaft führen. Ob Österreich die PKK als Terrororganisation ansieht, ist mir ziemlich egal. Wir sind ja nicht die PKK.
Ich bin ja dorthin und jetzt hierher gegangen weil es für mich zu Hause nicht mehr zumutbar war zuzusehen, im Schlaraffenland Österreich wird das alles [hier] ziemlich verdrängt.
Welches Engagement würdest du dir von der österreichischen Politik wünschen?
Politisch Druck machen, Unterstützung mit Hilfsgütern und Waffen. Dass wir hier natürlich keine österreichischen Truppen aufstellen, ist klar und wird auch nicht benötigt. Aber die Angelegenheit betrifft die EU und die ganze Welt.
Schon zu Beginn haben die Kurden gesagt, sie brauchen keine militärische Unterstützung, nur Versorgungsgüter, Ausrüstung und das Hereinlassen von Freiwilligen...
Da kommt gar nichts an. Die US-Luftunterstützung: jämmerlich. Der IS hat einfach sehr viele Truppen, schwere Waffen, sehr viel Gebiet unter seiner Kontrolle. Es ist unglaublich, was die [YPG-]Leute vor Ort leisten.
Wohin wirst du gehen? Nach Kobane, in den Shingal, an eine Frontlinie in der Cezire?
Bevor ich hergekommen bin, habe ich auch gedacht, ich muss unbedingt nach Kobane, aber das ist eigentlich total egal, denn der IS ist überall. Unsere Wege sind total eingeschränkt. Einen Kilometer entfernt ist alles voller IS. Es gibt ganz in der Nähe zig Ortschaften, wo hunderte Truppen des IS stationiert sind. Kobane ist hier eher weniger das Thema, weil es unrealistisch ist, dorthin zu gelangen - für die YPG ist es sehr schwierig, dort Unterstützung hineinzubringen, weil die Türkei natürlich die Grenzen zumacht. Soweit wir das von hier aus beobachten können, befindet sich der IS auch in der Türkei.