Erstellt am: 6. 11. 2014 - 15:02 Uhr
The daily Blumenau. Thursday Edition, 06-11-14.
The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.
Nicht dass ich in meinem Leben selber mehr als drei Selfies gemacht habe.
#massenkultur #empörungsbewirtschaftung
So, jetzt hab' ich's einmal zuviel gehört/gelesen. Und jetzt reicht's mir.
Damit, dass diese Sache mit den andauernden Selfies, die alle immerzu fabrizieren und ausstellen, entweder der Untergang des Abendlandes oder ein derart läppisch-kindisches Ding sei, dass man deren Ursachen am besten mittels Zwangstherapie der scheinbar Besessenen ausmachen und dann dämonenmäßig austreiben sollte. Weil es einen derartigen Blödsinn ja echt noch nie gegeben hat.
Alles an all diesen kritischen Ansätzen ist falsch.
Falscher gehts gar nicht.
Zum einen, weil die simple Empörung über Zeit-Phänomene, das reine Rausspucken des Unverständnisses, noch lang kein kritischer Ansatz ist. Das wäre es dann, wenn der vom Anblick der Selfies oder dem öffentlichen Entstehen von Selfies gepeinigte Mensch sich darüber im Klaren wird, warum genau ihn das jetzt derart anpisst. Was in den zahllosen Oberflächen-Empörungen jedoch nie passiert. Nie.
Und zum anderen, weil schon ein simpler, ganz oberflächlicher Blick in die Kulturgeschichte der menschlichen Selbstdarstellung ja zeigen würde, dass das Selfie genau gar nichts Neues ist.
Der Wunsch Selbstporträts anzufertigen, ist nämlich so alt wie der Mensch selbst. Die ersten Höhlenmalereien - Selbstporträts. Das beliebteste Motiv der Vorgänger-Kunst der Fotografie: Selbstporträts.
Der Kollege Christian Lehner hat hier die Selfies-Geschichte aufgearbeitet.
Selbstverständlich gibt es neben Teilen des Islams auch andere bilderfeindliche oder bildabstinente Kulturen, die die Darstellung ihrer selbst aus meist religiösen oder spirituellen Gründen (hinter denen fast immer ein kulturell anerzogenes Verhalten steckt) ablehnen. Die Menschen hinter diesen Verhalten sehen das zumeist aber anders.
Selbst in der öden mittelalterlichen Phase der Mal-Kunst, als noch die christliche Kirche die Hand auf die Darstellungen hielt (und damit ähnlich rigide umging, wie es der dogmatische Islam mit seiner Bilderfeindlichkeit heute noch tut), schmuggelten die Künstler ihre Selbstporträts in den Hintergrund oder gaben historischen Figuren ihre Gesichter. Als sich die künstlerische Darstellung zum Ende des Mittelalters hin aus den rein politischen Umklammerungen ein wenig befreien konnte, war das Selbstporträt der allererste Stopp am Weg dieser Befreiung.
Und daran änderte sich bis zur Moderne nichts.
Wenn Van Gogh oder Frida Kahlo sich in Serien von Selbstporträts darstellen, dann sind das nichts anderes als Selfies - Studien seiner selbst, der Versuch, die eigene Seele sichtbar zu machen.
Es gibt hier, auf der Wikipedia-Seite zum Thema Selfie, den absurden Versuch, das allererste ausfindig zu machen. Und, oh Wunder, eines der allerersten Fotos (1839) war ein Selbstporträt. Was auch sonst. Auch die Geschichte der Fotografie ist eine Geschichte der Selbstporträts.
Im Unterschied zur Malerei, die nur jenen offenstand, die das gelernt hatten und gut konnten (also ein elitäres Gewerbe war), und im Gegensatz zur frühen, technisch aufwendigen Fotografie, die auch nur von einer Minderheit betrieben werden konnte - und auch noch im Gegensatz zur analogen Fotografie des vorigen Jahrhunderts, als ein verschossenes Bild noch einen konkreten Wert darstellte, den man nicht vergeuden wollte, ermöglicht die digitale Fotografie unbeschränkt viele Versuche.
Und die flächendeckende Ausrüstung mit Foto-Handys führt zu einer logischen Selbstermächtigung jedes einzelnen als Fotokünstler, als Porträtist und als Selbstporträtist tätig zu werden.
Das, was vormals einer Elite vorbehalten war, das kann und darf jetzt jeder, der einen Auslöser zu drücken vermag. Was selbst Babys und Affen schaffen.
Das Selfie ist also ein kulturanthropologisch völlig logischer Schritt. Es wird in Massen geschossen, weil das möglich ist. Und weil die Selbstporträtierung in unserer Natur liegt. Das Selfie zu hassen und zu beschimpfen bedeutet letztlich also sich selber oder die Spezies selber zu hassen und zu beschimpfen.
Ich würde meinen, dass die mit der Tonalität der Naserümpfens und Bessergestelltheit versehene Empörung von Scheinbetroffenen vor allem mit dem Punkt der Selbstermächtigung der Massen zu tun hat. Immer wenn eine neue Kulturtechnik das, was davor nur einer Elite zugänglich war, massenkompatibel macht, bricht eine solche Welle des Abwehrkampfs aus. Erinnert mich an die DIY-Revolution der Produktionstechnologie in der Herstellung von Musik für jederman, erinnert an die journalistische Selbstermächtigung durch das Internet, erinnert an die Häme, die der Handy-Telefonie anfänglich entgegengeschlagen hat.
Erinnert an all das; im kleinen - und deshalb so schnell vor sich hingesagten Protest gegen die Massenkultur der Moderne; weil man davon ausgeht, dass hinter Pimperl-Problemen nix Prinzipielles steckt.
Tut es aber.
Fast immer.
Und macht so ein gutes Kriterium auf, wie man schnellschießende, schlagzeilenversessene, nichtdenkende Ignoranten von interessanten Zeitgenossen, die sich nicht bei jedem Schas zur modischen gesellschaftszerstörenden Empörung hinreißen lassen, unterscheiden kann.