Erstellt am: 5. 11. 2014 - 10:55 Uhr
Vlog #7: Herbstzeitkino
"The Duke of Burgundy", verdammt. Damit hatte ich wirklich nicht mehr gerechnet - die ganze Zeit jammer’ ich herum über den Zustand des gegenwärtigen Kinos, über die Abwesenheit von seinen Ur-Organen - dem Genre-Kino nämlich - und die damit einhergehende Abkehr vom eigentlichen Körper (dem Filmkörper, meine ich), seinem Dreck und seiner Magie. Und dann kommt dieser wunderbare Film von Peter Strickland (zuletzt bei der Viennale mit der Giallo-Anspielung “Berberian Soundstudio”, 2012). Zuerst bin ich ergriffen, ein wenig später verspüre ich dann diesen leichten, genüsslichen Schmerz, der mit Verliebtheit einher geht.
Viennale
BDSM-Lesben-Giallo-Kino
Eine Frau kommt in ein riesiges, Efeu-überwachsenes Haus wie aus einem Joseph Losey-Film und nimmt Befehle und Bestrafungen von einer anderen Frau entgegen. Bald realisiert der Zuschauer: natürlich spielen die beiden Frauen ein sehr elaboriertes “Role-Play”, und es ist eigentlich die Unterworfene, die die Macht hat, da es hauptsächlich sie ist, der das Spiel Freude bereitet, und es auch sie ist, die die Regeln und Wünsche aufstellt. Die andere erfüllt ihr diese Wünsche, einfach um ihr damit eine Freude zu machen. Sie ist nicht wirklich benachteiligt, sondern einfach sehr bedacht, wenn auch mit zunehmender Überforderung, diese Wünsche ihre Geliebten zu respektieren und zu erfüllen.
Dazwischen lauern in den wunderschönen Aufnahmen des Films lauter Symbole der Vergänglichkeit - gelbes Herbstlaub, Schmetterlinge (eine der beiden Frauen ist Insektenforscherin), schlussendlich auch Särge und Kostüme wie aus einem Film von Harry Kümel.
Rätselhafterweise, und trotz seiner Traumästhetik (z.B. spielen im ganzen Film nur Frauen mit), basiert all das im “Realen”, das heißt, es gibt eigentlich keine fantastischen Elemente; und es ist für mich erfrischend schön, so eine Verankerung zu sehen: es handelt sich hier wirklich um Liebhaberinnen, die sich wirklich lieben, Fremdstolz für einander verspüren, Rührung über erfüllte Wünsche zeigen, und bei Nacht laut schnarchen.
Viennale
Freilich hat der Film es leicht, meinen Gefallen zu finden. Ich liebe Gialli und immerhin geht es hier um eine lesbische Liebesgeschichte. Aber genau das macht den Film für mich auch so ungewöhnlich: es ist eine tatsächliche Liebesgeschichte mit dem unterliegenden Ziehen von Grenzen, wie weit wir bereit sind, für unsere Partner zu gehen. Gleichzeitig erschüttert der Film auch meine Prinzipien oder das, was ich für meine Prinzipien gehalten habe. Grundsätzlich mag ich Realismus oder Figurenmotivation einfach nicht so gerne. Ich liebe Hammer-Studio Vampirfilme, meist weil es da keine ansatzweise “reale” emotionale Komponente zwischen den Frauen gibt. Dieser Teil ist für meinen persönlichen Genuss da, der darin besteht, diese Komponente mit meiner Fantasie wieder einzusetzen. Eine Angewohnheit, vermutlich, die aus einer langen Geschichte solcher “Inferenzen” (also das Einsetzen einer zusätzlichen Komponente, in diesem Fall von Erotik und Emotion, zwischen zwei gleichgeschlechtlichen Figuren) in allerlei Filme zurückgeht - sowie einer ordentlichen Lektüre Fanfiction.
Dann aber sehe ich einen Film wie The Duke of Burgundy, in denen man solche Inferenzen gar nicht machen muss, und mein Herz zerbricht ein klein bisschen.
Agonie der Intellegentsia
Auch mit viel Herbstlaub und selbst-zugefügtem Leid, erzählt Alex Ross Perrys Tragikomödie “Listen Up Philip” von einem jungen Schriftsteller, der seine Karriereziele erfüllt und seine emotionalen total verfehlt. Umrahmt ist Philips Geschichte von denen von Ashley (Elizabeth Moss), seiner Ex-Freundin, und Ike Zimmerman (ur super: Jonathan Pryce), seinem Mentor. Jede Figur baut ihre eigene Erzählung und Suche auf: bei Ashley, die in ihrem Leben als Fotografin ständig von Kollegen umgeben ist, ist es die Hoffnung nach Glück in der Einsamkeit. Ike hat die Suche eigentlich aufgegeben und kann nur noch seine eigene Existenz erklären und loben, aber nichts anderes. Philip selbst (Jason Schwartzman) zürnt und zetert fast grundlos mit einem gelassenen Gesicht (so wie einst Alex Ross Perry selbst in “The Color Wheel”) - es ist hinreißend, ihm dabei zuzuschauen, gerade weil er so lieb wirkt, während aus seinem Mund reinstes bösartiges Geblödel prischt.
Viennale
Herbstlich und nostalgisch, auf 16 mm gedreht, mit Retrofonts und dezidiert den schwankende-Kamera Stil von Woody Allens “Husbands and Wives” oder Cassavetes einhaltend, ist “Listen Up Philip” ein typischer Film aus unserer heutigen Zeit - eine Zeit die sich so unwohl in seiner eigenen Epoche fühlt, dass sie zu steinernem Leid wird.
Das Milieu scheint es gar nicht mehr zu geben, obwohl es doch existiert: das Verlags- und Künstlerwesen, das von seinen alten Tagen (personifiziert durch Ike, einem Menschen, der ständig schwafelt, wie viel mehr Spaß als alle anderen er in seinem Leben hatte) nicht los kommt; und gleichzeitig die Welt der “kreativen” universitären Welt, das mit seinen Creative Writing-Kursen anscheinend an das Verlagswesen geknüpft ist - ein unglaublich amerikanischer Film also.
Auch Perrys letzter Film war eine einzige amerikanische Elegie - ein beinah ortsloser Roadtrip mit einem großartigen Drehbuch, gedreht für $20,000 in einem Sommer, unter Freunden. Es sind auch wieder die selben Freunde, die in "Listen Up Philip" mitspielen, so neben weltbekannten Stars wie Schwartzman, der Perry wirklich fast zum verwechseln ähnlich sieht.
Nordamerikanische Pastorale
Gleich anschließend zu "Listen Up Philip" findet eine Diskussion im Festivalzentrum zum Thema “The State of Things” statt. Es diskutieren Debra Granik, Alex Ross Perry, Alexandre Rockwell und Peter Strickland, aber die Diskussion selbst erinnert mich nur daran, dass man eigentlich nie zu solchen Diskussionen gehen sollte.
Auf eine Publikumsfrage antwortend, sind sich letztendlich alle einig, dass TV-Serien für sie komplett uninteressant seien (obwohl alle Regisseure gerne "Breaking Bad" und "House of Cards" schauen!); wobei, so Granik, es doch eine "a greater canvas" erlaubt.
Viennale
Und so komme ich zu Lisa Cholodenkos wunderschöner HBO-“Miniseries” “Olive Kitteridge”. Schon allein die Tatsache, dass man für den “Film” gleich zweimal hintereinander mit den selben Leuten ins Kino geht (vier Folgen zu zwei Einheiten) machen das Erlebnis schön und familiär. Ähnlich wie in “Listen Up Philip” ist die Hauptfigur Olive Kitteridge (Frances McDormand!) ein Grantschearm, den niemand, außer ihr liebevoller Ehemann, leiden kann. Die Handlung spielt in einer Kleinstadt in Maine und läuft über mehrere Jahrzehnte, mit einem großen Ensemble an Figuren (u.A.: Bill Murray). Erzählt wird im Prinzip die zweite Hälfte (der "Herbst") des Lebens dieser hartgesottenen Frau - ihre ungelebten Träume, ihre Ehe, die Heirat ihres Sohns, der Schlaganfall ihres Mannes, die Scheidung ihres Sohns, usw. Es gibt viele Perspektivenwechsel und Figuren, kleine, surreale Anekdoten und Dinge, die nur in Serien möglich sind - die immer wieder auftauchende Frau in der Bar, z.B., die immer am Klavier sitzt und singt. Im Hintergrund zieht subtil der Wandel der amerikanischen Gesellschaft an den Figuren vorbei, Kostüme und Gehabe ändert sich bis in die nähere Gegenwart. Manchmal gleitet der Film ins elegische, die Dialoge aber beharren auf einen unterliegenden Humor, bis einem die Tränen in die Augen schießen. Das ist genüssliches Melodrama. Nach dem Film fühle ich mich vor lauter Zärtlichkeit für den Film ganz verwundbar, und es fällt mir eigentlich noch immer schwer, seinen Detailreichtum aus meinen Gedanken zu schütteln. Wie werde ich all diese Gefühle verarbeiten können?
Manchmal entwickle ich (als halbe U.S.-Amerikanerin) beim Kinogehen in Österreich ein bisschen ein schlechtes Gewissen: Interessiert es euch wirklich so sehr, ständig amerikanische Geschichten erzählt zu bekommen? Ich finde nämlich nicht, dass diese Geschichten immer so universell sind, auch wenn ich sie super spannend finde. Trotzdem ist es fast eine Zumutung, zu erwarten, dass ein europäisches Publikum mit U.S. Filmproduktionen etwas anzufangen weiß oder will. Das frage ich mich, weil sonst im “normalen Leben” von überall her ständig ein latenter U.S.-Hass nieselt; die guten Filme werden aber gerne gesehen. Und ich will mich da überhaupt nicht beschweren - ich finde es großartig, Miniserien wie "Olive Kitteridge" oder Filme wie "Listen Up Philip" bei der Viennale sehen zu können.
2 Tage noch, oder eineinhalb, dann ist die Viennale vorbei. Der Wind weht die Blätter von den Bäumen und ich bin schon ganz wehmütig, die Kinos überhaupt zu verlassen.